Mittwoch, 24. April 2024

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Regierungserklärung von Hamburgs OB
"Insgesamt hat Scholz es sich zu einfach gemacht"

Die Politikwissenschaftlerin Christine Landfried kritisierte, es sei in der Regierungserklärung von Hamburgs Oberbürgermeister Olaf Scholz (SPD) "zu kurz gekommen", dass "Gefahren unterschätzt worden sind". Im Dlf sagte sie, die Frage stelle sich, warum es drei Stunden gedauert habe, bis die Spezialkräfte im Schanzenviertel gewesen seien.

Christine Landfried im Gespräch mit Daniel Heinrich | 12.07.2017
    Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hält am 12.07.2017 vor der Bürgerschaft der Hansestadt eine Regierungserklärung zum G20-Gipfel.
    Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hält am 12.07.2017 vor der Bürgerschaft der Hansestadt seine Regierungserklärung zum G20-Gipfel. (picture alliance / Daniel Bockwoldt/dpa)
    Daniel Heinrich: Ich spreche mit Christine Landfried, Politikwissenschaftlerin, ehemals unter anderem an der Uni Hamburg tätig. Frau Landfried, muss Olaf Scholz abtreten?
    Christine Landfried: Nein, er muss nicht abtreten. Aber er muss natürlich die politische Verantwortung übernehmen, dafür, dass doch Gefahren unterschätzt worden sind, und das ist meines Erachtens in dieser Regierungserklärung zu kurz gekommen.
    Heinrich: Das hat er mit seiner Entschuldigung nicht erfüllt, sagen Sie?
    Landfried: Ich finde, nicht. Er hat sich entschuldigt, und das war wichtig, und das war gut. Und er hat auch zurecht gesagt, dass natürlich die Verantwortung für Straftaten, diese Verantwortung tragen die Täter. Aber es wurden ja Dinge an Gefahren unterschätzt, und dafür trägt natürlich der Senat und natürlich der Erste Bürgermeister die politische Verantwortung. Und da hat er sich immer so drum herumgeredet. Und es hätten auch von diesen kritischen Fragen, die ja jetzt in Hamburg so auf der Hand liegen, doch ein paar von diesen Fragen als Fragen gestellt werden müssen. Wir haben noch wenig Informationen, wir haben jetzt diese Sonderkommission. Aber die Frage, warum dauert es drei Stunden, bis jetzt Spezialkräfte zur Schanze kommen, da wo diese Randalierer und diese Gewalttätigen waren, diese Frage, die muss ich ja doch zumindest stellen als Bürgermeister, der die Verantwortung hat, und kann mich nicht da immer so allgemein drum herumreden.
    Landfried: Frage nach Fehlern bei der Roten Flora hätte gestellt werden müssen
    Heinrich: Also er macht es sich zu einfach?
    Landfried: Ich fand, in Teilen war das ein guter Umgang mit dieser schwierigen Lage. Aber insgesamt, finde ich, hat er sich es zu einfach gemacht, weil er auch so ein Problem wie die Rote Flora, er hat es zwar kurz angesprochen und hat gesagt, was da gesagt worden ist von Verantwortlichen, von einem Anwalt, das war beschämend. Aber man muss natürlich als Oberbürgermeister oder als Erster Bürgermeister hier auch sagen, was haben wir da falsch gemacht vielleicht bei der Roten Flora, haben wir da nicht genau genug hingeschaut, muss sich da was ändern. Das kann jetzt noch niemand beantworten, aber die Frage hätte gestellt werden müssen.
    Heinrich: Ja muss denn da was geschehen bei der Roten Flora? Die Hamburger CDU sagt, rechtsfreie Räume seine geschaffen und gefördert worden von der Regierung.
    Landfried: Ja, man müsste jetzt doch mal genau hinschauen, welche Verantwortlichkeiten damit zusammenhängen bei den Einladungen zu dieser Demonstration "Welcome to Hell" die Rote Flora hatte. Man muss hier wirklich diese Fragen klar stellen und dem nachgehen. Erst dann kann man sagen, ob sich etwas ändern muss. Aber man muss das Problem jetzt wirklich mal auf den Tisch legen und nicht nur allgemein sagen, das ist beschämend. Hier hat Hamburg ein Problem gehabt und das war bekannt, bevor der G20-Gipfel stattfand. Man wusste ganz genau, der Tagungsort, diese Messehallen, war sehr nah zu diesem Zentrum, wo wir ja oft schon Ausschreitungen hatten. Und da musste man auch sagen, warum haben wir uns eigentlich so vorgestellt, dass das so ähnlich abläuft wie immer. Das war doch eher gar nicht so wahrscheinlich. Jeder macht Fehler, aber die Frage hätte gestellt werden müssen. Und jetzt wurde so getan, das war eine neue Dimension von Gewalt, das konnte gar niemand einkalkulieren. Doch! Man musste sich jetzt sagen, wir haben hier einen Fehler gemacht.
