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Schauspielerin Kassandra Wedel
Gehörlos in der Popkultur

Gehörlose Menschen kommen in Film, Fernsehen und Theater nur selten vor. Kassandra Wedel ist die Ausnahme: Sie spielt als erste gehörlose Schauspielerin ARD Serie „In Aller Freundschaft – Die Jungen Ärzte“ eine dauerhafte Rolle als die gehörlose Neurochriogin Dr. Alicia Lipp.

Kassandra Wedel im Gespräch mit Yana Adu |
Ein Porträt der Schauspielerin und Choreorgraphin Kassandra Wedel beim Talkshow Kölner Treff am 19.05.2017
Die Schauspielerin und Choreographin Kassandra Wedel (imago/Rainer Unkel)
Bei den diesjährigen Oscars gewann die Tragikomödie "Coda" den Preis für den besten Film. Ein junges Mädchen, das einzige hörende Mitglied ihrer ansonsten gehörlosen Familie, entdeckt ihre Leidenschaft für das Singen. Die junge Frau gerät in einen Konflikt zwischen der Verantwortung gegenüber ihrer Familie und ihrem Traum, Gesang zu studieren. Ähnlich verläuft auch die Handlung bei dem deutschen Oscar nominierten Filmdrama „Jenseits der Stille“ aus dem Jahr 1996. Bis heute wird Gehörlosigkeit in der Popkultur mehrheitlich aus der Perspektive von Hörenden dargestellt. Und auch die Rollen von gehörlosen Charakter werden nicht selten mit hörenden Schauspielerinnen besetzt. Wie es um die Repräsentation von Gehörlosen in der Popkultur steht, das weiß die Schauspielerin und Tänzerin Kassandra Wedel. Sie verlor in ihrer Kindheit ihr Gehör. In der ARD Serie „In Aller Freundschaft – Die Jungen Ärzte“ wird sie nun als erste gehörlose Darstellerin eine dauerhafte Rolle als die gehörlose Neurochriogin Dr. Alicia Lipp übernehmen.

Zu wenig Gehörlose hinter der Kamera

Yana Adu: Filme wie "Coda" bringen Gehörlosigkeit wieder ins Gespräch, gleichzeitig wird aber häufig nicht aus einer gehörlosen Perspektive erzählt. Wieso ist es bisher nicht gelungen da ein Umdenken zu bewirken?
Kassandra Wedel: Das ist eine gute Frage. Ich selber habe mich auch gewundert, warum es so lange braucht. Denn schon 1987 hat Marlee Matlin, die auch in dem Film "Coda" die Mutter spielt, einen Oscar gewonnen. Ich habe nicht das Gefühl, dass sich seither sehr viel verändert hat. Also es ist immer noch das Thema von „Jenseits der Stille“, „Verstehen Sie die Béliers?“ Ja, es wird nicht wirklich aus der Perspektive von Gehörlosen erzählt. Und ich denke, warum dieses Umdenken noch nicht gelungen ist, liegt daran, dass einfach noch nicht genug mit uns gearbeitet wird. Also es werden vielleicht Gehörlose vor die Kamera gestellt, aber hinter der Kamera ist es nicht inklusiv. Also hinter der Kamera sind keine Gehörlosen involviert, die eine Geschichte mitschreiben und die ihre Gedanken einbringen können. Und das fehlt einfach.
Adu: Sie sind jetzt die erste gehörlose Darstellerin mit einer dauerhaften Rolle in einer wöchentliche ARD-Serie – welches Bild von Gehörlosigkeit wird dort vermittelt?“
Wedel: Das ist etwas schwierig zu beantworten, aber ich denke, dass Gehörlosigkeit auch noch auch noch mehr divers ist. Gehörlose sind nie alle gleich, es gibt Gehörlose die nur gebärden, die können vielleicht doch auch mehrere Gebärdensprachen und sind trotzdem mehrsprachig, auf eine andere Weise. Und dann gibt es Gehörlose, die Sprechen und Gebärden, sowie ich. Und diese Rolle hier, denke ich, bringt beides zusammen. Ich habe noch nicht genug Folgen gesehen um wirklich beurteilen zu können, welches Bild am Ende vermittelt wird. Wir versuchen schon Missverständnisse einzubauen. Zu zeigen das Lippenlesen nicht wirklich alle können. Also wir versuchen, zu zeigen, dass es nicht so einfach ist. Ich denke, dass trotzdem die Rolle Alicia Lipp ein Privileg hat in ihrer Kommunikation. Sie versteht vielleicht nichts, sie ist taub, genauso wie ich, aber sie kann halt sprechen.

