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Ruhr 2010 geht zu Ende

"Kultur durch Wandel – Wandel durch Kultur" lautete das Motto des Kulturhauptstadtjahres. Ein Jahr lang stand eine ganze Region im Mittelpunkt des Interesses. Doch auch in Zukunft soll das Ruhrgebiet nicht wieder in Vergessenheit geraten.

Von Kersten Knipp | 27.12.2010
    Es hatte seine großen Momente, das Kulturhauptstadtjahr Ruhr 2010, das jetzt zu Ende geht. Den "Day of Song" im Juni etwa, als über 60.000 Menschen gemeinsam in der Arena von Gelsenkirchen sangen. Oder das "Still-Leben" im Juli, als drei Millionen Menschen über die stillgelegte A 40 zwischen Duisburg und Dortmund spazierten.

    "Wir sind ausgegangen von der Devise "Wandel durch Kultur". Und das hat sich so in diesem Jahr ja auch eingestellt, die Identität mit dieser Region bei den Menschen ist gewaltig gewachsen. Man hat es ja auch gesehen, dass tatsächlich diese 53 Städte mehr zusammengewachsen sind."

    Jürgen Fischer, Programmkoordinator der für die Konzeption und Umsetzung des Kulturhauptstadtjahres verantwortlichen "Ruhr. 2010 GmbH", zieht ein positives Resümee. Auch darum, weil in diesem Jahr etwas gelungen sei, was man zuvor jahrelang vergeblich versucht habe: Zwar nicht die Identität, so doch zumindest das Image des Ruhrgebiets zu ändern, ihm ein neues, attraktiveres Ansehen zu verschaffen. Was Deutschland durch sein "Sommermärchen", die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft 2006, schaffte, das könnte nun im Kleinen auch dem Ruhrgebiet gelungen sein: der Welt ein neues, anderes, freundlicheres Bild seiner selbst zu vermitteln. In vielen Gesprächen mit ausländischen Gästen habe sich gezeigt,

    "dass sich außerhalb des Ruhrgebiets auch in Europa das Bild dieser Region geändert hat. Und zwar, dass es wahrhaftiger geworden ist, dass die uralten Klischees, sofern sie nicht aus den Köpfen sind, dann doch zurückgedrängt worden sind, dass es sich hier um eine sehr eigene, besondere Region handelt, keine Frage, mit vielen Kontrasten. Aber dass es doch eine vitale Region ist, die soziale Begabungen aus der Zeit von Kohle und Stahl mitgenommen hat, was Zusammenhalt angeht, auch was Offenheit angeht, gegenüber Neuem oder gegenüber Fremden."

    Eine Imagearbeit, die sich auszahlt. In den Städten des Ruhrgebiets ist die Zahl der Übernachtungen in den ersten neun Monaten des Jahres nach Angaben des Statistischen Landesamtes um knapp zwölf Prozent gestiegen, die der ausländischen Gäste sogar um über 13 Prozent. Damit bestätigt sich auch im Ruhrgebiet die Erfahrung, dass Identität zu einem unverzichtbaren Instrument des touristischen Marketings geworden ist. Städte, Regionen ja sogar ganze Länder kommen ohne ein spezifisches Image kaum mehr aus.

    Besonders deutlich zeigte sich das in Essen, dem Zentrum des Kulturhauptstadtjahres. Hier stiegen die Übernachtungszahlen ausländischer Gäste um knapp 22 Prozent, die der gesamten Übernachtungen sogar um 25 Prozent. Doch auch am Rande des Ruhrgebiets gelegene oder weniger bekannte Städte wie Hagen, Hattingen oder Recklinghausen beherbergten fünf bis elf Prozent mehr Gäste als im Vorjahr. Wirtschaftlich, so der Historiker Jürgen Mittag, Geschäftsführer des Bochumer "Instituts für soziale Bewegungen", war das Kulturhauptstadtjahr ein Erfolg.

    "Gegenwärtig geht man von einer Größenordnung von zehn bis zwölf Millionen Besuchern aus, was im Rahmen der Kulturhauptstadtgeschichte sehr weit oben anzusiedeln ist. Meines Wissens hat nur Liverpool bisher mehr Besucher in die Stadt gelockt. Diese Besucher haben vielfach ein positives Bild vom Ruhrgebiet vermittelt bekommen, ein überraschendes Bild vom Ruhrgebiet. Und deswegen ist allein die Imagekomponente, die mit dem Kulturhauptstadtjahr 2010 dann auch in ganz klarer ökonomischer Hinsicht erzielt worden ist, von ganz beträchtlicher Bedeutung."

