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Sächsischer CDU-Politiker
"Wir haben ein Problem mit Rechtsextremismus in Sachsen"

Das Bundesland habe die meisten rechtsextremen Ausschreitungen im Bundesvergleich, sagte der CDU-Innenpolitiker Christian Hartmann im DLF. "Das ist eine bittere Realität." Allerdings könnten pauschal nicht alle Sachsen in Verantwortung genommen werden.

Christian Hartmann im Gespräch mit Sandra Schulz | 22.02.2016
    Christian Hartmann von der sächsischen CDU
    Christian Hartmann von der sächsischen CDU (dpa / picture-alliance / Arno Burgi)
    Es sei schwer, den Sachverhalt der Ereignisse von Clausnitz pauschal zu bewerten, so Hartmann. Er warnte vor pauschalen Vorverurteilungen. "Das Hauptproblem liegt in dem ausländerfeindlichen rassistischen Mob, der vor Ort zu dieser Radikalisierung und zu diesen Aggressivitäten beigetragen hat, und mit dem muss man sich auseinandersetzen."
    Eine Lösung läge für den sächsischen CDU-Politiker im repressiven Handeln, indem Sicherheitsmaßnahmen vorgenommen würden und offensiver als bislang in einen Diskurs getreten werde.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: "Wir sind das Volk" hatten die Demonstranten den Flüchtlingen entgegengebrüllt, am Donnerstagabend im sächsischen Clausnitz beim Versuch, die Ankunft der etwa 20 Flüchtlinge in einer Asylunterkunft zu behindern. Was das für ein Volk ist, darauf kann sich jeder selbst einen Reim machen. Es folgte der Brandanschlag in der Nacht auf Sonntag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Bautzen.
    Am Telefon begrüße ich Christian Hartmann, den innenpolitischen Sprecher der CDU-Landtagsfraktion in Dresden. Guten Tag.
    Christian Hartmann: Einen wunderschönen guten Tag.
    Schulz: Erst Freital und Heidenau und jetzt Clausnitz und Bautzen, und alle Fälle spielen in Sachsen. Ist das Zufall?
    Hartmann: Wir müssen klar bekennen, wir haben ein Problem mit Rechtsextremismus in Sachsen. Da ist nichts zu deuteln. Wir haben die meisten Ausschreitungen im Bundesvergleich, das ist eine bittere Realität. Gleichzeitig heißt das aber auch, nicht pauschal vier Millionen Sachsen dort in Verantwortung zu nehmen, sondern einfach deutlich zu sagen: Das ist ein gesellschaftliches Phänomen, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Wir haben in den letzten Jahren auch versucht, entsprechend darauf zu reagieren, müssen aber konstatieren, dass die Bemühungen bisher nicht abschließend Erfolg haben, und müssen uns jetzt viel intensiver auch mit dem Thema auseinandersetzen. Das betrifft aber neben der Frage von Repression vor allen Dingen auch einen gesellschaftlichen Diskurs und den Umgang der Zivilgesellschaft mit diesen Themen.
    "Es geht auch um die Frage des bürgerlichen Engagements in der Zivilgesellschaft"
    Schulz: Über die Einschätzung bin ich jetzt erstaunt, dass Sie sagen, es hat diese Bemühungen schon lange gegeben. Es war ja lange Lesart in der CDU, in Ihrer Partei, die das Land Sachsen ja nun mal seit mehr als zweieinhalb Jahrzehnten in ihren Händen hat per Regierung, dass es dieses Problem Rechtsextremismus nicht gebe. Ist das nicht auch Teil des Problems?
    Hartmann: Wenn man genau hinschaut, dann haben wir 1991 auf die Reaktion der Ausschreitungen damals in Hoyerswerda die Gründung der Soko Rex. Wir haben 2012 die Gründung des operativen Abwehrzentrums, was sich ja genau mit den Fragen rechtsextremistischer Gewalt und Straftaten auseinandersetzt. Wir haben das Thema sehr intensiv im polizeilichen Bereich in der Bearbeitung gehabt. Ich sage nur einmal, 2015 hat das OAZ 279 Ermittlungsverfahren geführt gegen 631 Beschuldigte bei einer Aufklärungsquote von über 73 Prozent. Wir haben 2015 bei der INES, der Integrierten Ermittlungseinheit von Justiz und Polizei, das Sonderdezernat politisch motivierte Straftaten geschaffen, wo Staatsanwaltschaft und Polizei Hand in Hand gearbeitet hat. Aber es geht nicht nur um die Frage der harten und konsequenten Umsetzung des Staates und der Rechtslage, sondern es geht auch um die Frage des bürgerlichen Engagements in der Zivilgesellschaft, und da muss man konstatieren, dass Rechtsextremisten nicht die Mehrheit der Gesellschaft in Sachsen ausweisen, repräsentieren offensichtlich aber durchaus in verschiedenen Bereichen, wo sie bis hin zu Clausnitz agieren konnten und instrumentalisieren können, und mit der Frage müssen wir uns intensiv auseinandersetzen.