    "In dieser Größenordnung können wir nicht an kleine Orte gehen"
    Heinrich: Sie sprechen davon, dass von Seiten der Roten Flora auch aus dem Ausland dezidiert Leute eingeladen wurden?
    Landfried: Genau, und dass man auch gesagt hat, das würde der größte schwarze Block werden, den wir je erlebt haben. Und solche Dinge waren ja auch eine Aufforderung nun nicht gerade zu einer friedlichen Demonstration. Diese Dinge, denke ich, die sind ein bisschen zu allgemein abgehandelt worden, weil man immer im Grunde doch in dieser Regierungserklärung die politische Verantwortung - zu der stand der Bürgermeister Scholz einfach nicht klar. Das hat mir gefehlt in dieser Regierungserklärung.
    Heinrich: Wenn man sich die Bilder anschaut, Frau Landfried, diese geplünderten Läden, diese herausgerissenen Pflastersteine, die verstörten Anwohner, die dann teilweise am darauffolgenden Tag und am Wochenende selber die Straßen gefegt haben - kann man denn überhaupt sagen, eine Großstadt wie Hamburg, das ist der richtige Ort, um so eine Veranstaltung abzuhalten?
    Landfried: Da, denke ich, ja. In dieser Größenordnung können wir natürlich nicht an kleine Orte gehen. Wir können auch nicht auf eine Insel gehen. Was man aber grundsätzlich überlegen müsste: Dieses Format der G20, wenn man sagt, ja, wir wollen das persönliche Gespräch, der Meinung bin ich auch, aber vielleicht könnten die Delegationen etwas kleiner sein. Die Frage ist doch, ob manche Staaten mit 900 Personen anreisen müssen. Ich denke, bei aller Komplexität der Probleme müssen das nicht 900 Leute in einer Delegation sein. Hier könnte man das sicher wieder auf ein kleineres Format bringen. Und man muss sich natürlich langfristig auch mal überlegen, was haben wir für Probleme und Krisen in der Welt, dass solche Treffen nur unter solchen Sicherheitsvorkehrungen stattfinden können. Wir haben ja jetzt gesehen, es waren nicht mal genug Sicherheitsvorkehrungen. Aber auch diese Frage muss man sich mal stellen. Es ist ja bei unserer Vorstellung, dass wir Demokratie haben in Hamburg, und dass wir eine öffentliche Diskussion wollen und dann solche Sicherheitsvorkehrungen brauchen, das ist natürlich auch doch etwas, was uns zum Nachdenken veranlassen sollte.
    "Bei großen Ereignissen mehr mit dem Unwahrscheinlichen rechnen"
    Heinrich: Frau Landfried, wir sind beim Stichwort Sicherheit. Es ist Bundestagswahlkampf. Es wird viel geredet über Innere Sicherheit. Es kommen nicht nur, aber auch aus Bayern Forderungen, auf dem linksextremen Auge sei man ein bisschen blind gewesen. Jetzt hat Olaf Scholz angekündigt ein entschlossenes Vorgehen gegen Extremismus. Er hat es allgemein formuliert, aber er meint, er hat auch den Linksextremismus angesprochen. Braucht es 500 verletzte Polizisten, um so etwas zu realisieren? Was ist da schiefgelaufen, dass man das nicht auf dem Schirm hatte?
    Landfried: Hier, glaube ich, konkret: Natürlich, im Nachhinein ist man immer klüger, aber der Fehler war, dass man immer damit gerechnet hat, dass das so ähnlich wird, wie man es hier gewohnt war, wenn es zu Ausschreitungen kommt. Und dass man sich nicht überlegt hat, man muss doch immer bei solchen Dingen damit rechnen, dass auch was Unvorhergesehenes und was Ungewöhnliches geschieht. Dann kann ich natürlich keine Spezialkräfte haben, die erst drei Stunden brauchen, bis sie einsatzfähig sind. Diese Frage, die muss geklärt werden. Und es muss auch die Frage geklärt werden, die ja im Raum steht und die keiner sich traut anzusprechen: Gab es da Prioritäten? Hat man zuerst gesagt, man muss erst den Gipfel sichern? Waren da diese Kräfte eigentlich, waren sie dort an dieser Stelle? Aber dann hätten sie eigentlich auch nicht so lange brauchen dürfen. Ich denke, man muss heute bei solchen großen Ereignissen mehr mit dem Unwahrscheinlichen rechnen und darf nicht nur immer extrapolieren, was wir eh schon immer hatten. Ich glaube, da war ein Fehler, aus dem man lernen sollte, dass wir in Zukunft auch davon ausgehen müssen, uns mal zu überlegen, was sind eigentlich unwahrscheinliche Dinge, und die mit in die Überlegungen einbeziehen.
    Heinrich: Das sagt die Politikwissenschaftlerin Christine Landfried. Frau Landfried, ganz vielen Dank für das Gespräch.
    Landfried: Danke schön, Herr Heinrich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.