    "Kultur durch Wandel – Wandel durch Kultur" lautete das Motto des Kulturhauptstadtjahres. Und wirklich wird von der Kultur angesichts des noch nicht abgeschlossenen Strukturwandels Erhebliches erwartet. Denn immer noch sind die Arbeitslosenzahlen dramatisch: Knapp zehn Prozent in Bochum, knapp 13 in Duisburg, über 14 in Gelsenkirchen. Kein Wunder also, dass die Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Bewältigung der Krise auch auf die Kultur setzt.

    So hat die Staatskanzlei im Jahr 2007 eine Studie mit dem Titel "Strukturwandel durch Kultur" in Auftrag gegeben.

    Besonders auffällig an der Studie: Sie setzt auf Kultur nicht trotz, sonder gerade aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation. Kultur gilt nicht als Luxus, auf den sich notfalls auch verzichten ließe. Im Gegenteil: Von ihr wird eine zentrale Rolle bei der Bewältigung des Strukturwandels erwartet. Nicht zufällig wurden sieben Fallbeispiele ausgesucht, die als vergleichbar mit dem Ruhrgebiet gelten können: Bilbao in Spanien, Glasgow und Newcastle/Gateshead in Großbritannien, Lille und Nantes in Frankreich sowie Pittsburgh und Seattle in den USA.

    Alle diese Städte und Kommunen hatten und haben mit den Folgen der Deindustrialisierung zu kämpfen. Alle sahen sie sich vergleichbaren Folgen gegenüber: Hohe Arbeitslosenzahlen, gestiegene Kriminalität, Verwahrlosung des Öffentlichen Raums, Abwanderung, ein schlechtes Image. Die Studie kommt zu folgendem Fazit.

    "Die Experten stimmen darin überein, dass Kultur allein nicht in der Lage sei, einen Wandel herbeizuführen. Sie ist jedoch unerlässlich als verbindendes Element, ist identifikationsstiftend und vermag eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen in der Wahrnehmung zu etwas Zusammenhängendem zu machen. Kultur ist in hohem Maße identitätsbildend und sinnstiftend und ist damit nach Meinung der Experten für das Gelingen städtischer und generell sozialer Wandlungsprozesse unabdingbar."

    Kultur geht für die Verfasser der Studie weit über die üblichen Vorstellungen hinaus. Kultur findet nicht nur in Opernhäusern und Theatern statt – Kultur geht auch sehr stark in Richtung sozialer Arbeit. Die Menschen sollen ein positives Verhältnis zu ihrer Stadt und Region entwickeln. Wegweisend dürfte auch der Ratschlag eines Journalisten aus Newcastle sein, der die Erfahrungen der Kulturarbeit folgendermaßen umreißt.

    "Versuchen Sie die Menschen mit einzubeziehen. Arbeiten Sie nicht nur für die Öffentlichkeit, für den Tourismus, für die Medien, sondern für die Menschen, die in Ihrer Stadt und Region leben."

    Kultur soll zum wirtschaftlichen Nutzen einer Stadt oder Region auch insofern beitragen, als sie die Bürger animiert, sich für ihre Stadt zu engagieren. Gerade auch die, die unter den Folgen der Deindustrialisierung besonders zu leiden hatten und haben, sollen wieder einen Glauben an die Zukunft – auch ihre persönliche Zukunft – gewinnen. Kultur, so der Gedanke, setzt einen Aktivierungsprozess in Gang, der bestenfalls sogar die Sozialkassen entlastet, indem die Bürger neue Ideen entwickeln, wie sie ihr Leben in die Hand nehmen können. Wohlgemerkt: so weit die Theorie. Aber die Erfahrungen in den genannten europäischen Regionen haben gezeigt, dass sie Wirklichkeit werden kann. Der berühmte Bilbao-Effekt etwa ließ die Arbeitslosenzahlen in der baskischen Stadt von 25 Prozent 1985 auf etwas über zehn Prozent im Jahr 2005 sinken. Und in Glasgow sanken die Arbeitslosenzahlen zwischen 1996 und 2006 von knapp 16 auf knapp neun Prozent.