Gehörlose werden im Film auf ihre Behinderung reduziert

Adu: 80 Prozent der Filmschaffenden sagen, dass die Vielfalt der Gesellschaft im Film in Klischees dargestellt wird – Welche Geschichten werden in Film und Fernsehen über Gehörlose erzählt?
Wedel: Ich denke, dass im Film momentan noch ein Schwarz-Weiß-Bild gibt von Gehörlosen. Es gibt einmal die Taube, die nicht spricht, aber sie wird im Film von der hörenden Perspektive dargestellt wie die dumme Stumme, die nicht spricht. Die nicht mehr ist als taub. Also die Rolle ist auf ihre Taubheit reduziert. Sie hat keinen Charakter, keine Farbe, keine Tiefe. Und dann gibt es den Gehörlosen die ein Gerät bekommen, ein Hörgerät, ein CI, die aber keine Gebärdensprache können. Und das Gerät löst hat alles, so als Allheilmittel. Das stimmte ja halt irgendwie. Dann gibt es aber auch das Klischee, wie bei Coda zum Beispiel das Gehörlose auf all das reduziert werden, was sie alles nicht können. Also sie können nicht hören, sie können Musik nicht hören. Dann in „Jenseits der Stille“ kann sie nicht Fahrrad fahren.  Mir fehlt da einfach zu sehr die Farbe, die Tiefe und der Fokus auch auf das, was Gehörlose besonders gut können. Also unsere Stärken, das kommt irgendwie nie im Film rüber.
Adu: Welche Erfahrungen haben sie in ihrer Arbeit als Schauspielerin bei den Rollenbesetzungen gemacht?
Wedel: Ja, ich persönlich finde, dass ich einfach sehr viel mehr kann als diese Rollen. Und ich traue mir sehr viel mehr zu. Ich habe sehr oft das Gefühl, dass mir nicht genug zugetraut wird. Ich weiß es nicht. Aber Hörende sehen anscheinend viel zu stark das Defizit und diese Taubheit. Ich empfinde das als sehr störend. Auch habe ich die Erfahrung gemacht das zum Beispiel Regisseure, etwa verbessern wollen an der Gebärdensprache, die wollen mir die Mimik nehmen, aber das geht nicht. Es ist Teil unserer Sprache, und es ist für mich schwierig, wenn ein Regisseur, der unserer Sprache gar nicht kann, unsere Sprache verbessern will.
Adu: Sie arbeiten ja nicht nur im Film und Fernsehen, sondern auch im Theater, wo es in der letzten Zeit auch vermehrt inklusivere Stücke gab. Haben Sie da einen Unterschied festgestellt in der Darstellung, aber auch im Umgang mit Gehörlosigkeit?

Mehr kreativer Spielraum im Theater

Wedel: Ja sehr, also ich bin eigentlich sehr viel mehr aktiv im Theater und auf der Bühne. Weil für mich gibt es dort einfach viel mehr kreativen Spielraum. Es wird sehr viel mehr experimentiert. Ich finde, das Theater ist sehr viel weiter als Film. Am Theater übernehme ich große Rollen, Hauptrollen, ich übernehme auch in einem Stück mehrere Rollen. Und es gibt in der Gebärdensprache die tolle Möglichkeit, auch Rollen zu wechseln und Dinge visuell ganz wundervoll erzählen zu können. Das ist ja beim Film nicht sichtbar und auch nicht möglich. Ich denke, dass Theater offener ist,  mehr ein Spiegel der Gesellschaft und auch mehr Fragen stellt und Antworten sucht.
Adu: Und können Sie sich vorstellen, dass es so einen Wandel nicht nur im Theater, sondern eben auch generell in der Popkultur in Zukunft geschehen kann? Wir haben jetzt eben schon mehrfach den Oscar Gewinner Coda genannt. Dieses Jahr gab es dann aber auch nach über 700 Folgen die erste Simpsons -Folge mit Gebärdensprache. Und auch bei Netflix gibt es eine Doku-Serie über Studierende an einer Gehörlosen-Uni. Verändert sich da jetzt in Zukunft etwas?
Wedel: Also ich denke, dass es schon immer mehr sichtbar ist. Auch durch einige Gehörlose die viel tun. Zum Beispiel die Netflix-Doku von der Gehörlosenuni. Die wurde gemeinsam produziert mit Nyle DiMarco, einem gehörlosen Model in Amerika. Amerika ist einfach schon sehr viel weiter als Deutschland und Europa. In Amerika wird Gebärdensprache nicht verboten und ich denke, dass das daher ja dann auch in die Simpsons reinkommt und auch in der Popkultur sichtbarer wird. Auch ich habe letztes Jahr einen Film synchronisiert. Die Autorin ist gehörlos. Ein Animationsfilm für Gehörlose über Gehörlose, über ihre eigenen Erfahrungen. Und den habe ich synchronisiert und ich fand es ganz toll des endlich eine taube Rolle, selber von einer Gehörlosen synchronisiert wird.
Adu: Das heißt, Sie hoffen oder erwarten auch, dass sich da etwas ändern wird in Zukunft?
Wedel: Ja, ich denke etwas, langsam aber ist es sehr schwer.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.