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Regierungskritik
US-Sicherheitsberater McMaster über die Fehler beim Vietnamkrieg

US-Präsident Trump wird eine Herausforderung für seinen Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster. Denn vor 20 Jahren hatte McMaster in "Dereliction of Duty" vor Lügen aus dem Weißen Haus gewarnt und zum Widerspruch angeregt. Dieses Buch über Fehler im Vietnamkrieg wird aktuell wieder nachgefragt.

Von Sabina Matthay | 07.08.2017
    Der nationale Sicherheitsberater der USA, McMaster, während einer Pressekonferenz am 16.05.2017 im Weißen Haus.
    Der nationale Sicherheitsberater der USA, McMaster, während einer Pressekonferenz am 16.05.2017 im Weißen Haus. (AFP / Olivier Douliery)
    H. R. McMasters vernichtendes Urteil über den amerikanischen Präsidenten und dessen engste Berater klingt hochaktuell:
    "Arroganz, Schwäche, Lügen zur Verwirklichung eigener Interessen und vor allem ein eklatanter Mangel an Verantwortungsgefühl gegenüber dem amerikanischen Volk."
    Amerikas Nationaler Sicherheitsberater beschreibt aber nicht seinen heutigen Chef Donald Trump. Es geht um Präsident Lyndon B. Johnson, Verteidigungsminister Robert McNamara und den vereinigten Generalstab der USA, Mitte der 1960er-Jahre. Das Zitat ist zwanzig Jahre alt und stammt aus McMasters Buch "Dereliction of Duty", das auf seiner Doktorarbeit basiert. Es ist eine Analyse der strukturellen Schwächen in Amerikas Politik und Militär, die zur Niederlage in Vietnam führten.
    Diese Schwächen waren verheerend, so McMaster in einem Telefoninterview kurz nach der Veröffentlichung 1997:
    "Der Fisch stinkt vom Kopf, das traf in diesem Fall ganz besonders zu. Denn der institutionelle Druck kam von ganz oben, er durchdrang alle Institutionen und ganz besonders das Militär."
    Lügen aus dem Weißen Haus
    Der Kopf, das war in diesem Fall Präsident Lyndon B. Johnson. Johnson witterte überall Abweichlertum und Verrat, verlangte ständig überzogene Loyalitätsbeweise, stellte seinen politischen Ehrgeiz über das Wohl Amerikas. Vor allem hatte er nach McMasters Worten "einen echten Hang zur Lüge". Die Unwahrheiten des Weißen Hauses bezüglich Strategie, Truppenstärke und Kosten des Vietnam-Krieges stellten die militärischen Berater vor Probleme:
    "Der Präsident log und er erwartete von den Stabschefs, dass sie ebenfalls logen oder wenigstens mit der Wahrheit hinterm Berg hielten. Der Präsident hätte die Stabschefs nicht in diese Lage bringen dürfen, aber die Generäle hätten auch nicht hinnehmen dürfen, dass er es tat."
    Mit dem letzten Satz rührte McMaster an ein Tabu. Denn lange hatten Amerikas Generäle eine Art Dolchstoßlegende gehegt: hätte man sie nur machen lassen, dann hätten die USA den Vietnam-Krieg gewonnen.
    Militärführung ohne Rückgrat
    McMaster beschreibt in "Dereliction of Duty" dagegen, wie die Generalstabschefs bei entscheidenden Gelegenheiten wider besseren Wissens schwiegen - als Präsident Johnson und seine zivilen Berater eine Strategie für den Vietnamkrieg entwarfen, von der die Militärführung genau wusste, dass sie nicht funktionieren konnte. So trugen die Generäle dazu bei, dass die Katastrophe ihren Lauf nahm.
    Es wurden immer nur so viele G.I.s entsandt, dass das südvietnamesische Regime gestützt wurde. Präsident Johnson wollte zwar die Ausbreitung des Kommunismus in Südostasien verhindern, vor allem wollte er aber seine innenpolitischen Pläne nicht gefährden:
    "[Die] Strategie der graduellen Intensivierung schien das Problem eines Präsidenten zu lösen, der einerseits Vietnam nicht verlieren, aber anderseits den Eindruck aufrechterhalten wollte, dass er den Krieg nur unter Zögern [...] eskalieren ließ. Wenn die Generäle beim Präsidenten ihre Position durchgesetzt hätten, dass die Vereinigten Staaten von vornherein schlagkräftig vorgehen müssten, um Nordvietnam zu schlagen, dann hätten sie vielleicht eine schwierige Entscheidung zwischen Krieg und Abzug aus Südvietnam erzwungen."
    Die Stabschefs erkannten die Fehlkalkulationen, brachten jedoch den Mut nicht auf, um Kurskorrekturen zu verlangen. McMaster zitiert einen Admiral:
    "Vielleicht waren wir Militärs alle schwach. Vielleicht hätten wir aufstehen und auf den Tisch hauen sollen. [...] Ich war Teil davon und ich schäme mich dafür. Manchmal frage ich mich: Warum habe ich dabei nur mitgemacht?"
    Als kritische Betrachtung der amerikanischen Niederlage in Vietnam ist "Dereliction of Duty" bis heute gültig. Der flüssige Stil, die Anschaulichkeit machen das Buch auch für Laien gut lesbar.
    Aktuelle Schlüsse aus eigenen Erkenntnissen
    Weil H. R. McMaster darin mit den schweigenden Generälen hart ins Gericht geht, gilt das Buch darüber hinaus als Plädoyer für Mut zum Widerspruch. Der West Point–Absolvent selbst hat in den Irakkriegen mit amerikanischer Beteiligung bewiesen, dass er sich nicht fraglos der Autorität anderer unterwirft.
    Hervorragender Stratege und integrer Querdenker - daran wird der hochdekorierte General nun als Nationaler Sicherheitsberater von Präsident Donald Trump gemessen. Heute muss H. R. McMaster sich selber fragen, wie man mit einem Präsidenten umgeht, der lügt und erwartet, dass seine Umgebung ihn deckt. 1997 war McMasters Antwort eindeutig:
    "Nach der Recherche zu diesem Buch bin ich überzeugt, dass Charakter immens wichtig ist. Das Buch zeigt, dass ständige Unehrlichkeit und Lügen Folgen haben, dass sie die Realität verschleiern und kluge Maßnahmen und freimütige Diskussionen in der Regierung verhindern."
    Als ausgerechnet McMaster sich kürzlich vom Weißen Haus vorschicken lies, um einen Ausrutscher des amerikanischen Präsidenten kleinzureden - Trump hatte vor dem russischen Außenminister mit streng geheimen Informationen renommiert - da war die Enttäuschung seiner Bewunderer groß. Der klügste Offizier der Armee versinke nun im Morast des Betrugs, hieß es etwa im Online-Magazine "Slate".
    Andere weisen daraufhin, dass H. R. McMaster zusammen mit Verteidigungsminister Mattis und Außenminister Tillerson für Verlässlichkeit in der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik sorge - allen Tweets des Oberkommandierenden zum Trotz.
    Herbert Raymond McMaster: "Dereliction of duty. Lyndon Johnson, Robert McNamara, the Joint Chiefs of Staff, and the Lies That Led to Vietnam"
    Verlag Harper Collins, 480 Seiten, 14,99 Euro.