    Damit nimmt die Studie das Konzept der Kultur- und Kreativwirtschaft auf. Ihn habe das Land Nordrhein Westfalen erheblich mitgeprägt, erläutert Bernd Fesel, während des Kulturhauptstadtjahres Leiter des Projektes "Stadt der Kreativität".

    "Da wurde schon vor 15 Jahren der erste Bericht zur Kulturwirtschaft gemacht, ausgehend von den sozusagen klassischen Kulturbranchen wie Musik, Literatur, Architektur, Film. Dieser Branchenbegriff hat sich in der europäischen Debatte seit 2000 weiter entwickelt und wurde ergänzt um das Thema Design, vor allem auch die Games-Industrie und die Werbeindustrie."

    Allerdings ist dies nur die Schmalspurvariante des Begriffs "Kultur- und Kreativwirtschaft". Einem im Februar 2009 erschienenen Forschungsbericht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie zufolge gehören zu dem neuen Wirtschaftsfeld folgende elf Kernbranchen oder Teilmärkte:

    "Musikwirtschaft, Buchmarkt, Kunstmarkt, Filmwirtschaft, Rundfunkwirtschaft, Markt für darstellende Künste, Designwirtschaft, Architekturmarkt, Pressemarkt, Werbemarkt sowie Software-Games-Industrie."

    Weiter wartet die Studie mit erstaunlichen Zahlen auf. Insgesamt habe die Kultur- und Kreativwirtschaft zur gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung in Deutschland im Jahr 2006 einen Beitrag in Höhe von 61 Milliarden Euro geleistet. Das entspreche einem Anteil von 2,6 Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Zum Vergleich: Die Automobilindustrie erreichte in demselben Jahre 2006 einen Bruttowertschöpfungsbetrag von 71 Milliarden Euro und einem Anteil von 3,1 Prozent. Die Chemieindustrie kam auf einen Betrag von 49 Milliarden Euro und einem Anteil von 2,1 Prozent. Damit nähme die Kultur- und Kreativwirtschaft zwischen diesen beiden Branchen einen mittleren Platz ein. Für das Jahr 2008 rechnete die Studie mit über einer Millionen Beschäftigten in dem Wirtschaftsfeld.

    Nicht erstaunlich also, dass im Kulturhauptstadtjahr Ruhr 2010 die Kultur- und Kreativwirtschaft in aller Munde war. Auch hier sollten blühende kulturelle Zentren entstehen. Auch nicht erstaunlich allerdings, dass, gemessen an den Erwartungen, die Ergebnisse teils enttäuschend ausfielen.

    Essen, Kettwiger Straße. Die belebte Fußgängerzone läuft aus, geht über in die Viehofer Straße. Hier wird es spürbar ruhiger. Immer weniger Passanten zieht es dorthin, eine ganze Reihe Ladenlokale steht leer. Eigentlich eine attraktive Gegend, doch ein Einkaufszentrum in unmittelbarer Nähe zieht die Kunden weg. Neue Händler finden sich nicht, und so sollen Künstler hierher. Ein Kreativquartier soll hier entstehen, junge Menschen in ihren Werkstätten, Ateliers und Studios die Straße neu beleben. Das zumindest war und ist der Plan, entworfen im Umfeld des Kulturhauptstadtjahres. Der PR-Fachmann Siegfried Schneider hat den Auftrag, eine entsprechende Klientel anzuziehen.

    "Die Idee ist, dass man in einer Lage, in der Ladenmieten und Büromieten niedrig sind, die Kreativwirtschaft gewinnt und die hierher bekommt und die ihre Büros hier eröffnen, aber auch Ladenlokale eröffnen, um hier präsent zu sein, und auch Unternehmen aus der Kreativwirtschaft die Möglichkeit zu geben, hier wirklich ein Geschäft mit Ladenflächen zu machen. Hier hätten wir halt wirklich noch Ladenflächen in der Fußgängerzone für einen sehr erschwinglichen Mietzins."

    Doch der Erfolg ist bislang bescheiden. Eine einzige Galerie hat sich hier angesiedelt, die übrigen Ladenlokale stehen weiterhin leer. Mag sein, dass die meisten Künstler und Kreativen sich nicht vorstellen können, in einer Fußgängerzone zu arbeiten. Hinzu kommen handfeste Missverständnisse.

