Viel zu oft setzen sich fragwürdige Begriffe und Euphemismen in Medien fest, zum Beispiel das "Gute-Kita-Gesetz", das "Familiendrama" oder der "Lockdown". Solche Formulierungen hinterfragen wir in der Reihe "Sagen & Meinen – der Sprachcheck".
Das Medienmagazin mit Beiträgen zu Hintergründen, Analysen und Meinungen zu allen Themen aus analoger und digitaler Medienwelt: Pressefreiheit, journalistisches Handwerk, Medienethik, Strukturwandel, Medienpolitik, Unternehmen und Personalien, Medienforschung und Medienpädagogik.
Mit der Reihe "Sagen & Meinen" wollen wir auf unpassende Formulierungen aufmerksam machen (dpa / Britta Pedersen )
Ein "Familiendrama" ist höchstens ein Streit über den Hausputz, aber keinesfalls ein Dreifachmord an Frau und Kindern.
Für einen angeblichen "Friedensplan", wie ihn US-Präsident Donald Trump für Israel angekündigt hat, müssten zumindest alle befragt worden sein, die Frieden schließen sollen.
Und kann man wirklich noch verharmlosend von einem "Klimawandel" sprechen, wenn wir – wissenschaftlich untermauert - eher auf eine Klimakatastrophe zusteuern?
Oder: Die Frage, warum das unpassende Wort "Kinderpornographie" noch immer benutzt wird:
Botschaften hinter den Begriffen offenlegen
Wie wir über die Dinge reden, prägt oft auch, wie wir die Dinge behandeln. Und wie wir sie behandeln, zeigt sich oft auch in der Sprache. Deswegen ist es so wichtig, darauf zu schauen, wie wir beides tun. Politikerinnen und Politiker, Medienschaffende und alle, die mit beidem zu tun haben. Oft sagen sie das eine, meinen aber in Wirklichkeit etwas ganz anderes.
Die neue Rubrik bei @mediasres hinterfragt solche Begriffe. Wir erklären, welche Absicht damit verbunden sein kann und welche sprachlichen Alternativen es gibt. Kurz und knapp zeigen wir auf, worin der Unterschied zwischen Sagen und Meinen besteht.
Alle Folgen in der Übersicht
Folge 1: Warum Ausgangs-beschränkungen kein Lockdown sind Während der Coronakrise werden in den Medien viele Begriffe für die Einschränkungen im öffentlichen Leben verwendet. Besonders oft ist dabei die Rede vom Shut- oder vom Lockdown. Dabei sind diese Bezeichnungen für die Situation in Deutschland unpassend.
Folge 2: Warum die Autoprämie gar keine Prämie ist Die Bundesregierung will bis Anfang Juni entscheiden, ob und wie sie die Autoindustrie finanziell unterstützt. In den Berichten zum Thema ist dabei oft von einer Kaufprämie die Rede. Es gibt allerdings gute Gründe, diesen Begriff nicht zu benutzen.
Folge 3: Warum Infizierte nicht immer Erkrankte sind In Berichten über die Ausbreitung der Corona-Pandemie ist häufig von "Neuinfizierten" innerhalb eines Tages die Rede. Dabei geben die Zahlen das gar nicht her. Richtig kompliziert wird es, wenn nicht zwischen Infizierten und Erkrankten unterschieden wird.
Folge 4: Warum es nicht "Verschwörungstheorie" heißen sollte Sogenannte "Verschwörungstheorien" haben im Zuge der Coronakrise Hochkonjunktur und werden so auch in den Medien bezeichnet. Dabei trifft "Theorie" auf die Erzählungen, Ideologien und Mythen gar nicht zu.
Folge 6: "Rassenunruhen" - ein "grundfalscher" Begriff Seit Wochen demonstrieren vor allem in den USA zehntausende Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt. Wenn dabei von "Rassenunruhen" gesprochen wird, ist das nicht wirklich treffend.
