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Rettungsanker in der Krise

In der Krise hat die konjunkturelle Kurzarbeit viele Firmen und ihre Mitarbeiter vor Entlassungen gerettet. Doch die staatliche Hilfe wird maximal 24 Monate gezahlt. In der Metallbranche probiert man daher ein neues Instrument aus: die "tarifliche Kurzarbeit".

Von Uschi Götz |
    Es geht scheinbar wieder bergauf mit der Wirtschaft in Deutschland. Vergleicht man die schwerste Rezession der Nachkriegszeit mit einer Krankheit, dann lässt sich zumindest feststellen: Der Kranke hat überlebt. Wirtschaftsexperten rechnen in den kommenden sechs Monaten allerdings nur mit einer langsamen Erholung. Die deutsche Konjunktur sei aus der Intensivstation in die Reha gewechselt, aber von einer kräftigen Gesundung könne noch keine Rede sein, erklärte jüngst der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, Wolfgang Franz.
    Bayern und Baden-Württemberg sind - laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft – von der Wirtschaftskrise am stärksten betroffen. Dagegen kommen Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg oder Berlin glimpflich davon. Christoph Häring, Sprecher bei der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit:

    "Baden-Württemberg und Bayern waren die Bundesländer, die früher und härter getroffen worden sind von der Krise in Deutschland. Hängt mit der Struktur auch zusammen: viele exportabhängige Unternehmen, starker verarbeitender Sektor. Und das waren dann auch genau die Betriebe oder die Unternehmen, die jetzt auch durch diese Automobilfinanzkrise getroffen worden sind."
    Morgen gibt die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg die Arbeitslosenzahlen für den Monat März bekannt. Wieder werden die beiden südlichen Bundesländer mit den niedrigsten Arbeitslosenquoten glänzen können. Im Februar war die Arbeitslosigkeit in Baden-Württemberg überraschenderweise sogar leicht – um 2650 Personen – zurückgegangen. Selbst Experten waren verblüfft. 308.000 Menschen hatten keinen Job. Die Quote lag bei 5,5 Prozent. Doch die Arbeitsagentur bleibt realistisch: Die Wirtschaftskrise wird sich auf dem Arbeitsmarkt niederschlagen, fürchtet Pressesprecher Christoph Häring. Es sei zu früh, um Entwarnung zu geben. Die Anzahl der Kurzarbeiter zu hoch.

    "Im Jahresschnitt 2009 waren es 230.000 in 9300 Betrieben. Das ist natürlich ein Risiko und eben auch das Risiko der Unterauslastung in vielen Betrieben auch noch. Man sieht es auch an der Insolvenzquote, die zeigt nach oben. Und wir werden bestimmt im Jahr 2010 mehr Arbeitslose im Jahresschnitt bekommen wie 2009. Unsere Experten gehen davon aus, dass wir 40.000 bis 50.000 im Jahresschnitt mehr Arbeitslose in Baden-Württemberg haben. Das wäre ein Anstieg von 15 Prozent."
    Es war schon Schlimmeres prognostiziert: nämlich ein Anstieg um 25 Prozent in den kommenden Monaten. Insofern ist die Zahl 15 schon fast beruhigend, jedoch für den einst so erfolgsverwöhnten Südwesten ist es eine schmerzhafte Zäsur. Viele Firmenchefs haben das Instrument der Kurzarbeit genutzt – und in der Krise eine Menge Jobs gesichert. Doch Häring ist wenig optimistisch: Vor allem kleinere Firmen werden nicht über den Sommer kommen, sondern in den nächsten Monaten schließen müssen.

    "Natürlich wird es Unternehmen geben, denen das jetzt wirklich an die Substanz geht, die es einfach nicht mehr durchhalten können. Aber ich denke, das ist wirklich dann auch Strukturanpassung. Entlassungen, das ist wirklich die Ultima Ratio in dem Fall. Also man sieht hier wirklich, das ist dann das letzte Mittel, wenn die Unternehmen nicht mehr alles können. Und das ist vielleicht schon der Unterschied zu dem, was vielleicht in vergangenen Krisen war, wo das Mittel Entlassung einfach früher auf der Agenda stand. Aber die Unternehmen wissen einfach, sie brauchen ihre Fachkräfte, wenn es wieder aufwärts geht, demografische Entwicklung und so weiter, aber es wird eng werden."
    In Baden-Württemberg arbeiteten im vergangenen Jahr sechs Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten kurz. Den Höchststand bundesweit verzeichnete die Bundesagentur für Arbeit im vergangenen Mai: Damals zählte sie 1,5 Millionen Arbeitnehmer in Kurzarbeit. Zum Vergleich: In diesem Jahr rechnet die Nürnberger Behörde bundesweit mit etwa einer halben Million konjunkturellen Kurzarbeitern.
    Einerseits geht die Zahl der Kurzarbeiter zurück. Andererseits steigen die Zahlen des Leistungsmissbrauchs. Mitte Februar standen bundesweit 1032 Unternehmen unter dem Verdacht, beim Bezug von Kurzarbeitergeld betrogen zu haben. Am häufigsten werden Firmen in Nordrhein-Westfalen genannt, gefolgt von Baden-Württemberg und Bayern an dritter Stelle. Die Bundesagentur für Arbeit hat auf die zunehmenden potenziellen Verdachtsfälle reagiert und in den drei besonders auffälligen Bundesländern sogenannte Sonderprüfgruppen eingerichtet, die Betrugsfälle aufdecken sollen. Antje Teufel, Programmberaterin im Bereich Leistung bei der Regionaldirektion Baden-Württemberg, leitet eine dieser Sonderprüfgruppen.