    "Die meisten Leute denken bei dem Begriff "Kreativquartier" an ein Haus, ein Gebäude, eine große Immobilie mit vielen unterschiedlichen Einheiten, Ladenflächeneinheiten, Werkbank, Büroeinheiten, in das sie rein können, wo sie schauen können, "oh, das gefällt mir, und hier kriege ich zum kleinen Mitzins einen Quadratmeter. Und es gibt jemanden, der das verwaltet, sich darum kümmert, dass ich hier möglichst flexibel rein und raus kann". … Dass es sich hier aber um einen ganzen Stadtteil handelt, wo es die unterschiedlichsten Ansprechpartner für Leerflächen gibt, das war den meisten Leuten gar nicht bewusst."

    Organisationsprobleme schreckten die erhofften Kreativen ab. Ebenso aber auch das Umfeld: Es bedarf schon ganz erheblicher Fantasie, um sich die langweilige Fußgängerzone als blühendes Kreativquartier vorzustellen.

    So ist es kein Zufall, dass die Staatskanzlei NRW in ihrer Studie darauf hinweist, regionale Kulturinitiativen wären sehr gut beraten, auf die jeweiligen architektonischen und landschaftlichen Spezifika zu setzen, also anzuschließen an die Traditionen, die die Region bislang geprägt hätten. Der Historiker Jürgen Mittag erläutert, was das für das Ruhrgebiet heißt.

    ""Was man ausbauen wird, ist die schon stark bestehende Industriekultur. Das ist mit Sicherheit auch eine Stärke, die auch im Kulturhauptstadtjahr sehr deutlich zum Tragen gekommen ist. Aber die Spielstätten der einzelnen Theater, Konzerthäuser … mögen auf lange Sicht hin doch auch im Sinne einer Kreativwirtschaft eine Entwicklungsperspektive bewirken, dahin gehend, dass das gewissermaßen ein Alleinstellungsmerkmal ist, was das Ruhrgebiet doch dann von vielen anderen Regionen Deutschlands unterscheidet."

    Allerdings hat das Kulturhauptstadtjahr auch gezeigt, dass das architektonische Erbe allein nicht ausreicht, ein dauerhaftes kulturelles Leben zu entfalten. Die Sorge ist groß, dass nun, wenn es wieder etwas stiller wird, um das Ruhrgebiet, das Erreichte in sich zusammenfallen könnte. Einen "Day of Song", bei dem zehntausende von Menschen gemeinsam singen, richtet man nicht alle Tage aus, auch ein "Stillleben" auf einer tagtäglich viel befahrenen Autobahn dürfte sich eher selten entfalten. Das Stichwort für die kulturelle Zukunft liegt also auf der Hand: "Nachhaltigkeit". Und um die, so der Essener Kulturdezernent Andreas Bohmheuer, will die Stadt sich künftig verstärkt kümmern.

    "Man darf nicht vergessen, dass diese großen Leuchttürme immer auch einen, ja ich sage gerne, Humus brauchen, in dem sie Wurzeln schlagen können. Weil ohne diesen Humus sind sie sozusagen im luftleeren Raum und haben kein Fundament. … Das hat natürlich genau diese Funktion der Identitätsstiftung, auch vor Ort. Da sind diese Einrichtungen enorm wichtig, und sie sind gleichzeitig auch so etwas wie Experimentierraum für Künstlerinnen und Künstler … die dann natürlich auch in der Entwicklung so etwas wie Kreativwirtschaft befruchten."

    Allerdings hat sich gezeigt, dass es sehr langen Atem braucht, ein solches Programm zu verwirklichen. Siegfried Schneider, der versuchte, die Viehofer Straße in Essen in ein Kreativquartier zu verwandeln, weiß, dass man bei entsprechenden Ansiedlungsprojekten in langen Zeiträumen denken muss.

    "Es ist auch sehr schwierig zu sagen, wir holen jetzt eine Szene. Ich denke, dass man … einzelne Personen aus dieser Szene, dass man die gezielt ansprechen kann und mit denen gemeinsam auch vielleicht Flächen sucht, wo sie sich heimisch fühlen würden, wo sie meinen, sie könnten arbeiten. Was zu schaffen, wo die ganze Szene jubelnd drauf zu rennt und sagt, ja, hier möchte ich hin, das ist, glaube ich, im Ruhrgebiet sehr schwierig."

