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Rituale der "Hexen"
Heia Walpurgisnacht! Der wilde Ritt zum Blocksberg

Um die Nacht vom 30. April zum 1. Mai ranken sich wilde Legenden - mit grausamen Folgen: Besessene Frauen feiern angeblich am Feuer eine Orgie mit dem Teufel. In der Zeit der Hexenverfolgung gestanden die Angeklagten unter Folter den Pakt mit dem Bösen. Ein Todesurteil und eine Einladung zur Denunziation.

Von Ana Suhr |
Hexen-Darstellung, entstanden um 1880
Hexen-Darstellung, entstanden um 1880 (imago / ThexHolbarnx / Archive Leemage )
"Als sie mit ihrem Besen auf dem Blocksberg ankam, waren die großen Hexen schon alle versammelt. Sie tanzten mit fliegenden Haaren und flatternden Röcken rund um das Hexenfeuer. Es mochten wohl alles in allem fünf- oder sechshundert Hexen sein. Berghexen, Waldhexen, Sumpfhexen, Windhexen, Knusperhexen und Kräuterhexen. Sie wirbelten wild durcheinander, schwangen die Besen, meckerten, krähten und kreischten, ließen es donnern, schleuderten Blitze und sangen 'Heia Walpurgisnacht', das alte Hexenlied." (Otfried Preußler: Die kleine Hexe)
So schildert der Schriftsteller Otfried Preußler in seinem Buch "Die kleine Hexe" das wilde Treiben in der Walpurgisnacht auf dem Blocksberg – gemeint ist damit der Brocken im Harz. Dass in unserer heutigen Vorstellung die Begriffe Hexentanz, Blocksberg und Walpurgisnacht fest miteinander verbunden sind, geht laut Thomas Becker auch auf dieses Kinderbuch zurück.
"Wirklich populär geworden ist die Walpurgisnacht als Tanz der Hexen durch 'Die kleine Hexe' von Otfried Preußler, wo das Ganze mit den Hexen auf eine sehr nette, niedliche Weise wiedergegeben wird. Und da ist natürlich für jedes Kind schon heute 'Heia Walpurgis' als Freudenausruf völlig geläufig."
"Die kleine Hexe": Eine rebellische Kinderheldin feiert Geburtstag
"Die kleine Hexe" von Otfried Preußler wirbelt seit 1957 deutsche Kinderzimmer durcheinander. Gegen die Vorgaben der Älteren handeln und lustvoll Grenzen überschreiten – so probiert sich die junge Heldin aus. In der damaligen Literatur ein Novum.
Der Historiker Thomas Becker lehrt und forscht an der Universität Bonn. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte des Rheinlandes in der Frühen Neuzeit und die Hexenverfolgung. Das ist nicht zu übersehen, wenn man in sein Büro kommt: Im Bücherregal tummeln sich zahlreiche Hexenfiguren. Die Geschichte von der "Kleinen Hexe" findet er bezaubernd.

Gute oder böse Hexen?

