Samstag, 20. April 2024

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Reihe "Rundfunkpioniere"
Alfred Braun - der Erfinder der Radioreportage

Alfred Braun war so etwas wie die Stimme der 1920er Jahre. Der gelernte Schauspieler erfand die Hörfunkreportage, das Mitmachradio und war Deutschlands erster Rundfunksprecher. Dass er während der NS-Zeit an Nazi-Propagandafilmen mitwirkte, stand auch seiner Nachkriegskarriere nicht im Weg.

Von Brigitte Baetz | 04.01.2021
Alfred Braun, Schauspieler, Regisseur, Funkreporter, Rundfunkpionier und Chefreporter der "Berliner Funkstunde", sitzt in einem Studio vorm Mikrofon
Der Rundfunkpionier Alfred Braun lebte von 1888 bis 1978 (dpa / picture alliance / Konrad Giehr)
"Achtung, Achtung, meine Damen und Herren! Sie hören eine Aufnahme der Feierlichkeiten am Verfassungstage der Deutschen Republik, aufgenommen vor dem Reichstagsgebäude." Was Alfred Braun hier stolz verkündete, war keine Selbstverständlichkeit.
100 Jahre Radio - Senden wie anno dazumal
Vier Jahre lang hat eine Gruppe Radiofans getüftelt, um in Brandenburg den ersten deutschen Radiosender nachzubauen – mit Alkohol als Brennstoff. Das Ergebnis macht erlebbar, wie Radio bei seiner Erfindung vor 100 Jahren klang.
Erst seit 1923 war das junge Medium Radio regulär "auf Sendung" und kannte zunächst nur Übertragungen aus geschlossenen Räumen. Der Schauspieler Alfred Braun war schon ein Jahr später angeheuert worden, um eine "Hörbühne" einzurichten, sprich: Theaterstücke für das Radio umzusetzen, was er auch mit großer Begeisterung und einigem Erfolg tat.

Älteste Hörfunkreportage

Richtig populär wurde er jedoch, als er sich unters Volk mischte: "Ich ging also zu meiner Direktion und sagte: Ich möchte mal rausgehen mit dem Mikrofon. Um Gottes Willen, wo wollen Sie denn hin, haben die ganz entsetzt gefragt."
Der technische Fortschritt, sprich: die Erfindung des mobilen Mikrofons, machte es möglich. Alfred Braun brachte den Menschen die Welt in die Wohnstube, sei es vom Fußballplatz aus oder vom Rand des Trauerzuges für Außenminister Gustav Stresemann im Jahr 1929, der ältesten deutschen Hörfunkreportage, die bis heute erhalten geblieben ist.
"Aus der Ferne hören Sie jetzt schon die Trauermusik, die dem Sarg voranschreitet. Die Spitze des Zuges ist nämlich eben von den Linden in die Wilhelm-Straße eingebogen und die ersten voranreitenden Polizisten nähern sich bereits dem Palais des Reichspräsidenten."

"Gymnastik durchs Mikrofon mit den Hörern"

Alfred Braun konnte beides: staatstragend und launig sein – und erfand so nebenbei auch das Mitmachradio: "Als ich an einem Morgen im Redaktionsbüro erschien und sagte, ich möchte im Sommer Gymnastik durchs Mikrofon mit den Hörern treiben – ein sehr bedenkliches Gesicht – und schließlich sagte man mir: Ja, mein lieber Gott, wenn es nüscht kostet, wenn Sie wollen, bitte."
Die damaligen Intendanten Walter von Cube (Bayerischer Rundfunk), Fritz Eberhard (Süddeutscher Rundfunk) und, Alfred Braun (Senders Freies Berlin) sitzen 1956 bei einer Rundfunktagung in der Gaststätte auf dem Fernsehturm in Stuttgart. 
1954 wird Alfred Braun (rechts) zum ersten Intendanten des Senders Freies Berlin gewählt - hier neben den damaligen Intendanten Walter von Cube (Bayerischer Rundfunk, links) und Fritz Eberhard (Süddeutscher Rundfunk, Mitte) (picture-alliance / dpa / Duerkop)
Am Klavier saß dann für zehn Mark pro Tag der später berühmte Komponist Theo Mackeben. Braun: "Und das war ein solcher Erfolg – ich wusste von Gymnastik nüscht mehr als was ich von der Schule her wusste oder von irgendeinem Kursus – und die Presse nahm gleich sehr lebhaft Notiz davon, weil es ersichtlich war, dass das Publikum sehr darauf ansprach. Und die Presse schickte dann Reporter zu mir ins Studio und war sehr erstaunt, dass ich in einem Clubsessel gemütlich bei einer Tasse Kaffee vor meinem tiefgestellten Mikrofon saß und meine Kommandos gab, während ich die armen geplagten Hörer veranlasste, auf dem Rücken zu liegen und Radfahrbewegungen zu machen."

