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1622 vor Florida
Als die Galeone Nuestra Señora de Atocha Schiffbruch erlitt

Ab dem 16. Jahrhundert brachte Spaniens Silberflotte regelmäßig die in Südamerika erbeuteten Schätze nach Europa. 1622 ging mit der Nuestra Señora de Atocha eine randvoll beladene Galeone vor Florida verloren. Sie blieb rund 350 Jahre verschollen.

Von Ulrike Rückert | 06.09.2022
Silberstücke und Gold-Fingerbalken, die vor Key West aus dem 400 Jahre alten Wrack der spanischen Galeone Nuestra Señora de Atocha geborgen wurden
Silberstücke und Gold-Fingerbalken, die aus dem 400 Jahre alten Wrack der spanischen Galeone Nuestra Señora de Atocha geborgen wurden (picture-alliance / maxppp / Bruce Bennett)
"Das Wetter war heiter und klar, mit einem angenehmen Wind. Und so lichteten die achtundzwanzig Schiffe die Anker und setzten die Segel: acht Galeonen mit drei Kurierschiffen und die anderen der Flotte." - So schildert ein wenig später in Havanna verfasster Bericht den Aufbruch der Silberflotte des Jahres 1622 von Kuba. Im Frühjahr waren die Schiffe aus Spanien gekommen, eine von zwei Flotten, die jährlich Handelswaren aller Art in die Kolonien und die Schätze der Neuen Welt nach Sevilla brachten. Große Kriegsgaleonen begleiteten sie zum Schutz vor Piraten.
In der Karibik angekommen, schwärmten einige Schiffe aus, um in verschiedenen Häfen ihre Waren feilzubieten und Perlen, Gold und Smaragde, Kupfer, Indigo und Tabak zu laden - Reichtümer, die afrikanische Sklaven und indigene Zwangsarbeiter unter brutalen Bedingungen erzeugt hatten. Die übrigen liefen Portobelo an der Landenge von Panama an, Drehscheibe für das Silber von Potosí.

Silber aus dem "Höllenschlund" von Potosí

"Ohne Übertreibung kann ich sagen, dass diese Stadt Potosí die reichste und berühmteste auf dem ganzen Erdenkreis ist", schrieb ein Chronist. Viertausend Meter hoch in den Anden lag sie an einem Berg mit der größten Silberlagerstätte der Welt. Ein Fünftel der Ausbeute forderte die spanische Krone ein. Die Minen bezeichnete ein Dominikaner als "Höllenschlund" und selbst ein Vizekönig von Peru sagte: "Es ist nicht Silber, was nach Spanien gebracht wird, sondern Blut und Schweiß von Indianern."
Lamas trugen das Silber von Potosí zur Küste, dann wurde es auf Schiffen nach Panama und mit Maultieren über den Isthmus geschafft. In diesem Jahr traf die Karawane erst im Juli in Portobelo ein. Nach einer großen Verkaufsmesse dort sammelte sich die Flotte wieder und wandte sich nach Kuba.   

35 Tonnen Silber im Bauch der Atocha

"Die Galeonen und die Flotte kamen am 22. August in den Hafen von Havanna", vermerkt der Bericht, doch erst Anfang September lief die Flotte wieder aus. An der Spitze des Konvois segelte die Capitana, das Flaggschiff des Generalkapitäns, und am Ende die Almiranta, die Galeone des Vizeadmirals. Dies war die Nuestra Señora de Atocha, bestückt mit zwanzig großen Kanonen.
Außer den Seeleuten hatte sie eine Kompanie Soldaten und achtundvierzig Passagiere an Bord. Ihr Bauch war gefüllt mit fünfunddreißig Tonnen Silber, großen Mengen Tabak, Kupfer und Indigo sowie Kisten voller Gold und Smaragden. Zwischen Florida und den Bahamas hindurch sollte die Flotte in den offenen Atlantik gelangen, doch schon am nächsten Morgen zeigten sich die Warnzeichen eines Hurrikans:
"Die Schiffe begannen mit den nötigen Vorkehrungen, sie strichen Stengen und refften Segel. Der Wind nahm mit jeder Stunde zu, die Wolken hingen tief, und die Schiffe konnten einander kaum noch sehen." - Der Sturm riss Rahen ab, brach Masten und drohte die Flotte auf die Florida Keys zu schleudern.
"Die Almiranta lief die ganze Nacht nach Norden, und im Morgengrauen fuhr sie auf ein Riff auf. Von unten aufgerissen, trieb sie ein kleines Stück weiter und sank. Die Galeone Margarita, auf demselben Kurs, strandete auf einem Riff und die Brecher zerschmetterten das Schiff. 462 Menschen waren auf diesen beiden Galeonen, von denen 391 ertranken."

Dreieinhalb Jahrhunderte verschollen auf dem Meeresgrund

Später an diesem Tag, dem 6. September, beruhigten sich die Elemente. Nach und nach kehrten zwanzig Schiffe nach Havanna zurück. Acht waren verloren, darunter drei Galeonen und mit diesen der größte Teil der königlichen Steuereinnahmen. Die Spanier suchten deshalb nach den Galeonen. Eine fanden sie gestrandet an einer kleinen Insel und retteten Besatzung und Fracht. Die Margarita spürten sie erst nach Jahren auf.
Wo die Nuestra Señora de Atocha lag, zeigte eine aus dem Wasser ragende Mastspitze an, doch Taucher konnten nicht in den Rumpf eindringen. Später zerbrach das Wrack, Sand bedeckte die Trümmer, und die Atocha galt als verschollen – für dreieinhalb Jahrhunderte. 1985 entdeckten Schatzsucher aus den USA ihre Reste mit der Fracht, taxiert auf 400 Millionen Dollar. Die Spanier verloren mehr Silberschiffe durch Stürme als durch Piraten. Es sind noch immer Schätze zu finden.