Wer überhaupt als eine Hexe angesehen wird, hat sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert - genau wie die Zuschreibung: gut oder böse?
"Die Hexe ist eigentlich in der Vorstellung einerseits des Gelehrtendiskurses, aber andererseits auch der Volksmythologie eine durch und durch böse Person", meint Thomas Becker.
Die Volkskundlerin Dagmar Hänel leitet das Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte des Landschaftsverbands Rheinland. Dort forscht sie über Rituale, Religiosität und Alltagskultur in Geschichte und Gegenwart. Sie sieht das etwas anders: "Es gibt aber durchaus auch andere kulturelle Vorstellungen von Hexen als Frauen mit besonderem Wissen, die beispielsweise in der mittelalterlichen oder auch noch älteren Geburtshilfe eine wichtige Rolle gespielt haben, in der Medikalkultur eine Rolle gespielt haben, wo eine andere Form von Wissen vorhanden und tradiert war. Diese Verschiebung von einem neutralen Menschen mit einem anderen Wissenssystem, die ja auch nützlich waren für die Dorfgemeinschaft beispielsweise, bis hin zum ultimativen Bösen dann in der Hochzeit der Hexenverfolgung."
Volkskundlerin Dagmar Hänel sitzt am Arbeitstisch
Volkskundlerin Dagmar Hänel unterstreicht die Vorstellung von Hexen als Frauen mit besonderem Heilwissen (Deutschlandradio / Ana Suhr)
Die Hexenverfolgung in Europa begann ab dem 15. Jahrhundert. In der Übergangszeit zwischen dem späten Mittelalter und der frühen Neuzeit waren es zunächst Gelehrte, die theoretische Schriften über vermeintliche Hexen verfassten. In denen kristallisierte sich allmählich die Idee heraus von einer Gruppe von Menschen, die sich mit dem Teufel verschworen hatten, erklärt Thomas Becker: "Und diese Idee – dieser theoretische Diskurs könnten wir auch sagen – fand seine Vervielfältigung durch das Baseler Konzil. Dort waren eben Kirchenmänner aus ganz Europa zusammengekommen. Die hörten sich diese moderne, neue Lehre an und nahmen sie mit sich."

Etwa drei Millionen Opfer der Hexenverfolgung

Ende des 15. Jahrhunderts kam eine weitere scholastische Schrift hinzu. Der Dominikanermönch Henricus Institoris veröffentlichte den "Hexenhammer", ein Traktat wider die vermeintlich schwarze Magie – eine laut Autor gefährliche weibliche Verirrung. Die Lehren über angebliche Hexen und Hexenzauber verbreiteten sich in rasantem Tempo über ganz Europa. In der Frühen Neuzeit, einer Zeit des beginnenden Humanismus, des geistigen und kulturellen Aufbruchs, der Entdeckungsfahrten und auch der Reformation begann ein Blutvergießen bis dato nicht gekannten Ausmaßes. Ihren Höhepunkt erreichte die Hexenverfolgung zwischen den Jahren 1550 und 1650. Schätzungen zufolge wurde etwa 3.000.000 Menschen der Prozess gemacht, sie wurden gefoltert, zehntausende von ihnen zum Tode verurteilt und verbrannt.
"Also, das ist ein ganzes Bündel von Ursachen, die zu dieser unglaublichen Massenveranstaltung, des Massentötens am Ende auch, geführt hat", sagt Volkskundlerin Dagmar Hänel. In dieser Zeit taumelten die Menschen von einer Krise in die nächste: "Wir reden hier von klimatischen Veränderungen, von der sogenannten Kleinen Eiszeit, die dazu geführt hat, dass es Starkwetterereignisse gegeben hat. Hagel, Unwetter, alles Dinge, die eine agrarische Gesellschaft existenziell betreffen. Also im falschen Moment der Hagelsturm und dann ist die Ernte futsch. Was bedeutet, dass dann Hunger ansteht, tatsächlich. Hunger, Verarmung, Vertreibungen, Entvölkerung auch ein Stück weit. Dann kommen immer wieder Epidemien dazu, immer wieder flackert die Pest auf. Und wir haben diverse Kriegsereignisse in dieser Zeit ebenfalls, wo eine Gewalterfahrung, Zerstörungserfahrung da ist."
Nicht Pandemien waren für die hohe Kindersterblichkeit verantwortlich, nicht Missernten und schlechte hygienische Verhältnisse. Nein, da mussten übernatürliche Kräfte im Spiel sein, die den Menschen Böses wollten! Da kam die neue Hexenlehre gerade recht. Becker: "Die Personen, die nach dem gelehrten Hexenbegriff beschuldigt wurden, waren nicht mehr die typischen Vertreter einer Schadenszauberei, wie man das seit Jahrtausenden in verschiedensten Kulturen fand, sondern es waren Verschwörer, die sich bewusst und zwar mittels eines richtigen Pakts, eines Vertrags, von Gott abgewandt und dem Teufel zugewandt hatten."

