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Russische Agrarsanktionen
"Das trifft uns nicht in der Substanz"

Die von Moskau verhängten Einfuhrverbote für EU-Agrarprodukte werden die deutsche Agrarwirtschaft nicht substanziell treffen, erwartet Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt. Zudem bekräftigte der CSU-Politiker im DLF: Die wechselseitigen Sanktionen sind "kein Handelskrieg".

Christian Schmidt im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 09.08.2014
    Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) steht am 12.06.2014 in einem Testfeld mit Wintergerste beim Bundessortenamt bei Neustadt am Rübenberge in Niedersachsen.
    Deutschland durch Sanktionen nicht substantiell betroffen: Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (pa/dpa/Stratenschulte)
    Mit den Folgen des russischen Importstopps für westliche Agrarprodukte beschäftige sich eine neue Arbeitsgruppe in seinem Ministerium, sagte Schmidt. Das Gremium habe ihm gestern erstmals Bericht erstattet und werde dies künftig wöchentlich tun.
    Im Moment gebe es über die Konsequenzen der Sanktionen erst eine Reihe von Mutmaßungen. Es zeichne sich aber ab, dass die deutsche Agrarwirtschaft nicht in der Substanz getroffen werde. Schmidt erläuterte, im vergangenen Jahr seien 2,7 Prozent der deutschen Lebensmittelexporte nach Russland gegangen. Dieser Anteil sei aufgrund schon bestehender, "rechtlich zweifelhafter" Handelsbeschränkungen ohnehin rückläufig. Zudem verwies er auf die "Widersprüchlichkeit" der russischen Sanktionsdekrete, die für die heimischen Verbraucher keine Auswirkungen haben sollen. Betroffen von den Beschränkungen sei nur ein Drittel der deutschen Agrar-Exportprodukte.
    Der russische Premier Dimitri Medwedew hatte sich über wirtschaftliche Folgen aus den Sanktionen gelassen geäußert. Nach Schmidts Einschätzung sei aber Russland allein bei Geflügel in der Lage, Selbstversorgung herzustellen.
    Der Agrar-Ressortchef zeigte sich zudem überzeugt, dass sich die EU angesichts der unterschiedlichen Belastung ihrer Mitgliedsländer durch die Sanktionen solidarisch verhalten werde. Schmidt stehe in bilateralem Kontakt mit mehreren EU-Amtskollegen.
    Der CSU-Politiker bekräftigte die Notwendigkeit der von der EU beschlossenen verschärften Sanktionen gegen Russland. Angesichts von "80 toten Kinder, die zum Teil noch immer auf den Feldern der Ostukraine verwesen", habe der Westen handeln müssen, sagte Schmidt mit Blick auf das mutmaßlich abgeschossene malaysische Passagierflugzeug.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Über dieses Thema wollen wir reden mit Christian Schmidt, dem Bundeslandwirtschaftsminister, den ich am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Schmidt!
    Christian Schmidt: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Wissen Sie denn schon, wen es trifft oder vor allen Dingen, wie sehr beunruhigt es Sie, dass es manche Länder mehr und andere weniger trifft?
    Schmidt: Ich habe eine nationale Arbeitsgruppe eingesetzt, die mir gestern zum ersten Mal berichtet hat. Ich werde das wöchentlich wiederholen, um auch den Blick auf die Marktentwicklung zu haben. Dabei zeigt sich, dass es noch eine Reihe von Ungereimtheiten beziehungsweise Erwartungen und Mutmaßungen gibt, an denen man sich schwierig ausrichten und orientieren kann.
    Zur deutschen Lage ist es so, dass wir im Jahr 2013 2,7 Prozent unseres gesamten Agrarexports nach Russland exportiert haben. Das ist schon drastisch gesunken, weil aufgrund verschiedener Beschränkungsmaßnahmen, die rechtlich sehr zweifelhaft sind, schon in diesem Jahr statt des Volumens von 1,8 Milliarden, 1,6 Milliarden im letzten Jahr wir gerade mal bei einer halben Milliarde sind. Das heißt, das ist nicht schön, das wird manche treffen, da müssen wir uns auch drum kümmern, aber es trifft in der Substanz unsere Exportpositionierung nicht.