    "Es gibt zunächst eine Grundsatzprüfung, das heißt, man bespricht in der Regel mit der Geschäftsleitung die Voraussetzung für Kurzarbeit ab, und dann gibt es einen festlegenden Bescheid über die voraussichtliche Dauer der Kurzarbeit. Die zweite Stufe ist dann das Abrechnungsverfahren, da wird immer monatlich, nachträglich, das Kurzarbeitergeld abgerechnet durch den Betrieb. Im Normalfall prüfen wir diese Abrechnung vor der Auszahlung. Aufgrund der großen Inanspruchnahme im letzten Jahr haben wir das nicht in jedem Fall gemacht, eher in wenigen Fällen. Und diese Prüfungen werden jetzt auch durch die Sonderprüfgruppen nachgeholt."
    Schon allein aus diesem Grund häufen sich nun die Verdachtsfälle. Aus der Statistik der Agentur für Arbeit geht hervor: Es sind vor allem kleinere und mittlere Betriebe, die Kurzarbeit zu Unrecht beantragt oder die Arbeitszeitaufzeichnungen manipuliert haben sollen. So standen Mitte Februar in Baden-Württemberg 52 Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitern unter dem Verdacht des Leistungsmissbrauchs. In Nordrhein-Westfalen 63 Firmen. Es ist jedoch nicht leicht, potenziellen Betrügern auf die Schliche zu kommen. Oft geben Mitarbeiter Hinweise:

    "Da gibt es Arbeitnehmer, die sagen: Wir haben Kurzarbeitergeld nicht ausbezahlt bekommen. Oder in einer Vielzahl der Fälle sagen die Arbeitnehmer, wir müssen mehr arbeiten als tatsächlich Kurzarbeit abgerechnet wird. Wir rechnen damit, dass das in Zukunft noch ansteigen wird. Dass da konkrete Hinweise kommen, immer dann, wenn Arbeitnehmer tatsächlich ihren Arbeitsplatz verlieren."
    An Kurzarbeitergeld kommen Unternehmen relativ unbürokratisch und schnell. Doch: Wo Geld fließt, werden auch Begehrlichkeiten geweckt. Gemessen an der gerade im Südwesten hohen Zahl von Betrieben in Kurzarbeit - im Januar dieses Jahres waren es laut Arbeitsagentur knapp 900 Firmen - ist die Zahl der nachgewiesenen Fälle des Betrugs eher gering. Antje Teufel, Leitern der Stuttgarter Sonderprüfgruppe:

    "Das bewegt sich alles im minimalen Bereich. Zum einen lässt sich keine Zahl insgesamt sagen und für die Einzelbetriebe, aus der Erinnerung der letzten vierzehn Tage sind es zwei oder drei Fälle gewesen, wo wir vor Ort Leistungsmissbrauch feststellen konnten. Aber das sind dann maximal vierstellige Beträge gewesen, das waren kleinere Betriebe."
    Das Gros der bundesweit 1032 Verdachtsfälle erwies sich als harmlos oder unbegründet. 188 Fälle aber sind im Februar wegen des Verdachts des systematischen Betrugs von den Arbeitsagenturen an die zuständigen Staatsanwaltschaften übergeben worden. Am häufigsten geschah das in Nordrhein-Westfalen, am seltensten in Hamburg. Baden-Württemberg liegt in der statistischen Mitte. Claudia Krauth von der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, sagte im Januar:

    "Die Ermittlungsverfahren, die derzeit bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft laufen, halten sich, überraschenderweise möchte ich fast sagen, im einstelligen Bereich. Derzeit haben wir sieben Ermittlungsverfahren. Wir gehen von einer recht hohen Missbrauchsquote aus und denken daher, dass es eine große Dunkelziffer gibt. Die Hauptproblematik ist, dass viele anonyme Anzeigen gemacht werden, ohne Absender und ohne die Möglichkeit, dass wir nachfragen können. Wenn wir dann versuchen möchten, weitere Beweismittel zu sichern, ist es eine Möglichkeit, einen Durchsuchungsbeschluss zu beantragen. Für diesen brauchen wir aber konkrete Daten und Fakten, die wir eben dann in der Regel bei anonymen Anzeigen nicht haben. Insofern sind uns da die Hände gebunden, und wir müssen viele Anzeigen folgenlos einstellen, weil wir einfach nicht die Möglichkeit haben, die notwendigen Fakten zu sammeln."
    Wird ein Unternehmen des Leistungsmissbrauchs überführt, erfüllt dies den Straftatbestand des Betrugs im besonders schweren Fall. Hierfür sieht der Gesetzgeber Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren vor. Entsprechende Gerichtsverhandlungen und Urteile stehen jedoch noch aus.

    "Dass es eine Qualifikation des besonders schweren Falls ist, liegt in der Regel daran, dass, wenn ein Arbeitgeber Kurzarbeit beantragt, sehr schnell, sehr viele Leistungen gewährt werden, also sehr hohe Zahlen, und dadurch auch recht schnell ein hoher Schaden erreicht wird, der dann dazu führt, dass die Gerichte in der Regel auch Freiheitsstrafen ohne Bewährung aussprechen."
    Was bleibt ist die Angst davor, die vielen Kurzarbeiter im Südwesten könnten am Ende doch noch in der Arbeitslosigkeit landen. In der Metallbranche versucht man, mit einem neuen Instrument gegenzusteuern: Im Februar einigten sich die IG Metall und der Arbeitgeberverband Gesamtmetall auf einen Tarifvertrag, der als einzigartig gewertet werden darf. Denn: In der größten Wirtschaftskrise der letzten 80 Jahre verständigten sie sich auf eine sogenannte tarifliche Kurzarbeit. Jörg Hofmann, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg

    "Sie kommt dann zum Zuge, wenn die konjunkturelle nicht mehr geht. Entweder die Bezugsdauer ist ausgelaufen, 24 Monate sind erfüllt. Da werden wir die ersten Betriebe hier in Baden-Württemberg ab September, Oktober haben, wo das der Fall sein wird. Dann müssen die Betriebe aus der Kurzarbeit raus und können dann frühestens nach drei Monaten wieder in die konjunkturelle Kurzarbeit rein. Für diesen Zwischenschritt ist die tarifliche Kurzarbeit gedacht. Oder – für den Sachverhalt: Die sachlichen Voraussetzungen für konjunkturelle Kurzarbeit sind nicht mehr gegeben, weil das Arbeitsamt sagt, ihr habt kein konjunkturelles Problem, sondern ein anderes. Dann kann tarifliche Kurzarbeit greifen."
    Ein Novum in der deutschen Tarifgeschichte. Gemeinsames Ziel von Gewerkschaft und Arbeitgebern ist es, mit diesem neuen Instrument bis ins Jahr 2012 Massenentlassungen zu verhindern. Denn auch während der tariflichen Kurzarbeit kann dem Beschäftigten in der Automobilindustrie oder dem Maschinenbau nicht betriebsbedingt gekündigt werden.
    Auch in der tariflichen Kurzarbeit besteht die Möglichkeit, die reguläre Arbeitszeit von 35 Stunden auf bis zu 28 Stunden zu reduzieren. Die Beschäftigten haben Anrecht auf einen Teillohnausgleich. Das heißt: Für 28 Stunden reale Arbeitszeit etwa erhält der Arbeitnehmer ein Entgelt wie für 29,5 Stunden. In Baden-Württemberg können Betriebsräte eine tarifliche Kurzarbeit in ihrem Unternehmen sogar erzwingen.
    Der Tarifexperte Reinhard Bahnmüller begrüßt die gefundene Einigung. Der Geschäftsführer des universitätsnahen Tübinger Instituts für Arbeit, Technik und Kultur, spricht von einem zeitgemäßen Ansatz, um die Krise anzugehen.

