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Sagen & Meinen
Über Armut sagen die Zahlen wenig aus

Regelmäßig veröffentlicht das Statistische Bundesamt seine Zahlen zur Armutsgefährdung, manchmal wird auch von „Armutsrisiko“ gesprochen. Aber: Was wird da eigentlich gemessen? Die Gefährdung? Oder eigentlich nur Armut? Und welche Armut genau?

Von Ann-Kathrin Horn |
Blick auf den Hauptsitz des Statistischen Bundesamtes, aufgenommen am 23.08.2013 in Wiesbaden (Hessen). Foto: Fredrik von Erichsen/dpa | Verwendung weltweit
Das Statistische Bundesamt erhebt eine sogenannte "Armutsgefährdungsquote" (dpa)
In Deutschland gibt es keine armen Menschen – wenn man den offiziellen Zahlen der Behörden folgt. Denn die sprechen nur von "Armutsgefährdung" oder "Armutsrisiko", aber nie von Armut. Und das ist doppelt problematisch.
Problem Nummer 1 ist die Formulierung. Das Statistische Bundesamt und die EU untersuchen nämlich gar nicht, wie viele Menschen armutsgefährdet sind. Sie untersuchen, wer zuletzt verhältnismäßig wenig Geld eingenommen hat. Würden sie die "Gefährdung" oder das "Risiko" untersuchen, müssten sie zum Beispiel fragen, wie wahrscheinlich es ist, dass jemand in Zukunft seinen Job verliert. Aber die Formulierung "armutsgefährdet" klingt harmloser, als einfach zu sagen: So und so viele Menschen sind arm.
Sagen & Meinen: Der Sprachcheck
Viel zu oft setzen sich fragwürdige Begriffe und Euphemismen in Medien fest, zum Beispiel das "Gute-Kita-Gesetz", das "Familiendrama" oder der "Lockdown". Solche Formulierungen hinterfragen wir in der Reihe "Sagen & Meinen – der Sprachcheck".
Wenig aussagekräftig
Aber da sind wir schon beim zweiten Problem: Denn die Zahlen, die erhoben werden, sagen auch gar nicht so viel aus über wirkliche Armut. Untersucht wird, wer zuletzt im Vergleich zu den anderen ein verhältnismäßig geringes Netto-Einkommen hatte. Dazu zählt aber auch der Student, der jeden Monat 1000 Euro von den Eltern bekommt. Oder die Managerin, die vorletztes Jahr noch eine Million verdient hat, und seit letztem Jahr auf Weltreise ist. Arm würden sich wohl beide nicht nennen.
Über Armut sagen die Zahlen also wenig aus – und über Armutsgefährdung und Armutsrisiko eigentlich nichts. Deswegen taugt eigentlich keiner der Begriffe für entsprechende Behördenberichte. Komplizierter, aber korrekter wäre eine Bezeichnung wie "relative Einkommens-Armut".
Die Armutsgefährdung (im Wortsinn des Statistischen Bundesamtes) errechnet sich daraus, ob jemand weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens bekommt – durch Arbeit, aber auch durch Mieteinnahmen oder Aktien.