Sonntag, 28. April 2024

Archiv

Romantische Ruine
Katharina von Bora im Kloster Nimbschen

Die wohl berühmteste Nonne im Zisterzienserinnenkloster Marienthron hieß Katharina von Bora: Das "Dornröschen der Reformation" verbrachte seine Jugend im Kloster Nimbschen, bis sie im April 1523 mit acht weiteren Nonnen unter dem Einfluss Martin Luthers nach Wittenberg floh. Dort wurde sie zwei Jahre später Luthers Ehefrau.

31.10.2017
    Katharina von Bora, wie die Künstlerin Alin Klass (1992) sie sieht.
    Katharina von Bora, wie die Künstlerin Alin Klass (1992) sie sieht (Deutschlandradio / Christiane Florin)
    "Im Muldental, auf grüner Au'
    Dort ragt zerfall’n ein alter Bau
    Umrankt von Grün ist sein Gemäuer.
    Dem Wanderer ist der Anblick teuer. -
    Das Kloster Nimbschen einst hier stand
    Umflochten von der Sage Band."
    Der Rest einer Pforte, zum Teil abgebrochene Außenmauern des Kapitelsaales und des östlichen Klausurbaus mit den Fensterhöhlen der einstigen Schlafkammern im Obergeschoss.
    Die Kreisstadt Grimma liegt hinter mir. Bevor die Bundesstraße in den Wald hinaufführt, biege ich nach links ab, zur Ruine. Die Zufahrtsstraße verläuft an der früheren Schmiede, der heutigen Klosterschänke vorbei und vorbei an einer vor wenigen Jahren neu gebauten, schlichten, hellen Hochzeitskapelle.
    Katharina von Bora – das "Dornröschen der Reformation"
    Vor über 480 Jahren war hier reges Treiben: Schafe, Rinder, Roggen, Gerste, Hopfen und Rüben, ora et labora – bete und arbeite - Schweigen, sehr frühes Aufstehen und oft kalte Füße. Die wohl berühmteste Nonne im Zisterzienserinnenkloster Marienthron hieß Katharina von Bora. Das "Dornröschen der Reformation", es verbrachte seine Jugend in diesem Kloster, bis zur spektakulären Flucht im Jahre 1523.
    "In Kloster Nimbschen sieht mer noch ä halbzerfallnes Fensterloch, in dem Katrinchen, Luthers Kätchen, entflohen ist als junges Mädchen. Ooch der Bandoffel is noch da, den se verlor als das geschah."
    Der Volksmund machte sich seinen Reim darauf, dass sie angeblich einen reich bestickten Pantoffel verloren hätte und auch darauf, dass die 24-jährige Käthe durch ein enges Fenster in die Freiheit geklettert sei, dass sie die Pförtnerin diskret passieren ließ, dass Amtmann Koppe ihr beim Übersteigen der Klostermauer geholfen hätte.
    Bezeugt ist, dass Leonard Koppe, Ratsherr zu Torgau, mit einem Frachtwagen angefahren kam. Als es retour ging, hockten die neun Nonnen unter der Pferdewagenplane dicht gedrängt wie Heringe.
    Ein Blick auf die romantische Ruine des Klosters Nimbschen in der Nähe von Leipzig.
    Ein Blick auf die romantische Ruine des Klosters Nimbschen (Deutschlandradio/Joachim Dresdner)
    In jener Nacht vom Ostersonnabend auf den Ostersonntag, am 5. April 1523, führte die Flucht durch den Wiesengrund nahe der Mulde nach Grimma, dann nach Torgau an der Elbe und am Dienstag nach Ostern weiter bis Wittenberg.
    Zum Ende der Osterwoche gab Luther seinen offenen Brief an Koppe, den er einen "seligen Räuber" nannte, in Druck:
    "Ursach und Antwort, dass Jungfrauen Klöster göttlich verlassen mögen."
    Zwei Jahre später, 1525, heiratete Katharina von Bora den 16 Jahre älteren Luther. Als sie 1552 starb, gehörte das Kloster längst als Landesschulgut zur Grimmaschen Fürstenschule.