Hexenglaube verbreitet sich mit dem Buchdruck

Nach und nach vermischte sich dieser Gelehrtenglaube immer mehr mit volkstümlichen Vorstellungen einer Hexe. Mit der Erfindung des Buchdrucks gab es auf einmal ein Medium, das für eine schnelle und weite Verbreitung des Hexenglaubens unerlässlich war. Da ein Großteil der Bevölkerung noch immer nicht lesen konnte, wurden die Geschichten mit reißerischen Holzschnitten bebildert.
Auf dem Bild zu sehen, ist der sogenannte Hexenhammer (Malleus Maleficarum), Grundlage der jahrhundertelangen hysterischen Hexenverfolgung. Das Buch wurde 2012 im Religio-Museum in Telgte (Kreis Warendorf) als Teil der Schau "Alles über Aberglaube - Erste Schau im neuen Religionsmuseum" gezeigt.
Der sogenannte Hexenhammer (Malleus Maleficarum), Grundlage der jahrhundertelangen hysterischen Hexenverfolgung (picture alliance / dpa | Friso Gentsch)
Dagmar Hänel: "Der Glaube, wie so eine Hexe aussah oder was sie so alles gemacht hat, der verbreitet sich dann auch beispielsweise durch Flugblätter. Und das wird massiv und unglaublich populär, beispielsweise die Frau, die mit einer Flugsalbe ihren Besen bestreicht und damit fliegen kann."
Thomas Becker: "Die katholische Kirche hat sich sehr lange ganz stark dagegen gewehrt, dass es so etwas geben könne. Es war sogar im Kirchenrecht verboten, so etwas zu behaupten. Das hat sich allerdings dann irgendwann gewandelt. Die Vorstellung, dass Hexen durch die Luft fliegen, hatte sehr viel damit zu tun, dass man davon ausging, der Teufel verleiht ihnen besondere Fähigkeiten oder besondere Gegenstände, mit denen sie etwas Besonderes tun können. Also im Grunde genommen geht es hier um die Macht des Teufels."

Orgiastisches Treiben mit dem Teufel

Die Menschen, die eine solche Hexenmacht vom Teufel erhalten hatten, waren laut Gelehrtenliteratur dazu aufgerufen, sich regelmäßig mit ihrem neuen Herrn zu treffen. Heute werden diese Zusammenkünfte Hexensabbat genannt, in den damaligen Hexenprozessen tauchte diese Bezeichnung aber nur selten auf. Auch eine klare räumliche und zeitliche Zuordnung gab es zunächst noch nicht. Die Vorstellungen vom Tanz in der Walpurgisnacht und auf dem Blocksberg waren noch nicht allgemein verbreitet. Sie wurden erst später populär – zu einer Zeit, in der die Hexenverfolgung ihren traurigen Höhepunkt bereits überschritten hatte.
Die Treffen mit dem Teufel hatten unbemerkt von der Bevölkerung stattzufinden. Daher wurden die Hexen durch die Macht des Teufels unsichtbar gemacht. So konnten sie sich umso hemmungsloser dem wilden, ausschweifenden Treiben hingeben. Becker: "Der Mythos vom Hexensabbat sieht eine Feier vor, die in ihren Formen den üblichen Festen einer Gemeinschaft im Dorf oder einer kleinen Stadt folgt. Wobei alles immer umgedreht war, also die verkehrte Welt des Teufels, die nur Schein ist und nichts Wirkliches vermag. Das heißt, es gab immer eine große Tafel mit Speisen und Getränken. Die Speisen sättigten nicht; das, was es zu trinken gab, das löschte nicht den Durst. Es gibt eine ganz merkwürdige Idee des Huldigungskusses. Der Huldigungskuss wird auf den After des Teufels gegeben. Das wirkt für uns heute sehr obszön und hat natürlich dann auch eine erotische Implikation."