Folge 8: "Pädophilie": Keine Straftat In der Berichterstattung über Kindesmissbrauchsfälle ist auch oft die Rede von Pädophilie. Der Begriff wird allerdings oft nicht richtig eingeordnet, denn bei weitem nicht alle Pädophile vergehen sich an Kindern. Pädophilie ist auch keine Straftat.
Folge 9: "*Innen" - Es gibt auch Rechtspopulistinnen Manche sagen Politiker, meinen aber auch Politikerinnen. Frauen sollen sich natürlich auch angesprochen fühlen - das ändert sich. Trotzdem reden wir oft nur von Terroristen. Konsequent?
Folge 10: Die selbsterklärten "Sparsamen Vier" In der EU-Haushaltspolitik sprechen viele Medien derzeit von den "Sparsamen Vier" – ein Titel, den Österreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark selbst mitgeprägt haben. Es wäre besser, darauf zu verzichten.
Folge 11: Die Last mit Steuerbegriffen Wenn Medien über Steuern berichten, dann häufig mit Wortkonstruktionen, die das Thema als etwas Negatives erscheinen lassen: Steuerbelastung zum Beispiel. Neutral ist das nicht – denn die positiven Seiten des Themas bleiben so auf der Strecke.
Folge 12: Kindesmissbrauch: Treffender Begriff? Beim Begriff "Kindesmissbrauch" meinen einige, dass daran etwas nicht stimmt. Wenn es möglich ist, Kinder zu missbrauchen – müsste es dann nicht auch möglich sein, sie zu gebrauchen? Eine verständliche Schlussfolgerung. Das sehen aber nicht alle so.
Folge 13: Wer ist wirklich "sozial schwach"? Menschen, die wenig Geld haben, werden in den Medien oft als "sozial schwach" bezeichnet. Dabei ist eine soziale Schwäche etwas völlig anderes. Deshalb wäre es deutlich sinnvoller, auf andere Begriffe zurückzugreifen.
Folge 14: Weißrussland oder Belarus? Wenige Tage vor den Parlamentswahlen in Belarus sind sich viele Menschen hierzulande unsicher, wie das Land nun wirklich heißt. Noch bei den Olympischen Spielen hieß es Weißrussland – nun taucht immer öfter die Bezeichnung Belarus auf.
Folge 15: Über Armut sagen die Zahlen wenig aus Regelmäßig veröffentlicht das Statistische Bundesamt seine Zahlen zur Armutsgefährdung, manchmal wird auch von "Armutsrisiko" gesprochen. Aber: Was wird da eigentlich gemessen? Die Gefährdung? Oder eigentlich nur Armut? Und welche Armut genau?
Folge 16: Über Polizeigewalt reden – aber präzise Der Begriff "Polizeigewalt" wird meist im Zusammenhang mit unrechtmäßiger Gewalt verwendet – ist aber nicht ganz zutreffend. Denn Polizistinnen und Polizisten dürfen laut Gesetz Gewalt anwenden.
Folge 17: Wer sagt Nein zur Maske? An vielen Orten – etwa im öffentlichen Nahverkehr oder in Geschäften – müssen während der Corona-Pandemie Masken getragen werden. Manche Menschen widersetzen sich dieser Pflicht. Der Begriff Maskenmuffel passt für sie aber nicht.
Folge 19: Wenn Medien Firmen-PR übernehmen In Brandenburg entsteht derzeit eine neue Fabrik des Elektroautobauers Tesla. Gründer Elon Musk rührte bereits höchstpersönlich vor Ort die Werbetrommel und nennt das Werk "Gigafactory" – ein PR-Wort.
Folge 20: Warum ein US-Präsident nicht "durchregieren" kann Bei der Stichwahl in Georgia entscheide sich auch, ob der gewählte US-Präsident Joe Biden später "durchregieren" könne, heißt es in einigen Medien. Der Begriff unterschlägt die mächtige Rolle der Abgeordneten.
Folge 21: Darum ist "Kampfkandidatur" der falsche Begriff Am Wochenende entscheidet die CDU über ihren künftigen Vorsitzenden. Viele Medien sprechen deshalb von einer "Kampfkandidatur". Dabei geht es um eine selbstverständliche, demokratische Entscheidung.
