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Regierungsbildung
"Neuwahlen sind bestenfalls ganz am Ende der Ausweg"

Eine Minderheitsregierung der CDU/CSU mit den Grünen oder der FDP sei ebenso vorstellbar wie Jamaika erneut zu verhandeln oder eine Große Koalition, sagte der SPD-Politiker Dieter Wiefelspütz im Dlf. Es sei ein Fehler der SPD, sich zu sehr auf Neuwahlen festgelegt zu haben.

Dieter Wiefelspütz im Gespräch mit Dirk Müller | 23.11.2017
    Porträtfoto eines lächelnden Dieter Wiefelspütz
    "Die SPD ist doch keine Ein-Mann-Show " sagte der SPD-Politiker im Dlf - Martin Schulz habe breite Unterstützung in der SPD (imago/Hans-Günther Oed)
    Dirk Müller: Die Stoßrichtung von Frank-Walter Steinmeier dürfte klar sein: Staatspolitische Verantwortung ist wichtiger als parteipolitisches Interesse. Das sagt sich nun so leicht, nachdem der Sozialdemokrat mit ruhendem Parteibuch Staatsoberhaupt ist. Als ehemaliger Spitzenkandidat und ehemaliger Fraktionschef der SPD hat er das Ganze wohl anders bewertet. Jetzt ist er aber Bundespräsident und für Martin Schulz wird die Luft immer dünner, denn der Widerstand in der Partei gegen seine Absage an eine Große Koalition wird energischer, wird massiver. Vielleicht dann doch eine Tolerierung einer CDU/CSU-Regierung.
    Große Koalition, Minderheitsregierung oder auch Neuwahlen? – Martin Schulz ist für Neuwahlen – eindeutig. Das haben wir jedenfalls am Montag, Dienstag, Mittwoch so geglaubt. Er räumt aber inzwischen wohl auch die Option einer Tolerierung ein. – Was gilt denn nun? Darüber wollen wir nun mit dem SPD-Politiker Dieter Wiefelspütz reden. Guten Tag!
    Dieter Wiefelspütz: Guten Tag, Herr Müller.
    Müller: Herr Wiefelspütz, weiß Martin Schulz noch, wo der Hase langläuft?
    Wiefelspütz: Die Situation ist ein wenig unübersichtlich. Man muss allerdings auch Verständnis haben für die SPD-Spitze einschließlich Martin Schulz. Die SPD hat eine Bundestagswahl vor acht Wochen verloren. Mit schweren Verlusten ist sie aus der Wahl rausgekommen. Und da war eigentlich ziemlich klar, einmütig in der SPD, wir gehen in die Opposition.
    "Alle Welt ist davon ausgegangen, Jamaika kommt zustande"
    Müller: Das war eine Sekunde nach der ersten Hochrechnung. Da wusste die SPD schon Bescheid.
    Wiefelspütz: Ich denke, das ist ja auch normal. Wenn Sie eine Wahl verlieren, von 25 Prozent auf 20 heruntergehen, dann muss man das respektieren. Das ist ein Wählervotum. Und ja, auf diese Weise hat man sich dann eingerichtet, und alle Welt, auch Sie, Herr Müller, und auch ich sind davon ausgegangen, dass Jamaika zustande kommt. Die FDP, der jahrzehntelange natürliche Koalitionspartner der CDU/CSU, die Grünen, die ganz, ganz intensiv, ich könnte fast sagen, wild darauf sind zu regieren – alle Welt ist davon ausgegangen, Jamaika kommt zustande. Und nach vier Wochen trostlosen Sondierens haben wir auf einmal eine völlig überraschende neue Lage und auf diese Lage müssen wir uns alle neu einstellen, einschließlich Martin Schulz, einschließlich der SPD, und das wird auch gelingen, wenngleich das vielleicht ein wenig Zeit braucht.
    Müller: Dann hätten Sie, Herr Wiefelspütz, ihm geraten, dem Parteichef geraten, Ihrem Parteichef geraten, erst mal nachdenken und dann erst reden?