    "Ganz so einfach ist die Welt ja nicht gestrickt"
    Zurheide: Genau da scheint aber ja das Problem zu sein, was wir auch in Europa hören: Da sind die Griechen betroffen, die manche Dinge exportieren – eben einige trifft es mehr als andere. Darauf setzen die Russen ja möglicherweise. Wie geht die Europäische Union damit um? Solidarisch?
    Schmidt: Das wird sie und soll sie tun. Ich habe mit dem Kommissar Ciolos verabredet, dass wir mit einer Task Force, die bei ihm angesiedelt ist beziehungsweise bei der Generaldirektion AGRI in Brüssel, die jeweils die Beobachtungen und Informationssammlungen machen, aber auch uns vorbehalten seitens des Rates, des Ministerrates, uns zum gegebenen Zeitpunkt zu treffen, wenn wir das für notwendig halten. Ich bin da in engem bilateralen Kontakt mit einer ganzen Reihe von Kollegen.
    Aber wenn ich noch einen Punkt schon sagen darf: Es lohnt sich, die Sanktionsdekrete dann schon noch mal genau zu lesen. Und da spüren Sie die Widersprüchlichkeit, die man in Russland hat.
    Das Dekret ordnet an, so wie wir das nun kennen, dass die Produktliste für die Importverbote so aufgestellt werden soll, also von russischer Seite, dass keine Auswirkungen auf die Versorgungslage und Preise bei Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln zu erwarten sind. Na, das ist eine spannende Aufgabe.
    Das Zweite: Ministerpräsident Medwedew musste, müsste ich drauf hinweisen, dass er, wenn er mit der Argumentation, er will für seine eigenen Erzeuger bessere Absatzplätze finden, dass das sehr stark nach einem Verstoß gegen die Welthandelsorganisation und die Bestimmungen riecht, und dass er sich deswegen gewärtig sein muss, dass die Europäische Union einen sowieso bestehenden Verfahrensantrag in einer Klage gegen Russland wegen nicht-tarifären Handelshemmnissen nun noch mal eins draufkippt.
    Also ganz so einfach ist die Welt ja nicht gestrickt. Und dazu kommt dann: Wer soll in Russland wie investieren? Der russische Kapitalmarkt unterscheidet sich sehr von unserem. Das Geld ist sehr teuer. Wir haben durch die Sanktionen der Europäischen Union und der USA einen Zugang zu Kreditufkommen ausländischer Staaten nicht mehr.
    Investitionsmittel sind sehr schwer verfügbar. Wenn man Ställe bauen will übrigens – die Stallkonzepte und Stallanlagen kommen überwiegend aus Deutschland. Also ich würde deswegen uns allen raten, die regionalen Betroffenheiten natürlich zu sehen, da werden wir auch uns zusammensetzen, aber nun nicht Panik entstehen zu lassen.
    "Unsere Hersteller orientieren sich bereits in Richtung andere Exportmärkte"
    Zurheide: Haben Sie denn schon erste Hilfsersuche auf dem Tisch liegen, was wir gerade von einzelnen Bauern gehört haben, die eine hohe Exportabhängigkeit Richtung Russland haben? Da kann natürlich eine schwierige Situation entstehen, richtig?
    Schmidt: Na, das will ich nicht ausschließen. Also ich habe konkret bisher, so weit wir gestern informelle Umfrage gehalten haben, keine dramatischen Erwartungen. Sie müssen wissen, dass im Hauptbereich – da ist übrigens nur ein Drittel der Agrarprodukte von diesen bisherigen Listen umfasst, das heißt Fleisch, Fleischerzeugnisse, Milch, Milcherzeugnisse und Obst und Gemüse –, da haben Sie in einem Bereich – und Fisch und Geflügel –, bei einem Bereich, bei Geflügel, kann man Selbstversorgung in Russland herstellen, bei allen anderen nicht.