Folge 22: Sind Geimpfte privilegiert? Sich ohne größere Einschränkungen in der Öffentlichkeit bewegen oder ins Restaurant gehen – die Politik diskutiert darüber, ob Menschen mit einer Corona-Schutzimpfung wieder mehr dürfen. Doch handelt es sich dabei wirklich um Privilegien?
Folge 23: Rassismus auch Rassismus nennen Auch im Zusammenhang mit dem rechtsextremen Terroranschlag von Hanau haben viele Medien wieder von einem "fremdenfeindlichen" Hintergrund gesprochen. Doch dieser Begriff passt fast nie.
Folge 24: Ist "Klimawandel" der passende Begriff? Wenn Medien darüber berichten, dass sich die Durchschnittstemperatur auf der Erde ständig erhöht, nutzen sie oft den Begriff "Klimawandel". Der ist nicht falsch, verharmlost aber auch.
Folge 25: Wenn "Sicherheitskräfte" keine Sicherheit herstellen In Nachrichten und Berichten hören wir immer wieder von "Sicherheitskräften". Dabei wird der Begriff auch dann verwendet, wenn diese Kräfte alles andere als Sicherheit herstellen. Im Zweifel kann den Medien auch Ungenauigkeit helfen.
Folge 26: Warum "Impfschwänzen" als Begriff zu weit geht Menschen, die ihre Impftermine verstreichen lassen werden oft als "Impfschwänzer" bezeichnet. Doch diese Formulierung ist ungenau, meint Annika Schneider. Für den verpassten Termin gebe es manchmal ganz andere Gründe.
Folge 27: Warum Medien nicht über "Selbstmord" schreiben sollten Nur in Ausnahmefällen sind Suizide Medienthema – zu groß ist die Gefahr, dass die Taten Nachahmer finden. Die Begriffe "Selbstmord" und "Freitod" müssten in jedem Fall vermieden werden, warnt Stefan Fries.
Folge 28: Warum es erst mal egal ist, ob Opfer "unschuldig" sind Wenn Menschen bei Amokläufen oder Terrorangriffen ums Leben kommen, gelten sie oft als "unschuldige" Opfer – ein unpräziser Begriff, der in der Berichterstattung nichts zu suchen hat, findet Stefan Fries.
Folge 29: Kann denn Rasen Sünde sein? In Meldungen zum neuen Bußgeldkatalog ist oft von "Verkehrssündern" die Rede. Ein verharmlosender Begriff, findet Annika Schneider, denn Verkehrsregeln sollen Menschenleben schützen.
Folge 30: Niemand infiziert sich "trotz Impfung" mit Corona Die Formulierung vieler Medien, dass sich Menschen "trotz Impfung" mit dem Coronavirus infiziert hätten, ist falsch und irreführend, findet Stefan Fries. Denn die Impfung ist nicht dafür da, eine Infektion zu verhindern.
Folge 31: Warum Demos „nicht genehmigt“ werden müssen In Berichten über Demonstrationen ist immer wieder zu hören, diese seien „nicht genehmigt“ gewesen. Doch dieser Begriff sei irreführend, findet Annika Schneider. Denn es gehe ja um ein Grundrecht.
Folge 32: Es geht auch ohne „weiträumig“ Ob bei Funden von Weltkriegsbomben oder nach schlimmen Unfällen – die Polizei habe einen Bereich „weiträumig“ abgesperrt, heißt es dann oft. Dabei könnten Medien auf diesen unpräzisen Begriff auch ganz verzichten, findet Christoph Sterz.
Folge 33: "Gespaltene Gesellschaft" - gibt es die wirklich? Das Wort von der "Spaltung der Gesellschaft" hat derzeit Hochkonjunktur. Besonders mit fortschreitender Pandemie wird es oft voller Sorge benutzt. Von "Spaltung" zu reden, sei aber unangebracht, findet Stefan Fries.