    Wiefelspütz: Ich denke, Martin Schulz braucht meinen Rat nicht. Das, was da beschlossen worden ist, ist sehr einmütig in der Spitze der SPD beschlossen worden.
    Müller: Also war das richtig, was er am Montag gesagt hat?
    Wiefelspütz: Ich halte es im Ergebnis, Herr Müller, für einen Fehler, sich zu sehr auf Neuwahlen festgelegt zu haben. Neuwahlen sind zwar nicht ausgeschlossen, sind aber bestenfalls ganz, ganz am Ende der Ausweg. Aber vorher – wir sind ja im Moment in einem Modus des Artikels 63 des Grundgesetzes. Das Parlament muss sich bemühen, eine Mehrheit zu finden für die Wahl eines Bundeskanzlers, einer Bundeskanzlerin. Und das macht man, indem Koalitionsverhandlungen stattfinden und eine Koalition vereinbart wird.
    "Das heißt noch nicht, dass wir eine Staatskrise hätten"
    Müller: Herr Wiefelspütz, Entschuldigung, dass ich da noch mal nachfrage. Um das noch mal festzuhalten: Aus Ihrer Sicht – Sie haben das Ganze ganz, ganz eng und genau beobachtet am Montagmittag, am Montagnachmittag, als das dann klar war, als Martin Schulz sich explizit geäußert hat. Beratung in den Gremien und dann hat er gesagt, mit uns keine Große Koalition, und hat die Neuwahl-Option ganz klar favorisiert. Für Sie kam das dann viel zu früh?
    Wiefelspütz: Wir sind in einem Modus, wo von Neuwahlen wirklich nicht geredet werden sollte. Wir haben vier Wochen eine trostlose Sondierung gehabt von einer möglichen Koalition, von der eigentlich alle geglaubt haben, sie kommt zustande. Das ist jetzt gescheitert. Das heißt aber noch nicht, dass wir eine Staatskrise hätten oder dass Neuwahlen der einzige Ausweg wären, sondern jetzt müssen andere Optionen geklärt werden, und da kommt es ganz entscheidend natürlich auch auf die SPD an, die in den letzten 19 Jahren 15 Jahre mitregiert hat. Das heißt, wir sind eine Partei, die Verantwortung übernommen hat in der Vergangenheit und auch in der Zukunft eine große Verantwortung für das Schicksal Deutschlands hat.
    Müller: Ist Regieren immer noch am besten?
    Wiefelspütz: Nicht notwendigerweise. Es kommt auch immer sehr auf die Bedingungen an. Es ist jetzt eine Konstellation gescheitert nach vier Wochen und jetzt bitte ich sehr – Herr Müller, Sie fragen kritisch nach, das ist Ihr gutes Recht –, jetzt bitte ich sehr darum, dass man da auch ein wenig Geduld hat. Jetzt muss alles neu sortiert werden. Es gibt aber viele andere Konstellationen, die vorstellbar sind. Es ist doch vorstellbar, dass Jamaika erneut verhandelt wird. Es ist vorstellbar eine Minderheitsregierung von CDU/CSU und Grünen. Es ist vorstellbar eine Minderheitsregierung von CDU/CSU und FDP. Es ist letztlich auch vorstellbar eine Große Koalition. Was dabei herumkommt, wird jetzt zu besprechen sein, und dafür brauchen wir alle ein bisschen Zeit und auch ein bisschen Geduld.
    "Selbstverständlich wird die SPD reden müssen"
    Müller: Wie glaubwürdig wäre das denn, wenn die Sozialdemokratie wie auch immer, wer genau das im Moment auch dann anführt und letztendlich umsetzen wird, dann doch in eine Große Koalition reingehen würde, zumindest in die Verhandlungen reingehen würde, und Martin Schulz, der glasklar gesagt hat, wir stehen da nicht zur Verfügung. Das hat er ja zweimal gemacht, vor acht Wochen und dann jetzt auch vergangenen Montag. Ist das dann noch der richtige Mann, der glaubwürdig an der Spitze dieser Partei steht?