    So steht die öffentliche Förderung der Kreativwirtschaft vor einem Problem: Sie mag Fördergelder zur Verfügung stellen. Dies tun die Städte des Ruhrgebiets. Rund 400 Millionen Euro jährlich investieren sie in die Kultur. Aber Geld allein reicht nicht – nicht, wenn man Kultur sozusagen "von unten" fördern will, also die Bürger dazu zu animieren versucht, sich aktiv am kulturellen Leben zu beteiligen. Dies zu erreichen, diesen Anspruch haben die Kulturpolitiker des Ruhrgebiets auch nach dem Kulturhauptstadtjahr. Dabei sind sie allerdings auf das Engagement der Bürger angewiesen.

    Und das ist erst in Ansätzen vorhanden. Wo es sich aber zeigt, kann es auf beachtliche Erfolge verweisen. In Marxloh etwa, einem Stadtteil im Duisburger Norden, der nicht den allerbesten Ruf hat. Wirtschaftlich lag er lange Zeit brach, auch jetzt geht es ihm nicht gut. Aber die neue, vor zwei Jahren eröffnete Moschee, die größte in Deutschland, hat neue Impulse gesetzt. Ebenso die vielen Brautgeschäfte, die sich im Zentrum angesiedelt und zum Reiseziel überwiegend türkischstämmiger Bräute geworden ist.

    In Marxloh steht auch der Medienbunker, ein gewaltiger Luftschutzraum aus dem Zweiten Weltkrieg, der jetzt jungen Leuten Raum bietet, die man der derzeit viel gepriesenen "Kreativwirtschaft" zurechnet. Gestartet hat das Projekt der junge Filmemacher Halil Özet.

    "Es ist hier hundertprozentig privat. Auch wenn das Teil irgendwie gefördert wurde, dieser Bunker, im Rohbau. … Hier sind total viele Potenziale in Marxloh, die nie zu Wort kommen, und denen einfach eine Stimme geben. Und sagen, OK, komm, häng´ hier ab und lass uns darüber schnacken, was du vorhast, was dir Spaß macht, was du machen möchtest. Und plötzlich entfalten sich diese Potenziale. Und diese Energie ist da."

    Der Medienbunker agiert im Zwischenbereich von Kultur- und Sozialarbeit. Mit dem Slogan "Made in Marxloh" hat er ein Label geschaffen, das weit über die Grenzen des Stadtteils hinausstrahlt. Man muss dem Viertel ein Gesicht geben, fanden Özet und seine Kollegen. Oder ihm eine Vorstellung von sich selbst verschaffen – und den Menschen zugleich auch erste kulturelle Erfahrungen ermöglichen. Das geht mit einfachsten Mitteln, erklärt Mustafa Tazeoglu. Auch er ist einer der Initiatoren des Projekts, zudem Leiter des Ressorts "Kreativ-Quartiere" im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres.

    "Banale Aktion: Postkarten drucken. Aber die Postkarten in einer hohen Qualität gedruckt. Schöne Motive genommen. Und das Erste, was passiert ist: Ein total zugedröhnter junger türkischer Mann kommt in diese leere Ladenlokalausstellung, in der wir sind – in eine Ausstellung kommt er freiwillig rein, weil er irgendwelche Familienangehörige von sich da hängen sieht. "Hey, was machen die hier?" Zack, ist er in einer Ausstellung, ohne dass er es gemerkt hat. Genauso wie die Omi. Auch der Moschee-Opi. Die laufen hier vorbei: "Ey, warum hängt mein Enkel hier?" - "Ja komm rein, Opi, erkläre ich dir". Zack, ist er drin."

    Das Kulturhauptstadtjahr 2010 endet in einer Zeit, in der viele kulturelle Einrichtungen um ihre Existenz fürchten müssen. Die Bonner Oper steht zur Disposition, zudem müssen viele öffentlich geförderte Kultureinrichtungen erhebliche Mitteleinbußen verkraften. Im Ruhrgebiet geht man den umgekehrten Weg und fördert die Kultur – in dem Bewusstsein, dass es ansonsten noch viel schwieriger würde.

    Allerdings hat man den Begriff "Kultur" auch neu definiert. Die klassische Kultur gehört weiterhin dazu, ebenso aber auch neue Formen der gesellschaftlichen Aktivierung, wie etwa in Duisburg-Marxloh. Projekte wie dieses zeigen auf, wie sich mit einem erweiterten Kulturbegriff ein ganzes Viertel animieren lässt. Sodass man in Zeiten knapper Kassen sagen kann: Kultur ist, wenn man´s trotzdem macht.