"Wer eine Hexe denunziert, wird am Vermögen beteiligt"

Das angeblich orgiastische, erotische Zusammensein mit dem Teufel weckte in der Bevölkerung die wildesten Phantasien, und viele der angeklagten Personen gestanden während ihrer teilweise monatelangen Gefangenschaft und unter Folter schließlich auch einen Flug zum Hexenfest und den angeblichen Pakt mit dem Teufel. Eine Flut von Hexenprozessen überrollte ganz Europa. Wer nicht in die Gemeinschaft passte, zu viel wusste oder sich auch nur irgendwie verdächtig machte, wurde kurzerhand der Hexerei bezichtigt. Wer damals wen denunzierte, das hatte auch viel mit internen Machtstrukturen zu tun, mit Nachbarschafts- oder Erbstreitigkeiten. Denn:
"Wer eine Hexe denunziert, wird am Ende, wenn das Vermögen der verurteilten Hexe verteilt wird, beteiligt. Das war natürlich auch ein wirtschaftliches Interesse der Menschen. Ja, Leute, die im Weg standen, konnte man in der Zeit sehr, sehr einfach mit einem Vorwurf loswerden", so Dagmar Hänel.

Weltliche Gerichte, kirchliche Propaganda

Verhandelt wurden die Hexenprozesse vor weltlichen Gerichten. Sie waren beispielsweise für Verfahren gegen Schadenszauber zuständig. Der Pakt mit dem Teufel hingegen fiel in den Bereich der Inquisition, der kirchlichen Strafverfolgung. Der Teufelspakt galt als Ketzerei, dafür waren körperliche Strafen vorgesehen. Die durften geistliche Gerichte allerdings nicht selbst vollstrecken. So landeten schließlich auch diese Verfahren bei weltlichen Richtern. Folter als juristisches Werkzeug war bei ihnen nicht nur anerkannt und akzeptiert, sondern wurde bei Hexenprozessen auch regelmäßig angewendet. Das barg für die Denunzianten allerdings auch Gefahren: "Eine Standardfrage war: Wer macht sonst noch mit? Wer gehört zum Hexenzirkel dazu? Und unter Folter gestehen Menschen eigentlich so gut wie alles, und dann wurden auch andere genannt. Und dann mussten Denunzianten auch aufpassen, dass sie dann nicht plötzlich selber unter der Folter von der Angeklagten oder dem Angeklagten denunziert wurden, denn dann waren sie die nächsten. Das war oft so eine Kettenreaktion", so Dagmar Hänel.
Historiker Thomas Becker vor Hexenfiguren in seinem Büro
Ein Schwerpunkt des Historikers Thomas Becker ist die Zeit der Hexenverfolgung (Deutschlandradio / Ana Suhr)
Thomas Becker: "Und was wir vor allen Dingen in Deutschland haben, wo wohl die meisten Hexenprozesse geführt worden sind, ist eine Verfolgung, wo die Kirche eigentlich nur noch im Hintergrund ist – 'die Kirchen' muss man im Grunde genommen richtiger sagen –, wo diese Idee der Hexenverfolgung auch gerne aufgenommen worden ist, zum Beispiel in den Predigten, in der propagandistischen Beeinflussung der eigenen Gläubigen. Aber es war nicht die Inquisition, die Tausende von Menschen auf den Scheiterhaufen gebracht hat, sondern es waren die weltlichen Gerichte."

