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COVID-19
Medizinethikerin: "Eine Zwangsimpfung wird es auf keinen Fall geben"

Corona übersteige das Basisrisiko, das zum Leben in einem Gemeinwesen gehöre, sagte die Medizinethikerin Claudia Wiesemann im Dlf. Staatliche Eingriffe zum Schutz aller müssten verhältnismäßig sein, wie etwa die Abstandsregeln. Für eine Impfung gäbe es hingegen eine viel höhere Rechtfertigungsschwelle.

Claudia Wiesemann im Gespräch mit Michael Köhler | 20.09.2020
Impfung: Hände in blauen Schutzhandschuhen halten eine Spritze und einen Tupfer
Noch gibt es keinen Impfstoff gegen das Coronavirus (dpa/Alexander Demianchuk/TASS)
Im Kampf gegen die Corona-Pandemie wird weltweit wird mit Hochdruck an der Entwicklung eines Impfstoffs gearbeitet. Mehrere Wirkstoffe befinden sich bereits in der entscheidenden dritten klinischen Studienphase. Zuletzt musste die britisch-schwedische Pharmafirma AstraZeneca ihre Studie zwischenzeitlich unterbrechen. Die Forscher verfolgen bei der Impfstoffentwicklung jedoch verschiedene Ansätze, diese lassen sich anhand der verwendeten Wirkstoffe in drei Gruppen aufteilen.
COVID-19 - Wettlauf um den Corona-Impfstoff
Der Wettbewerb um die Entwicklung eines Corona-Impfstoffs erinnert an den Wettlauf um den Weg ins All. Es dürfte kein Zufall sein, dass Russland seinen überraschend zugelassenen Impfstoff "Sputnik V" nennen will. Auch andere Projekte sind schon sehr weit.
Es wäre schon außerordentliches Pech, wenn keiner der drei Impfansätze eine wirksame Impfung gegen das SARS-VoC-2-Virus produzieren würde, sagte die Ärztin und Medizinethikerin Claudia Wiesemann im Dlf. Sie hält es deshalb für realistisch, dass es bis Mitte kommenden Jahres eine Impfung für breite Teile der Gesellschaft gibt. Eine verpflichtende Impfung sieht die Direktorin der Abteilung für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universitätsklinik Göttingen jedoch ebenso kritisch wie die Einführung eines Immunitätsausweises. Beides stelle einen "großen Eingriff in die Bürgerrechte" dar, der sich derzeit nicht legitimieren lasse.
Zwang könne sich am Ende kontraproduktiv auswirken
Zum Leben in einem Gemeinwesen gehöre immer auch ein gewisses Basisrisiko. Das würde durch Corona zwar überstiegen. Zum Schutz der Bürger dürfe der Staat aber immer nur verhältnismäßig Eingriffe vornehmen. Diese Verhältnismäßigkeit sei für das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes oder das Einhalten von Abstandsregeln gegeben, nicht aber beim Impfen. Wenn es darum gehe, etwas in den Körper eines anderen zu spritzen, sei die Rechtfertigungsschwelle sehr viel höher. Man müsse dann fragen, ob es wirklich kein anders Mittel gebe, mit dem man den gleichen Effekt erzielen könne.
Bayern, Bergen: Ein Mann im Schutzanzug nimmt an einem Corona-Testzentrum an der Autobahn 8 (A8) an der Rastanlage Hochfelln-Nord einen Abstrich bei einem Autofahrer. 
Virologin: Wir haben gelernt die Risikogruppen zu schützen
Die Zahl der Corona-Neuinfektionen in Deutschland steigt. Es steckten sich vor allem junge Leute an, sagte Virologin Ulrike im Dlf. Anders als im Frühjahr könne man ein Übergreifen auf ältere Menschen gut verhindern.
In Deutschland werde es auf keinen Fall eine Zwangsimpfung geben, sagte Wiesemann. Das habe Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mehrfache betont und auch in der Wissenschaft herrsche darüber Einigkeit. Eine Zwangsimpfung würde auch keinen Sinn ergeben. Das Setzen auf Einsicht und Freiwilligkeit sei effektiver als Zwang, so die Medizinethikerin. Zwang könne sich am Ende sogar kontraproduktiv auswirken und gehe von einem merkwürdigen Menschenbild aus. Die Menschen in Deutschland hätten die Probleme der aktuellen Krise bislang außerordentlich gut gemeinsam bewältigt.
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Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)