    Schulz: Läuft diese Auseinandersetzung denn intensiv genug? Auf diesen Vorwurf möchte ich noch mal kommen. Der ist vom politischen Gegner natürlich erhoben. Aber ehrlich gesagt: Heute Morgen im Deutschlandfunk haben wir in aller Öffentlichkeit im Deutschlandfunk auch ein ziemlich starkes Indiz dafür gehört, dass der Vorwurf nach wie vor stimmt, dass das Problem in Sachsen einfach nicht ernst genug genommen wird. Der sächsische Ausländerbeauftragte Geert Mackenroth, auch CDU-Politiker wie Sie, lange Justizminister in Sachsen, der hat nach den Vorfällen in Clausnitz heute Morgen das gesagt:
    O-Ton Geert Mackenroth: "Ich bin im Sachverhalt nicht so drin, dass ich nun mir eine abschließende Beurteilung zutrauen würde."
    Schulz: Wie gesagt, der Mann müsste eigentlich von Berufswegen in dem Vorgang drin sein und ein Bild von der Lage haben. Sagen Sie uns noch mal, was Sie dem Eindruck entgegensetzen, dass das Land Sachsen das Problem nicht ernst genug nimmt.
    Hartmann: Ich kann jetzt aus der Aussage des Ausländerbeauftragten nicht erkennen, dass er es nicht ernst nimmt. Es ist vielmehr aus meiner Sicht so, dass es schwer ist, diesen Sachverhalt pauschal zu bewerten, nämlich hinsichtlich der Frage der Einsatzführung der sächsischen Polizei respektive der Bundespolizei, die vor Ort war. Ich glaube, bei aller Notwendigkeit der Aufklärung - und die ist jetzt auch in der Tat erforderlich und wir haben uns soeben auch im Innenarbeitskreis damit beschäftigt; wir werden uns im Innenausschuss sehr intensiv damit beschäftigen - hilft es keinem, jetzt irgendwelche pauschalen Vorverurteilungen vorzunehmen. Das Problem lässt sich ganz kurz zusammenfassen. Das Hauptproblem liegt in dem ausländerfeindlichen rassistischen Mob, der vor Ort zu dieser Radikalisierung und zu diesen Aggressivitäten beigetragen hat, und mit dem muss man sich auseinandersetzen.
    "Der ausländerfeindliche, rassistische Mob, der sich dort organisiert, ist das Thema"
    Schulz: Wenn wir ganz kurz jetzt tatsächlich bei Clausnitz bleiben und ich das interpretiere, was Sie gerade sagen, verstehe ich Sie dann richtig, dass Sie auch noch kein Bild von der Lage haben?
    Hartmann: Ich habe die Informationen, die mir jetzt zugetragen worden sind. Ich kenne das Bildmaterial, was einen Teilaspekt wiedergibt. Ich erkenne, dass vor Ort ein Bus untergebracht wurde, der unter Begleitung eines Streifenwagens vor Ort gefahren ist, was ja auch nicht alltäglich ist. In anderen Bundesländern läuft das ohne polizeiliche Begleitung. Wir haben eine Eskalation, die aus meiner Sicht so nicht erkennbar war, von über 100 Leuten, die vor Ort aggressiv den Bus erwartet haben. Wir haben ein Agieren der Polizei, wo ich jetzt schon erwarte, dass wir die einzelnen Maßnahmen in Ruhe auswerten und beleuchten, auch mit der Frage des Handelns im Bus. Ich bleibe aber dabei, dass als erstes ich mich natürlich auch vor die sächsische Polizei und den Einsatz der Polizei stelle, erwarte, dass alle Fragen geklärt werden in aller Ruhe, dass Verantwortlichkeiten auch definiert werden, möchte aber deutlich sagen in der Diskussion, der Fokus der Debatte liegt für mich weder bei den Asylbewerbern im Bus, noch bei der sächsischen und der Bundespolizei, sondern er liegt in dem Agieren von Menschen vor Ort, wo ich auch wissen möchte, wo sie hergekommen sind. Es gibt auch Indizien, dass es nicht nur Clausnitzer waren, sondern überragend auch ein Reisetourismus, der sich offensichtlich hier breitmacht, und da gilt es, konsequent gegen vorzugehen. Deswegen noch mal: Der ausländerfeindliche, rassistische Mob, der sich dort organisiert, ist das Thema.
    Schulz: Aber die Frage, warum die Gewalt gegen den jugendlichen Flüchtling, die stellen Sie sich nicht?
