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Sanktionen gegen Russland
"Wir könnten wesentlich mutiger sein"

Jo Leinen, SPD-Abgeordneter im Europaparlament, zeigt sich enttäuscht über die Zögerlichkeit der Europäischen Union, weitere Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Das gleichzeitige Festhalten an Rüstungsverträgen mit Russland zeige die Doppelbödigkeit vieler EU-Länder, sagte Leinen im Deutschlandfunk.

Jo Leinen im Gespräch mit Gerd Breker | 23.07.2014
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    Der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen hält die EU für zögerlich im Umgang mit Russland. (picture alliance / dpa / Esteban Cobo)
    Im Europaparlament sei man enttäuscht über die Zögerlichkeit im Rat, sagte Jo Leinen, SPD-Abgeordneter im Europaparlament, im Deutschlandfunk. Genauso enttäuscht seien die Menschen in der Ukraine, die auf Hilfe warten. Die EU wolle die Ergebnisse der niederländischen Untersuchung des Flugzeugabsturzes in der Ukraine abwarten, bevor sie ihre Sanktionen intensiviere. Dabei könnten die Staaten Europas "wesentlich mutiger" sein.
    Kritik an fortdauernden Waffengeschäften
    Der Beschluss, bestehende Waffengeschäfte mit Russland zu erfüllen, tauge nicht viel, so Leinen. Zudem seien Sanktionen auf dem Energiesektor sinnvoller, da Russland empfindlicher getroffen werde. Aktuell gebe die Nachbarschaftspolitik ein schlechtes Bild ab: Man wolle von Russland profitieren; die Interessen anderer Länder wie der Ukraine seien zweitrangig.
    Es gebe keinen Spielraum mehr, noch länger mit Sanktionen zu warten, sagte Leinen im Deutschlandfunk. Russland verhindere den permanenten Waffenfluss über seine Grenzen in die Ukraine nicht. "Es wäre ein Leichtes für Russland, diese Grenzen zu kontrollieren", so Leinen. "Putin handelt nicht, das macht die Lage so prekär."