    "Da gebe ich Herrn Hofmann schon recht, wenn er sagt, dass jetzt im Herbst, spätestens im Herbst, bei vielen Betrieben die Grenze erreicht sein wird, und sie dann eigentlich zur Entlassung gedrängt werden. Und, um das zu verhindern, haben sie sich eben diese Kurzarbeit einfallen lassen, um diese Lücken zu schließen, die in den gesetzlichen Bedingungen da sind."
    Bahnmüller weiß, dass Gewerkschaft und Arbeitgeber hier bis an den Rand des jeweils Möglichen gegangen sind. Beide Seiten sind offensichtlich sehr stark daran interessiert, die industrielle Kernstruktur im Land zu erhalten.

    "Ich würde sagen, das ist eine kreative Idee gewesen, das so zu machen. Es ist immer das Problem, wenn man dann in so eine lange Strecke, über staatliche Zuschüsse, jetzt eben über tarifliche Konstruktion, die gewählt wird, durchstehen will, ob man da auch ein bisschen Gift streut, sozusagen, dass man sich an diese Dinge gewöhnt und nicht mehr richtig rauskommt. Bei der Mehrheit der Betriebe sehe ich die große Bereitschaft, und auch bei den Beschäftigten, aus der Situation herauszukommen, weil sie kostet Geld."
    Dringend angewiesen sind die Tarifparteien auf die Bundesregierung. Sie forderten den Bund auf, über das Jahr 2010 hinaus durch die Bundesagentur für Arbeit die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge zu übernehmen. Noch bis Ende des Jahres müssen Unternehmen in Kurzarbeit ab dem siebten Monat keine Sozialabgaben bezahlen. Eine Regelung, die die Tarifparteien bis Mitte 2012 verlängert wissen wollen. Geschieht das nicht, müssen die Firmen ab dem Jahr 2011 wieder Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge auf Basis von 80 Prozent des Vollzeitlohns abführen. Für den Fall, dass der Staat die aufs Kurzarbeitergeld fälligen Sozialabgaben nicht länger als geplant übernimmt, hat Gesamtmetall bereits angekündigt, den jüngst geschlossenen Vertrag wieder zu kündigen.
    In verschiedenen Medien ließ das Bundesarbeitsministerium verbreiten, eine Verlängerung der bestehenden Regelung bis Ende 2011 werde geprüft. Noch aber müssen Detailfragen der Finanzierung geklärt werden.

    "Die Tarifpartien haben auch mit dem Lohnabschluss mit 2,7 Prozent ab 2011 für meine Begriffe ein Zeichen gesetzt, wir gehen davon aus, dann werden wir einigermaßen so solide sein, dass wir das auch wieder finanzieren können. Ich finde, das ist auch ein symbolisches Zeichen von was sie wenigstens mal ausgehen, was kommen wird."
    Dabei gehen beide Seiten - Arbeitnehmer und Mitarbeiter – bis an die Grenzen dessen, was noch finanzierbar ist. Für die Beschäftigten ist der Weg ohnehin alternativlos, gerade in der Metall- und Elektrobranche gibt es für gering qualifizierte Arbeitskräfte derzeit keine Jobs mehr.

    "Das Volumina, das die Beschäftigten da einbringen, da geht es ja um Zeiträume von 24 Monaten und länger, die man da in Kurzarbeit ist, die Bundesagentur für Arbeit hat das mal kalkuliert mit acht Milliarden Euro, in dieser Größenordnung, die dann Einbußen bei den Beschäftigten sind. Aber auch Unternehmen, will ich nochmals unterstreichen, gehen da momentan bis an die Grenze dessen, was sie momentan noch leisten können. Und das finde ich bemerkenswert."

    Auch bei Bosch, dem weltgrößten Autozulieferer, versucht man, mit einem auf die Solidarität aller Beteiligten setzenden Modell der Krise zu trotzen. Die rund 60.000 deutschen Mitarbeiter sollen die Kosten der Kurzarbeit mittragen und im Gegenzug eine Jobgarantie bis Ende 2012 erhalten. Eine entsprechende Vereinbarung wird in diesen Wochen zwischen Unternehmensführung und Betriebsrat verhandelt. Vorbild ist der mit knapp 12.000 Mitarbeitern weltweit größte Bosch-Standort in Stuttgart-Feuerbach. Management und Betriebsrat haben hier vereinbart, dass alle Mitarbeiter auf bis 1,5 Prozent ihres Jahreseinkommens verzichten werden. Die Reglung gilt für Bandarbeiter sowie Topmanager. Mit dem Geld wird ein Fonds gespeist, aus dem das Unternehmen knapp die Hälfte der Mehrkosten der Kurzarbeit abdecken kann. Hartwig Geisel, Betriebsratsvorsitzender in Feuerbach:

    "Hauptansatz von dem Modell war, dass wir mit allen durch die Krise kommen. Der zweite Punkt war, dass sich auch die Firma an den Kosten beteiligt, und der dritte Aspekt war, dass wir die Belastungen für alle gleich verteilen."
    Der Betriebsrat findet das bemerkenswert und gerecht. Denn die Hauptleidtragenden der krisenbedingten Auftragseinbrüche seien bislang immer nur die Mitarbeiter in der Fertigung gewesen. Ob sich bundesweit alle 60.000 Bosch-Mitarbeiter am Solidaritätsmodell beteiligen werden, entscheidet sich in Bälde.