Verewigung in Liedern

Keine Frage, Alfred Braun war ein Star aus eigenem Recht besungen, wie auch im Lied "Ich sitz' den ganzen Tag an meinem Radio" von Willy Rosen: "Alfred, der Braune, der macht mir stets Laune", heißt es im Lied.
Oder auch sich selbst gesanglich in Szene setzend, wie in Alfred Brauns "Reportage-Couplet":
"Hilfe, Hilfe, tobende Massen,
Sturm auf die Stühle und Sturm auf die Kassen.
Väter brüllen und Mütter flennen,
wieder einmal Sechs-Tage-Rennen.
14 Männer auf 14 Rädern treten,
dass die Gelenke federn
und in der Mitte das Mikrofon.
Was gibt das für Reportage-Sensation.
Achtung, Achtung, Sechs-Tage-Rennen…"
Der Melker Fritz Janz aus Oerie (Kreis Springe) melkt im Dezember 1951 bei Musikberieselung eine Kuh. Aber nicht für sein Vergnügen hat er das Radio im Kuhstall aufgestellt, sondern für die Kühe. Der findige Melker hatte von Versuchen gehört, mit denen bei Musik im Stall die Milchleistung der Kühe erhöht werden sollte. Und prompt den Rundfunkempfänger in den Stall getragen. Der Versuch hat geklappt: Nach anfänglicher Unruhe haben sich die Kühe an die neuen Töne gewöhnt, die Milchleistung ist um acht Liter pro Tag gestiegen. Ganz besonders schätzt das Vieh den Jazz.
Das Radio - Demokratie auf Empfang
Radio ist ein urdemokratisches Medium: Jeder kann es hören, es bringt alle zusammen. In einer Reihe zeigen wir, was Hörfunk kann: als Jedermann-Sender und Gemeinschaftsmedium, als politische Informationsquelle und Werbeträger.
Als Höhepunkt von Brauns Berufskarriere gilt die so genannte Flüsterreportage von 1929: Thomas Mann erhält in Stockholm den Nobelpreis für Literatur.
Alfred Braun berichtet im Geheimen, nur durch einen Vorhang vom Schwedischen König getrennt - so ist es jedenfalls überliefert: "Thomas Mann hat sich erhoben. Seinen Platz auf dem Podium verlassen. Er steigt die Stufen nieder ins Parkett. Thomas Mann steht vor dem Schwedischen König. Händeschütteln. Thomas Mann verbeugt sich tief. (Applaus) Beifallssturm für Thomas Mann!"

Regieassistent beim antisemitischen Hetzfilm "Jud Süß"

Die Zwanziger Jahre, die zumindest für Alfred Braun ganz gewiss goldene waren, sie gehen über in die Katastrophe der Diktatur der Nazis, die nun im "Systemrundfunk", wie sie ihn nennen, aufräumen.
Der Sozialdemokrat Alfred Braun wird 1933 gemeinsam mit anderen Radiomännern der ersten Stunde wie Kurt Magnus festgenommen und kurzzeitig im Konzentrationslager Oranienburg interniert. 1934 emigriert Braun in die Schweiz, von dort in die Türkei. Und dann vollzieht er einen Gesinnungswandel, der bis heute manche Frage aufwirft.
1939 kehrt der Rundfunkpionier nach Deutschland zurück und heuert als Regieassistent bei Veit Harlan an, der gerade seinen antisemitischen Hetzfilm "Jud Süß" dreht. Später firmiert er als Drehbuchmitarbeiter beim Durchhaltestreifen "Kolberg". Und nach Kriegsende macht er von sich Reden, als er im russisch kontrollierten Berliner Rundfunk Kommentare gegen die Luftbrücke der Westalliierten spricht.
Doch weder die eine noch die andere Wende schaden ihm nachhaltig. 1954 wird Alfred Braun zum ersten Intendanten des Senders Freies Berlin gewählt.