    Das Gespräch in voller Länge:
    Gerd Breker: Eine umfassende internationale Aufklärung der Umstände des Absturzes der Malaysia Airlines 17 wurde gefordert, und Präsident Putin hat das zugesagt, entsprechend auf die Separatisten einzuwirken. Derweil erwarten die Niederlande am Nachmittag die ersten Überreste der Opfer. Inzwischen weiß man aber, dass es gar nicht mal alle Opfer sein werden: Leichenteile von nur etwa 200 Opfern. Sprich die Überreste von etwa 100 Opfern sind an der Absturzstelle noch verstreut. Für eine gründliche Untersuchung hat Präsident Putin einen Waffenstillstand gefordert.
    Die Außenminister der Europäischen Union haben gestern zusammengesessen und über härtere Sanktionen gegenüber Russland beraten. Man ist sich einig, dass die Kooperationsbereitschaft des russischen Präsidenten in der Ukraine-Krise nicht ausreichend ist. Man hat das Gefühl, dass der Druck auf Russland erhöht werden müsse, dass nach wochenlangem Zögern den Worten nun Taten folgen müssen. Der vermutliche Abschuss einer zivilen Maschine mit über 200 Europäern an Bord hat Handlungsdruck erzeugt. Wie wollte man auch dem niederländischen Amtskollegen noch in die Augen schauen. Doch die Maus, die der kreisende Berg da erzeugte, war ein Prüfauftrag an die Kommission, welche weiteren Sanktionen ergriffen werden könnten.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Jo Leinen. Er ist Europaabgeordneter der SPD und dort Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Guten Tag, Herr Leinen.
    Jo Leinen: Guten Tag, Herr Breker.
    Breker: Anders als die USA zeigt sich die Europäische Union weiterhin zögerlich in ihren Sanktionsentscheidungen. Geben Sie damit das richtige Signal an Präsident Putin?
    Leinen: Im Europäischen Parlament sind wir enttäuscht über die Zögerlichkeit im Rat. Gestern gab es eine große Sitzung mit dem ukrainischen Außenminister, dem holländischen Botschafter und dem Vertreter unseres diplomatischen europäischen Dienstes, und es wird deutlich, dass die Mitgliedsländer nur zögerlich Richtung Putin reagieren. Das ist enttäuschend und enttäuscht auch die Menschen in der Ukraine.
    "Wir verlieren Zeit"
    Breker: Können wir eigentlich den Niederländern noch in die Augen schauen? Das sind diejenigen, die die meisten Opfer zu beklagen haben.
    Leinen: Nun haben die Niederländer ja die Oberhand bei der Auswertung der Flugschreiber und der Analyse dieser Katastrophe mit dem Absturz, und die EU hat gesagt, eine Intensivierung der Sanktionen hängt von den Ergebnissen ab, die die Niederlande bringen. Man wird in den nächsten Tagen abwarten müssen, wer da verantwortlich war für den Absturz. Man ahnt es ja schon, dass es die Separatisten waren. Auf dieser Grundlage wird es dann wohl auch weitere Sanktionen geben können.
    Breker: Es sieht sich aber ein wenig so an, Herr Leinen, als würde Europa sagen, Sanktionen nur dann, wenn es uns nicht wehtut.
    Leinen: Das ist ja auch der Vorwurf unserer Freunde aus den USA, die sagen, die Ukraine liegt nun mal in Europa, die liegt nicht in Amerika und Europa hat Verantwortung zu tragen. Und man sieht ja, dass die Außenpolitik der EU, eine gemeinsame Außenpolitik von 28 Staaten, dass dort Fortschritte eine Schnecke sind und es geht nur Stufe für Stufe voran. Ich bedauere das, wir könnten wesentlich mutiger sein, weil wir Zeit verlieren, und Zeit verlieren heißt, es wird dann noch viel mehr Opfer in dem Osten der Ukraine geben.
    Breker: Geprüft werden soll ein Waffenexportverbot. Alle bestehenden Lieferverträge allerdings, die sollen erfüllt werden. Irgendwie eine bizarre Entscheidung?
    Leinen: Ja, das ist wie ein Schweizer Käse. Dieser Beschluss ist so löchrig, dass er nicht viel taugt. Ich meine, dass eher die Sperrung von Konten, also der ganze Finanzsektor schnell wirkt, weil auch russische Unternehmen sind auf weltweite Überweisungen angewiesen. Auch der Energiesektor ist einer, der Russland sofort treffen würde. Beim Rüstungssektor merkt man die Doppelbödigkeit vieler Länder, die gute Geschäfte mit Putin machen und ungern das Geld verlieren.
    "Kein Glanzstück der Europapolitik"
    Breker: Und man fragt sich, welches Bild das eigentlich abgibt. Zu diesen Waffenexporteuren gehören Großbritannien, gehört Deutschland und erst recht Frankreich mit einem Hubschrauber-Träger. Welches Bild gibt das eigentlich ab?
    Leinen: Das gibt das Bild ab, wir möchten gern profitieren von Russland, und wenn es um die Interessen anderer Länder geht, wie der Ukraine, dann ist das zweitrangig. Uns sind die Beziehungen zu Russland mehr wert wie die Probleme, die es zu regeln gibt in der Ukraine, und das ist ein sehr schlechtes Bild einer Politik, die ja eine Nachbarschaftspolitik ist, einer Politik, die Länder an die EU heranführen soll, die Solidarität zeigen soll mit denen, die in Not sind, und ich meine, es ist kein Glanzstück der Europapolitik, was in diesen Wochen abläuft.
    Breker: Die Gesprächsfäden zu Russland sollen nicht abreißen. Nur wer spricht denn da worüber mit Russland?
    Leinen: Es gibt ja diese berühmten Telefonate unserer Kanzlerin Angela Merkel. Man hat nicht den Eindruck, dass Herr Putin beide Ohren offen hat, wenn er dieses Telefon abnimmt. Er mag das eine oder andere versprechen, aber die Taten sind andere. Die Taten sind ein permanenter Waffenfluss von Russland über die Grenze in die Ukraine, die Ausrüstung von Separatisten, auch von neuen Milizionären, die dort einsickern. Es wäre ein Leichtes für Russland, diese Grenzen zu kontrollieren und zur Not auch zu schließen. Das wird nicht gemacht und ich glaube, der Spielraum ist jetzt wirklich nicht mehr da, noch länger zu warten, sondern es muss jetzt auch wirksame Sanktionen geben.
    "Kontaktgruppe soll zusammentreten"
    Breker: Eine gesichtswahrende Lösung für Russlands Präsident Putin müsse es sein, wenn es denn zu einer friedlichen Lösung der Ukraine-Krise kommen soll. Das hören wir immer. Nur die Frage ist, wie kann denn so was überhaupt aussehen? Denn die Annexion der Krim ist völkerrechtswidrig.
    Leinen: Ja in der Tat, das ist noch mal ein Sonderfall, der uns lange beschäftigen wird. Jetzt geht es mal um den Osten der Ukraine, um Donezk und Lugansk, und da soll endlich die Kontaktgruppe zusammentreten, die ja beschlossen wurde, und Russland wäre dort dabei. Da kann man auch über die Interessen der Ostukraine reden, der russischsprachigen Bevölkerung, auch den Friedensplan von Präsident Poroschenko, der ja eine Dezentralisierung versprochen hat. Aber dies alles hängt in der Luft, weil am Boden gekämpft wird, und diese Kämpfe intensivieren sich, weil permanent von Russland Waffen und auch Personal rübergeschickt werden. Man merkt auch dort, es ist das eine zu reden und das andere zu handeln, und Putin handelt nicht und das macht die Lage so prekär.
    EU-Außenbeauftragte: "Wir brauchen eine starke Persönlichkeit"
    Breker: Und in dieser Situation, Herr Leinen,kann sich der Ministerrat nicht entscheiden, oder der Europäische Rat nicht entscheiden, wer denn der nächste oder die nächste Außenbeauftragte der Europäischen Union werden soll.
    Leinen: Ja gut, das Personalkarussell dreht sich. Wir bräuchten eine starke Persönlichkeit, um Europa in der Welt zu repräsentieren. Ich hoffe, eine erfahrene Politikerin oder einen erfahrenen Politiker, der auch Gewicht hat bei den Partnern in der Welt, von Russland angefangen, aber auch an den anderen Brennpunkten. Es ist nicht gut, dass Frau Ashton quasi im Abgang ist und man noch nicht weiß, wer Europa in der Welt führen soll.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung des SPD-Europaabgeordneten Jo Leinen. Er ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss dort. Herr Leinen, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.