    "Da sind wir momentan noch in einem engen Austausch mit den Standorten. Ich sage zum Beispiel der Standort Schwieberdingen, das ist reine Forschung und Entwicklung, die haben jetzt keine Kurzarbeit, aber auch da ist der Solidargedanke sehr hoch und die Bereitschaft auch sehr hoch, sich an so einem Konzept zu beteiligen. Da sind wir auch sehr froh darüber, und das zeichnet auch ein Stück auch unsere Kultur aus, die wir hier haben."
    Ist es die Kultur des Zusammenhalts, oder ist es Angst? Die Angst davor, jetzt in der Krise den sicher geglaubten Arbeitsplatz bei Bosch zu verlieren? In Feuerbach wurden in den vergangenen Jahren bereits über 1000 Arbeitsplätze sozialverträglich abgebaut. An den Standorten im Ausland werden zurzeit Mitarbeiter entlassen: 900 Mitarbeiter in Brasilien, 2000 in Tschechien; das Werk in Süd-Wales mit 900 Mitarbeitern wird geschlossen.
    Angesichts solcher Zahlen fällt es dem einen oder anderen deutschen Bosch-Mitarbeiter nicht wirklich schwer, auf Lohn zu verzichten.

    "Die letzten Jahre war es immer so, dass eigentlich immer nur die Fertigung die Zeche zahlen musste, wenn es dem Unternehmen mal nicht so rosig ging. Und diesmal ist es so, dass alle betroffen sind: vom Entwickler bis zum Anlagebediener bis zum Hilfsarbeiter. Das ist die erste Betriebsvereinbarung, wo alle Leute sich beteiligen."

    Ein Beispiel, das Schule machen könnte. Denn bei Bosch tragen die oberen Etagen ihren Beitrag zur Solidarität bei, betont Betriebsrat Andreas Hiebel.

    "Wobei das für unsere Entwicklungsingenieure neu ist. Warum? Weil eben diese Arbeit, diese Projekte, diese Zukunftsprojekte, nicht in diesem Maße zurückgegangen sind wie in der Fertigung."
    Ob mit staatlich geförderter Kurzarbeit oder mit der nun für die Metall- und Elektrobranche vereinbarten tariflichen Kurzarbeit, feststeht: der Arbeitsmarkt gewinnt Zeit. Zeit, die dringend nötig sein wird, um den anstehenden Strukturwandel in fast allen industriellen Bereichen zu bewältigen. Arbeitsmarktexperte Bahnmüller:

    "Also nicht ruhig zu bleiben in dieser Phase und abzuwarten bis der ganze Zirkus so weitergeht, wie er vorher war. Der wird nicht mehr so weitergehen. Aber das, was jetzt in dieser Phase ansteht, meines Erachtens, und wo sich die Tarifparteien zurecht bemüht haben, ist, zu sagen, wir müssen bestimmte Strukturen halten, wir müssen bestimmte Cluster halten, wir müssen gucken, dass diese Wertschöpfungsketten, die uns hier starkgemacht haben, dass die nicht zerschlagen sind, bis wir wieder aus der Krise rauskommen."
    Als kritisch schätzt er die extreme Exportabhängigkeit Baden-Württembergs ein. Bahnmüller, dessen Forschungsinstitut sich vornehmlich mit dem sozialen und kulturellen Wandel in der Arbeitswelt beschäftigt, glaubt, dass die guten Zeiten gerade im Südwesten mit seinen Standbeinen Automobilindustrie und Maschinenbau vorbei sind. Und zwar endgültig.

    "Weil der große Staubsauger USA, der uns viel von unseren Exportartikeln abgenommen hat, in der Weise nicht mehr so funktionieren kann. Weil kein Mensch wird so verrückt sein, so eine kreditfinanzierte Ökonomie, wie es die USA war, weiter so am Leben zu erhalten. Deswegen, glaube ich, muss perspektivisch umgedacht werden, aber, da braucht man Zeit."
    Die auf Tarifebene vereinbarte Kurzarbeit eignet sich, um Zeit zu gewinnen, glaubt Bahnmüller. Doch gelöst ist das Strukturproblem in Baden-Württemberg noch lange nicht.