    Heute scheint mir Luther in Nimbschen präsenter als seine Ehefrau Katharina: In der Nähe, zur Mulde hin, führt der "Lutherweg" vorbei. Etwa in der Mitte des einstigen westlichen Kreuzganges wuchs in den letzten 190 Jahren die stattliche "Luthereiche" mit breitausladenden Ästen heran und am Ruinengiebel rankt das kürzlich gepflanzte, hellrot blühende "Lutherröschen".
    Auf diesem Gelände bin ich verabredet. Freundlich empfängt mich Sebastian Bachran, ein dunkelblonder, kurzbärtiger junger Mann. Er sei hier in der Nähe, gleich hinter dem Wald, aufgewachsen, erzählt er mir:
    "Ich fand das immer ganz spannend, weil, es ist tatsächlich so, dass mein Opa mir aus dem Katharina-von-Bora-Buch vorgelesen hat und hat immer gesagt, das ist ein magischer Ort. Er hat mir dann immer von dieser spektakulären Flucht erzählt, also, dass hier dann wirklich eines Tages dann jemand angeklopft hat, die Reformation war schon durchgesickert und, dass die Nonnen sich dann auch nicht mehr wohl gefühlt haben und es war ja auch die Todesstrafe eigentlich für eine Flucht angesetzt und trotzdem haben die es geschafft, durch diesen Ratsmitarbeiter aus Torgau, den Koppe, und haben hier den Karren gespannt und haben sich versteckt und den neun Nonnen ist dann die Flucht gelungen."
    Residenzstadt gehörte Friedrich dem Weisen
    Seinerzeit war das Herrschaftsgebiet der Wettiner geteilt: Im albertinischen Sachsen hatte Herzog Georg der Bärtige – ein Luthergegner- auf die Entführung von Nonnen die Todesstrafe gesetzt. Daher waren die Flüchtenden erst in Torgau in Sicherheit.
    Die ernestinische Residenzstadt gehörte Friedrich dem Weisen, dem Sohn des Kurfürsten und Schirmherrn von Martin Luther. Sebastian Bachran und ich, schauen auf das, was vom Kloster übrig blieb, auf das Klausurgebäude:
    "Oben wurde geschlafen, unten eben gelebt, gelernt und gegessen. Das war eben der Lebensraum. Das was eben noch übrig geblieben ist. Man hat ja nach der Reformation dann doch schon angefangen, die Steine hier abzutragen. Die Blüte hat es dann erst so im frühen 19. Jahrhundert gehabt. Dann hat ein Stadtchronist von Grimma gesagt, ihr könnt das hier nicht so weiter machen! Ihr zerstört hier einfach einen Schatz, ein Erbe was so bedeutend ist und er hat dann gesagt, hier ist jetzt ein Riegel davor gesetzt. Es bleibt, wie es ist und das ist jetzt noch übrig."
    Für Besucher wurden flach über dem Rasen, etwa Tischtennisplattengroß, mehrere Picknickflächen aus dunklem Holz hin gestellt, auch Sitzbänke und einige Schautafeln, sowie der Brunnen freigelegt.
    Das sah vor Jahren nicht so aus, als ich zum ersten Mal hier war. Unkraut und Wildwuchs wo einmal die Kreuzgänge waren, statt der nun parkähnlich gestalteten Landschaft.
    Blick auf eine Außenmauer der Klosterruine Nimbschen im Herbst. 
    Blick auf eine Außenmauer der Klosterruine Nimbschen im Herbst. (Deutschlandradio/Joachim Dresdner)
    "Hier soll man die Decke mitbringen, sie schön ausbreiten, dann hat man die Ebene einfach für sich und also für die Familie und hier komme ich bewusst her, hier möchte ich wirklich die Historie spüren, die Ruhe genießen."