Kriege, Verwüstung, Krankheit

Die Scheiterhaufen begannen zu brennen in einer Zeit, in der Europa vor einer konfessionellen Spaltung stand. Seit Beginn der Reformation gab es Spannungen zwischen katholischen und protestantischen Landesfürsten. Diese jahrzehntelang schwelenden Konflikte entluden sich schließlich im Ausbruch mehrerer großer Religionskriege, die rückblickend als Dreißigjähriger Krieg bezeichnet wurden. Der ohnehin schon gebeutelten Bevölkerung setzten die Schrecken dieses endlos langen Krieges und seiner flächendeckenden Verwüstung enorm zu. Aber auch für die Kirche hatte das Auswirkungen.
Dagmar Hänel: "Dazu kommt ein Punkt, dass sich in dieser Zeit auch Rechtsverständnisse, Rechtsverhältnisse verändern, dass es also kirchliche, konfessionelle Streitigkeiten gibt, sodass man deutlich sehen kann, dass die Kirche ihre Vormachtstellung ganz, ganz deutlich verliert. Hexerei als ein kirchliches Verbrechen, das über die Inquisition verfolgt wurde, das ist auch ein Versuch, diese Machtstellung zu behalten und die Definition über das, was gutes, richtiges Verhalten ist, bei der Kirche zu belassen."
Vor allem in protestantisch regierten Gebieten wurde Hexerei besonders stark verfolgt, denn Martin Luther war überzeugt von der Theorie des Teufelspaktes. In einer Predigt wetterte er:
"Es ist ein überaus gerechtes Gesetz, dass die Zauberinnen getötet werden, denn sie richten viel Schaden an […] Also sollen sie getötet werden, nicht allein weil sie schaden, sondern auch, weil sie Umgang mit dem Satan haben." (Martin Luther: Predigt am 6. Mai 1526. WA 16,551 f.)

Das Lehrbuch zur Walpurgisnacht

Kurz nach Ende des Dreißigjährigen Krieges hatte die Hexenverfolgung ihren Höhepunkt erreicht und begann ganz allmählich abzuebben. 1669 erschien ein Buch, das als eine Art Lehrbuch des angeblichen Hexenwesens gesehen werden kann. Es ist eine Zusammenstellung unterschiedlichster Schriftquellen über Hexen: zeitgenössische Verhörprotokolle und Prozessakten, aber auch ältere Quellen aus dem Mittelalter und der Antike: Geschichten und Sagen oder Bibelstellen und theologische Betrachtungen. Der Herausgeber nannte sich Johannes Praetorius. Sein Buch trägt den sperrigen Titel:
"Blockes-Berges Verrichtung oder ausführlicher geographischer Bericht von den hohen trefflich alt- und berühmten Blockes-Berge: ingleichen von der Hexenfahrt und Zauber-Sabbathe, so auff solchen Berge die Unholden aus gantz Teutschland Jährlich den 1. Maij in Sanct-Walpurgis-Nachte anstellen sollen"
Praetorius nennt in diesem Titel alle Begriffe, die heute noch mit der Vorstellung der Walpurgisnacht verbunden sind. Thomas Becker bezeichnet das Werk als ein reißerisch aufgemachtes Sachbuch, in dem Praetorius zum ersten Mal ganz konkret "das Treffen von Hexen und Zauberern auf dem Brocken im Harz festlegt und als Termin auf den 1. Mai. Das war vorher keineswegs geläufig, es kam nur mal zufällig lokal vor, und das wird aber mit diesem Buch viel stärker schon adaptiert und wird zu einer gewissen Verfestigung dieser Idee, die aber nicht wirklich allgemein populär geworden ist."

