Neue Nachrichtenformate, Journale und Gesprächssendungen – und dazu bekannte Fernsehgesichter aus den öffentlich-rechtlichen Programmen, zum Beispiel aus der Tagesschau. Die Privatsender RTL sowie ProSieben und Sat.1 bauen ihre Informationsangebote im Fernsehen deutlich aus.
Bei RTL soll neben Ex-Tagesschau-Sprecher Jan Hofer ab August auch Pinar Atalay, langjährige Moderatorin der Tagesthemen, eine zentrale Rolle bei der Umgestaltung des Nachrichtenbereichs übernehmen. Bei ProSieben sollen Linda Zervakis und Matthias Opdenhövel zu Aushängeschildern der neuen Info-Offensive werden.
Neue Moderatorin bei den Tagesthemen
Nachfolgerin für Pinar Atalay bei den Tagesthemen soll wiederum die 33-jährige Aline Abboud werden, die bislang als Moderatorin und Reporterin beim ZDF arbeitet. Auffällig sind vor allem die vielen Wechsel bei ARD-aktuell. In der Gemeinschaftsredaktion bündeln die ARD-Sender ihre Nachrichteninhalte unter anderem für die Tagesschau und die Tagesthemen.
Marcus Bornheim, der erste Chefredakteur von ARD-aktuell, sagte im Deutschlandfunk: "Sie können eine Tagesthemen-Sendung nicht einem ganz jungen Talent anvertrauen, denn da ist die Gefahr einfach zu groß, dass man sich auf dieser großen Bühne verhebt. Und ich glaube, dass Aline Abboud genau in der Situation ist, dass das natürlich eine Herausforderung ist, aber sie diese Herausforderung ganz wunderbar meistern wird."
Großes Interesse an Nachrichten wegen Corona
Die Neuzugänge bei RTL und ProSieben sollen hier für eine neue Nachrichtenkompetenz stehen. Es ist ein vielbeachteter Strategiewechsel für Sender, die in den vergangenen Jahren vor allem für leichte Unterhaltung, Scripted-Reality-Formate oder Castingshows standen. Doch es kommen nun vielfältige Gründe zusammen, die eine Neuausrichtung nötig machen.
Zum einen ist das Informationsinteresse in der Bevölkerung durch die Corona-Pandemie deutlich gestiegen, was sich auch an den Einschaltquoten der Tagesschau zeigt. Die 20-Uhr-Ausgabe von Deutschlands bekanntester Nachrichtensendung wurde im Jahr 2020 von durchschnittlich 11,78 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern eingeschaltet – der höchste Wert seit Beginn der Quotenmessung. Einzelne Ausgaben verzeichneten Rekordeinschaltquoten.
Hinzu kommt, dass im Vorfeld der Bundestagswahl auch die Politikberichterstattung in den Fokus rückt, mit Interviews und Rededuellen der Kanzlerkandidatinnen und -kandidaten. Auch hier waren bislang die öffentlich-rechtlichen Sender vorne.
Positionierung durch Informationsangebote
Zum anderen gibt es insbesondere auf dem Feld der Unterhaltung und der fiktionalen Serien- und Filmangebote eine stark wachsende Konkurrenz durch internationale Streaming-Plattformen, die ihre Reichweite seit Anfang 2020 deutlich ausbauen konnten. So verzeichnete etwa Netflix bei der Zahl der Abonnenten ein Plus von rund 22 Prozent im vergangenen Jahr. Im Nachrichtengeschäft ist die internationale Konkurrenz hingegen deutlich weniger stark vertreten.
Dass TV-Anbieter hier mit eigenem nationalen Inhalt ein großes Publikum erreichen können, betont auch Thomas Lückerath vom Medienportal dwdl.de: "Man ist mit Redaktionen, mit Journalistinnen und Journalisten näher dran und aufwändiger am Markt vertreten als die globalen Streaming-Dienste."
Lückerath sagte im Deutschlandfunk, man habe bei den Sendern gemerkt, dass die großen internationalen Streaming-Dienste Serien und Filme in ganz anderen Budgets umsetzen können, aber lokale und regionale Information und auch Infotainment für sie nicht so interessant seien, weil das nicht weltweit zu vermarkten sei.
Neuer alter Trend bei den Privatsendern
Im Privatfernsehen spielen die Nachrichten jedoch bislang oft nur eine untergeordnete Rolle. Abseits der Nachrichtensender "n-tv" und "Welt" (vormals "N24") werden meistens kurze Schlagzeilen abgehandelt. Einzig RTL erreicht mit seinem Format "RTL Aktuell" ein größeres Publikum, ähnlich wie "Tagesschau" oder "heute".
Die Medienjournalistin Vera Linß sieht bereits einen Kampf um die Zuschauerinnen und Zuschauer auf einem ganz neuen Feld entbrannt – im Bereich der Nachrichten. Information sei aus Sicht der Sendergruppen RTL und ProSiebenSat1 ein Zugpferd, zumindest für die nähere Zukunft.
Doch ganz neu ist auch dieser Trend nicht. In den 90er Jahren hatten die privaten Sender schon einmal Ambitionen, den Nachrichten und Informationsangeboten von ARD und ZDF ernsthaft Konkurrenz zu machen. Bei Sat.1 gab es ausführlichere Nachrichtensendungen und der langjährige "Spiegel"-Chefredakteur Erich Böhme moderierte die politische Gesprächsrunde "Talk im Turm" am Sonntagabend.
Wechsel von öffentlich-rechtlich zu privat
Dass derzeit so viele etablierte oder ehemalige Journalistinnen und Moderatoren insbesondere von der ARD zu den Privaten gehen, ist auffällig und mag überraschen. Allerdings sind personelle Wechsel zwischen den Privaten und den Öffentlich-Rechtlichen alles andere als neu. Schon vor Jahrzehnten sind etliche Prominente wie Thomas Gottschalk, Günther Jauch, Hape Kerkeling oder Harald Schmidt zu den Privaten gegangen – und teilweise auch wieder zurück.
Oftmals spielen neben persönlichen auch die finanziellen Überlegungen eine Rolle. So kritisierte die frühere Tagesschau-Sprecherin Dagmar Berghoff die Bezahlung der Sprecher bei ARD-aktuell. Sie sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "RTL und Sat.1 zahlen natürlich viel mehr als die ARD. Das ist gar kein Vergleich."
Mit Blick auf die Abgänge von Linda Zervakis und Pinar Atalay widerspricht ARD-aktuell-Chef Markus Bornheim allerdings: "Das ist nicht eine Frage des zu wenigen Geldes." Natürlich sei die ARD als öffentlich-rechtlicher Rundfunk nicht in der Lage, beim privaten Radio und Fernsehen mitbieten zu können. Er fügt hinzu: "Bei Linda war es so, dass Linda sich verändern wollte. Sie wollte aus dem starren Korsett, das eine Tagesschau nur im Angebot hat, ein Stück weit ausbrechen. (…) Bei Pinar Atalay war es einfach so, dass das Angebot, das RTL ihr geboten hat, nahezu unschlagbar war."