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Russland und Weißrussland
Bündnisstaat oder loses Bündnis?

Vor 20 Jahren haben Russland und Weißrussland beschlossen, einen Bündnisstaat zu schaffen - allerdings nur auf dem Papier. Seit Jahresbeginn versucht Wladimir Putin nun, das Abkommen mit Leben zu füllen. Bislang vergeblich. Weißrussland will sich nicht vereinnahmen lassen.

Von Florian Kellermann | 20.12.2019
Wladimir Putin sprechen und Alexander Lukaschenko sprechen auf einem Podium leise miteinander.
Russlands Präsident Wladimir Putin (r.) und sein weißrussischer Kollege Alexander Lukaschenko bei einem Treffen in Sankt Petersburg im Juli 2019 (imago / Mikhail Metzel )
Die weißrussische Opposition hat vorsorglich zu einer Demonstration aufgerufen – heute Abend im Zentrum von Minsk. Das Motto: "Wir glauben, wir können, wir siegen". Denn unter den Gegnern von Präsident Alexander Lukaschenko geht die Angst um, dass dieser die Unabhängigkeit des Landes aufs Spiel setzen könnte. Auch Maria Kaloscha, Inhaberin eines Schönheitssalons, will demonstrieren. Schon vor der Parlamentswahl im November sagte sie:
"Wenn das kommt, wenn wir einen gemeinsamen Staat mit Russland bilden, dann muss ich das Land wohl verlassen. In Russland gibt es ja noch weniger Freiheiten, und der russischen Provinz geht es noch schlechter."
Noch ist unklar, was die Präsidenten Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko heute unterschreiben werden - wenn es überhaupt zu einem Abkommen kommt. Klar ist nur die Ausgangslage: Moskau möchte möglichst viel Integration möglichst bald, Minsk dagegen möglichst wenig und am besten irgendwann.
Treffen Anfang Dezember endete ergebnislos
Eigentlich sollte der neue Vertrag schon am 7. Dezember in Sotschi unter Dach und Fach sein, am 20. Jahrestag des ursprünglichen Abkommens. Doch Alexander Lukaschenko äußerte sich dort so vage wie nur irgend möglich:
"Wir sind nur hierhergekommen, um zu analysieren, wie es um unseren Vertrag steht. Unser Postulat ist und bleibt: Weißrussen und Russen sollten die gleichen Lebens- und Arbeitsbedingungen haben. Mehr brauchen wir nicht."
Das sieht Russland ganz anders. Es pocht darauf, dass überstaatliche Institutionen geschaffen werden: zunächst eine gemeinsame Notenbank, die dann auch für eine gemeinsame Währung zuständig wäre. Die fünfstündigen Gespräche hinter verschlossenen Türen seien sehr emotional verlaufen, berichteten russische Medien. Die beiden Präsidenten hätten sich gegenseitig verbal auch persönlich angegriffen. Es gab noch nicht einmal eine gemeinsame Schlusserklärung.
Putin erhöht wirtschaftlichen Druck
Wladimir Putin machte bei seiner gestrigen großen Pressekonferenz deutlich, dass ihm langsam der Kragen platzt:
"Wir sprechen mit unseren weißrussischen Partnern und machen Fortschritte. Aber jetzt vorzugreifen und Weißrussland so zu unterstützen, wie es das fordert, solange nicht klar ist, wie es mit dem Bundesstaat weitergeht, wäre ein Fehler von uns."
Wladimir Putin legte dar, dass Weißrussland russisches Gas so billig bekomme wie kein anderer europäischer Staat, und dass Moskau dem Nachbarland Milliardenkredite gewährt habe. Minsk jedoch fordert mehr - vor allem eine Kompensation dafür, dass es seit Jahresbeginn Erdöl in Russland nicht mehr so billig einkaufen kann wie früher. Wirtschaftlicher Druck auf Alexander Lukaschenko ist das eine; das andere sind politische Schachzüge. Vor wenigen Tagen veröffentlichte die Deutsche Welle ein Interview mit einem ehemaligen weißrussischen Soldaten. Es beleuchtet politische Morde um die Jahrtausendwende, für die Alexander Lukaschenko verantwortlich sein soll. Dass sich der Zeuge jetzt meldete, könnte auf den Einfluss von Moskau hin passiert sein, mutmaßen einige Experten. Es könnte eine Botschaft an den weißrussischen Präsidenten sein: Entweder er fügt sich, oder immer mehr unangenehme Informationen über ihn kommen ans Tageslicht.
Im Zweifel gegen Russland
Wirtschaftlicher Druck werde Alexander Lukaschenko jedenfalls nicht brechen, meint der Minsker Politologe Walerij Karbalewitsch:
"Wenn es den Leuten schlechter geht, protestieren sie nicht gleich. Die Weißrussen lösen das lieber individuell. Sie packen ihre Koffer und fahren nach Polen oder nach Litauen, wo es viele freie Stellen gibt. Wenn Alexander Lukaschenko zwischen zwei Übeln wählen soll: Integration mit Russland oder Verzicht auf russische Hilfe – dann wird er das letztere wählen."
Ob das stimmt, könnte sich schon heute beim Treffen in Sankt Petersburg herausstellen.