    Rund 195.000 Euro hätten Land und Stadt in die historische Anlage gesteckt: Der neu angelegte, helle Kiesweg führt in einem Bogen von der Klosterruine zu dem 1982 ausgegrabenen Brunnen, an den Klostermauerresten vor dem Wald und hinter der neuzeitlichen Kapelle entlang wieder zur Ruine. Praktisch um die Wiese mit der 1855 gepflanzten, freistehenden Luthereiche herum.
    "Diese Steine sind jetzt nicht aus der Zeit um 1520, sondern sind später nachgesetzt. Aber, dass an dieser Stelle ein Brunnen existierte, ist auf jeden Fall nachgewiesen. Man brauchte auch sehr viel Wasser. Hier gab es sehr viele Felder ringsum. Der Boden ist sehr fruchtbar. Hier begann eigentlich der Obstanbau in ganz Sachsen und noch heute. Ja, bis zu 40.000 Tonnen Obst werden hier geerntet, jedes Jahr."
    Mit dem Tod der letzten Äbtissin, 1536, wurde die klösterliche Wirtschaft aufgelöst. Die alsbald ausgeraubten Gebäude dienten als Steinbrüche. Aus den Resten entstand nebenan das Klostergut. Allmählich wurde die Ruine zu einem Wallfahrtsort und in unseren Tagen zudem ein Ort für Theater- und Opernaufführungen.
    Archäologen enteckten das Fundament der Klosterkirche
    Vor ein paar Jahren entdeckten Archäologen an der heutigen Zufahrtsstraße, direkt neben der Konventhausruine, das Fundament der Klosterkirche. Sie fanden ein Weihwasserbecken, markierten den Umriss des Klosters und vermuten noch mehr Reste von Schmuckelementen im Bauschutt unter dem Rasen. Thomas Westphalen vom sächsischen Landesamt für Denkmalpflege hat den Hut auf. Der kurzhaarige Mittelalterarchäologe mit dezent eingefasster Brille ist für Dresden, Leipzig, Görlitz, Meißen und auch hier zuständig. Er lächelt:
    "Der Ort ist etwas ganz Besonderes!"
    DDR-Denkmalpfleger hatten 1965 begonnen, die Ruine bauarchäologisch zu erkunden. Sie bargen den Sandsteinkopf eines Jüngers aus einer sogenannten Ölberggruppe und legten knapp 20 Jahre später den Brunnen frei. Warum ist kaum noch was zu finden, kaum was vom Kloster übrig?
    "Man hat die Symbole des alten Glaubens sicherlich gründlich ausgelöscht. Das bezog sich nicht auf die Gebäude, die man, soweit es ging und so lang wie möglich weiter nutzte, allerdings eben nicht mehr kirchlich, sondern ganz profan als Kornhaus, als Stall, als Schafstall, Kuhstall und so weiter. Das ist ja überliefert aus der einzigen einigermaßen alten Grundrissdarstellung, weil Katharina von Bora natürlich immer mit diesem Ort verbunden war, wo dann aber eben dort, wo die Kirche stand, oder noch in Resten vorhanden war, der Viehstall bezeichnet war."
    Kornhaus? Viehstall? Bestimmt nicht im Sinne des Gründers! Das war ein Wettiner! Markgraf Heinrich der Erlauchte, einer der bekannten, hochmittelalterlichen Markgrafen. Von denen sind etliche architektonische Reste erhalten geblieben, nicht nur Kloster Nimbschen, auch das Schloss in Grimma gehört dazu, der Blick weitet sich:
    "Zurzeit Dietrich des Bedrängten und seines Sohnes Heinrich dem Erlauchten gehörte Grimma ja zum Zentrum wettinischer Macht, Heinrich der Erlauchte und sein Vater hielten sich ausgesprochen oft in Grimma auf, sodass man durchaus annimmt, dass Grimma bedeutender war als zum Beispiel Dresden!"
    Grimma - bedeutender als Dresden? Das lasse ich mir auf der Zunge zergehen. Mithin betonte der Markgraf mit dem damals nicht unbedeutenden Kloster Marienthron in Nimbschen seinen Herrschaftsanspruch. Dazu kamen etliche Burgen. Dieser Landstrich in Mitteldeutschland war gut erschlossen.