    Wiefelspütz: Ich bin der Auffassung, dass wir uns jetzt auf eine neue Situation einzustellen haben. Es gibt heute das Gespräch mit dem Bundespräsidenten, der aus meiner Sicht eine sehr, sehr solide Figur abgibt, der die Parteien ermahnt, gesprächsbereit zu sein. Das richtet sich nicht nur, aber auch an die SPD. Und selbstverständlich wird die SPD reden müssen, auch mit der Bundeskanzlerin, mit der CDU-Vorsitzenden, und dann muss man sehen, wie das sich weiter entwickelt. Jetzt schon darüber zu spekulieren, wo das endet, halte ich für abwegig.
    Müller: Sie sagen aber jetzt nicht, Martin Schulz ist da der Richtige, der das Ganze jetzt erledigen soll zu Gunsten der SPD?
    Wiefelspütz: Martin Schulz ist der einstimmig gewählte Vorsitzende der SPD. Er tritt auf dem Parteitag erneut an – ein Mensch, der in der SPD insbesondere auch an der Basis sehr beliebt ist. Und ich glaube, dass er sich auch neu sortieren muss und sich neu orientieren muss. Und, Herr Müller, haben Sie sich noch nie neu einstellen müssen auf überraschende neue Situationen? – Ich denke, das ist nicht nur eine Sache von Martin Schulz alleine, sondern der gesamten SPD. Wir sind eine verantwortungsbewusste Partei. Das haben wir über Jahrzehnte immer wieder in Deutschland zum Ausdruck gebracht und gelebt, und das wird auch in den kommenden Wochen und Monaten so sein.
    "Martin Schulz hat eine breite Unterstützung in der SPD"
    Müller: Jetzt sind Sie ja, Herr Wiefelspütz, bei 20 Prozent gelandet mit Martin Schulz. Es geht ja jetzt auch darum zu schauen, in dieser jetzigen Situation, wenn ich das richtig verstanden habe, die parteiinterne Diskussion, müssen wir nach vorne blicken aus Sicht der SPD, wir müssen zukunftsfest sein, egal in welcher Konstellation. Da fragen sich ja schon viele, offenbar immer mehr, ob Martin Schulz dann noch der Richtige ist an der Spitze.
    Aber anders herum gefragt: Olaf Scholz, der jetzt immer wieder ein bisschen querschießt – dieses Gefühl haben jedenfalls viele Beobachter –, auch jetzt in dieser Frage; offenbar hat er ja am Montag das Ganze mitgetragen, und dann Dienstag, Mittwoch hört sich das schon ganz, ganz anders an. Wird es da ganz, ganz ungemütlich für den amtierenden Parteichef?
    Wiefelspütz: Die SPD ist doch keine Ein-Mann-Show oder eine Ein-Frauen-Partei, sondern wir sind über 400.000 Mitglieder, die alle sich einbringen wollen in dieser Angelegenheit. Martin Schulz hat eine breite Unterstützung in der SPD. Wir haben jetzt eine Situation, wo man sich neu orientieren muss. Wenn ich etwas kritisch sagen würde oder möchte über die SPD, dann dies, dass wir etwas sorgfältiger umgehen sollten mit unserem Spitzenpersonal. Alle 14 Tage die Leute auswechseln, was macht denn das für einen Eindruck. Wie kann man denn das bewerten? Das halte ich für falsch. Dieses kurzfristige Denken ist falsch. Warum soll sich Martin Schulz nicht auch in dieser Frage möglicherweise in Akzenten neu orientieren in einer neuen Lage, in einer neuen Herausforderung, die man vor wenigen Wochen so gar nicht für möglich gehalten hat. Das halte ich alles für relativ normal.
    Müller: Ist nachvollziehbar aus Ihrer Sicht, Herr Wiefelspütz. Aber noch mal die Frage: Derjenige, der das schlechteste Ergebnis aller Zeiten zu verantworten hat, soll Ihrer Meinung nach weitermachen?
    Wiefelspütz: Ich bin der Auffassung, dass wir gemeinsam, Herr Müller, gewinnen in der SPD und auch gemeinsam verlieren. Alles festzumachen an einer Person, halte ich für extrem unseriös und überhaupt nicht solidarisch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.