    Unsere Milchlieferungen, Milchproduktelieferungen sind aber bereits dramatisch nach unten gegangen, weil schon solche Formen von Quasi-Handelsbeschränkungen entstanden waren. Das heißt, unsere Hersteller orientieren sich bereits in Richtung andere Exportmärkte. Nicht zuletzt deswegen werde ich übrigens in Kürze China eine Reise abstatten und dort Kontakte mit den entsprechenden chinesischen Stellen haben.
    Zurheide: Das geht natürlich dann insgesamt so. Ich höre jetzt auch, dass die Südamerikaner gefragt sind, möglicherweise irgendwelche Lücken zu schließen – dann könnten natürlich Märkte dauerhaft auch verloren gehen. Dann sagen Sie: Dann ist das so? Das ist der Preis für politische Sanktionen?
    Schmidt: Nein, das muss man natürlich sehen. Da haben Sie recht, das ist eine Besorgnis, insbesondere Brasilien – Putin war ja, wie wir uns erinnern, erst vor Kurzem in Brasilien und hat dort mit der Bundeskanzlerin, allerdings auch mit der brasilianischen Präsidentin geredet.
    Wir beobachten seit längerer Zeit, dass sich Brasilien und ich nehme dazu Argentinien, das ja nun wirklich gegenwärtig ein leichter Kandidat für Verhandlungen ist, wenn sie denen Geld bringen, dann offensichtlich planen, hier in gewissen Bereichen Marktlücken zu machen.
    Wir haben allerdings auch gerade erlebt, dass die veterinärmedizinischen und phytosanitären, also Pflanzengesundheit betreffenden Anforderungen von Russland sehr hoch sind. Deswegen sind wir etwas überrascht, dass die Standards offensichtlich als in Brasilien als eingehalten betrachtet werden. Ich habe das nicht zu bewerten, aber das ist sicherlich auch interessant, ob das eine langfristige Positionierung dann bringen wird. Zudem ist es auf ein Jahr ausgerichtet.
    "Handel ist nur beschränkt ein Mittel von Politik"
    Zurheide: Ganz zum Schluss, Herr Schmidt, eine Frage: Lohnt sich so ein Handelskrieg oder ist es nicht am Ende ... Verlieren nicht alle dabei?
    Schmidt: Also Moment mal: Es ist kein Handelskrieg. Wir haben vor drei Wochen 80 tote Kinder, die zum Teil noch verwesen auf den Feldern in der Südukraine, und wir haben gerade 100 Jahre Ausbruch des Ersten Weltkriegs gedacht. Und da soll Europa nicht mal bereit sein, aufzufordern, demjenigen – und das geht an Moskau – mitzuhelfen, dass diese terroristischen Aktivitäten von Mörderbanden unterbunden werden?
    Ich glaube, wenn wir dazu nicht mehr bereit wären, dann wären wir vor der Geschichte wohl nicht gerade die, die als besonders beeindruckend dargestellt würden. Das ist das eine. Und das andere: Natürlich muss man im Gespräch bleiben, muss versuchen, weiter Kontakt zu haben und den Handel zu intensivieren. Handel ist nur beschränkt ein Mittel von Politik. Der Freihandel ist ja das, was wir gerade wollen. Aber wir müssen schon auch noch in der Lage sein, zu sagen, was wir von unseren Werten und in Europa uns vorstellen, das heißt: Frieden.
    Zurheide: Das war Christian Schmidt, der Bundeslandwirtschaftsminister, zu den Sanktionen und den Auswirkungen. Herr Schmidt, ich bedanke mich für das Gepräch!
    Schmidt: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.