    Sandsteinkopf aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts
    In Nimbschen ist davon nicht mehr viel übrig. Erfahrene Archäologen wie Thomas Westphalen vermochten es nicht, dem Boden alle Geheimnisse zu entreißen: Wie groß, zum Beispiel, waren die Verwaltungsgebäude, wo lag der Friedhof?
    "Wir haben hier zur Mulde hin den Keller, von dem man sagt, dass es das Abtshaus gewesen sei. Also, tatsächlich Verwaltungszentrum des Klosters. Wir wissen nicht, wo die Wirtschaftsgebäude sich angeordnet haben. Wir können vermuten, dass der Friedhof unmittelbar nördlich der Kirche gelegen hat, da sind auch Bestattungen freigelegt worden, aber auch da weiß man nichts Näheres. Ja, es sind wenige Reste gefunden worden, ein etwas größeres Bruchstück eines Weihwasserbeckens, das zu Klosterzeiten in die innere Kirchenwand eingelassen wurde und das man benutzte, während des Gottesdienstes benutzte. Da liegt sicherlich noch etliches hier im Untergrund verborgen, beziehungsweise ist vermauert worden in den umliegenden Bauerngehöften derzeit, der damaligen Bauerngehöfte."
    Die Stichgrabungen sollten erst mal reichen, weil Ausgrabungen immer auch Zerstörung bedeuten, sagt Westphalen. Er hofft, in den nächsten Jahrzehnten ohne Bodeneingriffe, durch Widerstandsmessungen zum Beispiel, zu neuen Erkenntnissen zu kommen. Im Moment stützen sich die Archäologen auf wenige aussagekräftige Funde, wie eben den dunklen, kleinen Sandsteinkopf, aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts:
    "Kunstgeschichtler deuten diesen Kopf als Bestandteil einer Ölberggruppe, als Jesus Christus sich von seinen schlafenden Jüngern versucht zu verabschieden. Es ist wirklich eine Ausnahme für Nimbschen bisher, vielleicht taucht in den nächsten Jahrzehnten mehr auf. Diese Ölberggruppe besteht immerhin aus sieben bis acht Figuren und es gibt den Kopf. Es gibt wenige Fragmente eines Kleiderwurfes, die wir unter anderem auch gefunden haben. Also, es ist noch viel verborgen!"
    Vieles bleibt im Verborgenen, an diesem besonderen Ort, ist sich Thomas Westphalen sicher. Sein Fazit:
    "Man soll sich vielleicht auch von der Vorstellung verabschieden, dass man die Vergangenheit auf Punkt und Komma und restlos ermitteln kann. Es wird immer ein Restgeheimnis bleiben und das ist auch gut so!"
    Klosterruine erinnert an die Zeit der Reformation
    Während sich Thomas Westphalen auf den Weg zurück nach Dresden macht, zum Landesamt für Archäologie, laufen Sebastian Bachran und ich zum Schluss ein paar Schritte die Straße hinunter zum Muldentalrad- beziehungsweise Lutherweg, den teilen sich Radfahrer und Fußgänger, wie auch den herrlich weiten Blick über die Muldenaue, zum gegenüberliegenden Hang hinter dem Flussbett. Hinter uns der Klosterwald und eine Anhöhe.
    "Gleich neben uns ist die Fähre, wo man hier von der Klosterruine übersetzen kann, mit einer Gierseilfähre, zum anderen Muldeufer und auf der anderen Seite ist es noch mal so schön wie hier! Es ist wirklich eine traumhafte Gegend."
    Dort drüben sehen wir ebenfalls eine waldige Anhöhe, dazwischen ist die Wiesenlandschaft, an deren Rand wir stehen. Die Mulde sehen wir nicht. Bei Hochwasser überschwemmt sie diese Fläche. Etliche Lachse sollen es gegen die Strömung, der bei Hochwasser schnell fließenden Mulde wieder bis hier hinauf schaffen. Obstanbau und eben qualitativ gutes Wasser prägen diese Landschaft auch heute. An die Zeit der Reformation erinnert die Klosterruine.