Goethes "Faust" und die Brüder Grimm

Ab dem beginnenden 18. Jahrhundert gab es kaum noch Hexenprozesse und auch die Zahl der ausgesprochenen Todesurteile nahm merklich ab. Die vermutlich letzte Hinrichtung auf deutschem Boden fand 1756 statt, der allerletzte deutsche Hexenprozess war im Jahr 1775. Das Thema Hexen aber faszinierte die Bevölkerung noch immer. War es vorher das Schaudern der sensationsgierigen Zuschauer bei den Hexenprozessen, so gab es nun eine zunehmende literarische Faszination für Hexen.
"Richtig populär wird das Ganze eigentlich erst durch Goethes 'Faust'. Der 'Faust 1' hat eine Walpurgisnacht-Szene. Dieses Stück verbreitet sich unglaublich und mit dem Moment wird die Walpurgisnacht auf dem Brocken zu dem Topos überhaupt", sagt Dagmar Hänel.
Die Hexen zu dem Brocken ziehn, / Die Stoppel ist gelb, die Saat ist grün. / Dort sammelt sich der große Hauf, / Herr Urian sitzt oben auf. / So geht es über Stein und Stock, / Es farzt die Hexe, es stinkt der Bock. (Goethe: Faust)
Der deutsche Schauspieler, Regisseur und Theaterintendant Gustaf Gründgens als Mephisto in einer Szene von Goethes Faust II in einer von ihm im Jahr 1959 am Deutschen Schauspielhaus Hamburg inszenierten Aufführung.
Der deutsche Schauspieler, Regisseur und Theaterintendant Gustaf Gründgens als Mephisto (picture-alliance / dpa / Herold)
Goethes Beschreibung der Walpurgisnacht geht direkt auf Praetorius’ Hexenbuch zurück. Mit "Herrn Urian" – manchmal auch "Meister Urian" – ist der Teufel gemeint. Becker: "Das, was wir von Goethes Faust kennen, hat natürlich seit dem frühen 19. Jahrhundert unser Denken geprägt. Der Faust ist nun mal die Lektüre, die man in der Schule irgendwann gemacht haben muss." Aber nicht nur Goethe ließ sich von Praetorius inspirieren.
Auch die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm griffen auf die umfangreiche Sammlung von Praetorius’ Hexengeschichten zurück, nannten sein Buch sogar "die bedeutendste schriftliche Quelle für ihre Sammlungen". Die Grimms haben mit den Geschichten in ihren "Kinder- und Hausmärchen" bis heute unser Bild der unheimlichen Hexe geprägt. Genau diesem bösen Hexenbild wollte Otfried Preußler etwas entgegenstellen. Deshalb erfand er 1957 die Geschichte von der "Kleinen Hexe", die den Menschen nur Gutes wollte, und die doch so gerne in der Walpurgisnacht zusammen mit den großen Hexen auf dem Blocksberg tanzen wollte.

Die heilige Walburga

Die Nacht des Hexentanzes bekam ihren Namen von der Heiligen Walburga, die im 8. Jahrhundert lebte und wirkte. Thomas Becker: "Die heilige Walburga war eine angelsächsische vornehme Frau. Sie lebte vermutlich in einem Kloster in Devonshire und wurde von ihrem Onkel, dem heiligen Bonifatius, aufgefordert, zur Mission nach Deutschland zu kommen. Sie hat im Kloster von Lioba in Tauberbischofsheim gelebt, bis sie dann von einem ihrer beiden Brüder, die ebenfalls auf Mission gegangen waren, nach Heidenheim gerufen wurde."
Dort gab es ein Doppelkloster, das als mächtiger Missionsstützpunkt galt und von ihrem Bruder Wunibald gegründet wurde. Nach dessen Tod übernahm Walburga die Leitung dieses Klosters. Das machte sie zu einer der bedeutendsten Frauen des damaligen christlichen Europas. Ihr Todestag ist nicht genau überliefert, dafür aber der Tag ihrer Heiligsprechung: Es war ein 1. Mai – vermutlich um das Jahr 870.
Thomas Becker: "Seit dem neunten Jahrhundert wird sie lokal dort als Heilige verehrt, wo sich dann andere Überlieferungen, andere Bräuche mit verbunden haben, die jetzt ebenfalls auf den 1. Mai fielen und die dann irgendwann zu dieser Idee geführt haben, dass das der Termin sei, wo Hexen und Zauberer sich zu einem gemeinsamen Tanz treffen. Eigentlich hat die Heilige Walburga mit der Idee des Hexentanzes an diesem Tag nicht das Geringste zu tun."
Dagmar Hänel: "Interessant ist, dass sie als Heilige die Schutzpatronin ist vor der Pest, der Tollwut, sie hilft bei Sturm und Unwetter, bei Missernten und ist die Schutzpatronin der Wöchnerin, also auch für eine gute Geburt. Ich finde schon, da kann man durchaus ganz, ganz viele Aspekte des Hexenglaubens genau mit diesen Aspekten assoziieren."
Die Anrufung der Heiligen Walburga soll also gegen alles das schützen, weswegen vor allem Frauen während der über 300-jährigen Zeit der Hexenverfolgung angeklagt, verurteilt und ermordet wurden.