    Hartmann: Natürlich stelle ich mir diese Frage, wie ich mit dieser Momentaufnahme umgehen muss, was ich dort sehe. Ich möchte aber, bevor ich eine abschließende Bewertung vornehme, alle Seiten und alle Aspekte der Situation kennen, weil es ist sehr einfach, aus einem Bild heraus eine pauschale Positionierung zu beziehen. Ich glaube, dass es entscheidend ist, alle Faktoren auf dem Tisch zu haben, um auch vor allen Dingen für folgende Maßnahmen daraus den richtigen Schluss zu ziehen.
    Schulz: Aber dann sagen Sie uns doch mal, welchen anderen Schluss man daraus ziehen kann. Es gibt diese pöbelnde Masse vor dem Bus. Es gibt die Entscheidung, diesen jugendlichen Flüchtling mit Gewalt ins Heim zu holen. Es gibt eine johlende Menge. Was spricht dafür, dass die Polizisten da alles richtig gemacht haben?
    Hartmann: Aus meiner Sicht ist eine Gefährdungssituation erkennbar und aus dieser Gefährdungssituation hat es ein kurzfristiges Handeln erforderlich gemacht. Die Maßnahme erscheint vom ersten visuellen Ausdruck sehr hart. Aber es gilt an der Stelle, doch zu hinterfragen, wie es dazu kam. Möglicherweise ist es eine Selbstsicherungsmaßnahme, um aus der johlenden Masse heraus, aus dem Bus heraus den Jugendlichen herauszunehmen. Ich will das nicht schönreden und ich will jetzt überhaupt keinen Schutzschirm aufbauen. Ich will aber auch vermeiden, dass ich jetzt mit diesen Informationen der Visualisierung und dem bisherigen Erkenntnisstand eine pauschale Positionierung treffe gegenüber handelnden Polizeibeamten. Das ist Sache einer konsequenten Aufklärung, von der Sie ausgehen sollten, dass sie auch erfolgt. Und noch einmal: Der Fokus aus meiner Sicht liegt bei den Menschen, die davor ausländerfeindlich, rassistisch den Druck ausgeübt haben auf die Menschen, die dort hingekommen sind, und die auch das polizeiliche Handeln mehr als erschwert haben.
    Schulz: Es gibt das Statement und die Frage des innenpolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, natürlich ihr politischer Gegner. Aber weil so prägnant, möchte ich das an dieser Stelle zitieren. Er warnt davor, dass Sachsen zu einem Failed State in Sachen Rechtsextremismus werden könnte. Was wollen Sie denn dagegen tun?
    Hartmann: Erstens politischer Mitbewerber. Zweitens: Wir sind in Sachsen in einer Regierungskoalition mit der SPD und wir arbeiten dort sehr eng zusammen. Das ist Wählerwille. Und ich sage Ihnen ganz ehrlich: Es heißt jetzt an der Stelle aufarbeiten, auch mit den letzten Erfahrungen der letzten Monate, mit dem Blick auf die aktuellen Ereignisse weitere Handlungsoptionen zu ziehen. Das ist aber neben der Repression, neben dem polizeilichen Handeln vor Ort vor allen Dingen auch der zivilgesellschaftliche Umgang mit dem Thema. Hier gibt es nichts zu verniedlichen und zu beschönigen. Es gilt aber auch, nicht pauschal Urteile zu fällen, sondern wir brauchen eine Lösung, und das Thema eilt ... zum politischen Dissens.
    "'Offensiver als bisher in den Diskurs treten"
    Schulz: Wie sieht die aus?
    Hartmann: Wie sieht die aus? - Das eine ist einmal klar das repressive Handeln, Täter feststellen, verurteilen. Das heißt, die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen zu machen und offensiver als bisher noch in den Diskurs zu treten. Wir sehen doch an der Stelle insbesondere zwei Phänomene. Das eine ist eine gesellschaftliche Verunsicherung, die einen Nährboden dafür liefert, dass einzelne Extremisten einen Zuzugsraum finden und aggressive Übergriffe vornehmen. Wir sehen eine zunehmende Aggressivisierung und einen zunehmenden Übergriff auch auf Einrichtungen, die nicht hinnehmbar sind. Und wir müssen uns aber hinterfragen, wo Rahmen und Ursache liegt. Der Nährboden ist ja offensichtlich gerade aufgegriffen worden und wir müssen uns vor allen Dingen dem stellen, durch gegebenenfalls klare Regeln, durch entsprechende Integrationsmaßnahmen, durch entsprechend transparente Steuerung, dass wir diesen Nährboden entziehen.
    Schulz: Der sächsische CDU-Innenpolitiker Christian Hartmann heute hier bei uns in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank dafür.
    Hartmann: Danke! Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.