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Schuldenkrise
"Du kannst deinen Gläubiger nicht lieben"

Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras könne bis Sonntag nicht den geforderten Vorschlag auf die Beine stellen, sagte der griechische TV-Journalist Tasos Teloglou. Derzeit ginge es vor allem darum zu zeigen, dass die EU alles unternommen habe, damit Griechenland im Euro bleibe.

Tasos Teloglou im Gespräch mit Christoph Heinemann | 08.07.2015
    Die EU-Staats- und Regierungschefs - darunter Kanzlerin Merkel, Frankeichs Präsident Hollande und der griechische Ministerpräsident Tsipras - beraten auf ihrem Sondergipfel in Brüssel.
    Derzeit gehe es mehr um ein "Blame Game", sagte der griechische TV-Journalist Tasos Teloglou. (picture alliance / dpa / Olivier Hoslet)
    Es gehe im Moment nicht um die Substanz, so Teloglou. Eine Parallelwährung werde Griechenland zum Ausstieg drängen. Allerdings werde dies ein langer Weg sein, sagte der griechische Journalist im Deutschlandfunk.
    In den letzen Jahren habe sich das Leben in Griechenland in vielerlei Hinsicht aufgrund der Anpassungsprozesse und Sparmaßnahmen verändert. Teloglou sei mit der Selbstverständlichkeit aufgewachsen, dass Griechenland ein Teil der EU ist und er mit seinem Pass durch die EU reisen könne. Nun bestehe die Möglichkeit, dass ihm das am Sonntag geraubt werden könne. Das empfinde er als dramatisch.
    Griechenland habe nach der Ansicht des griechischen Journalisten ein zu großes Problem mit seinen Ausgaben gemessen an seiner Wirtschaftsleistung. Man müsse jetzt die richtige Mischung der Politik finden, damit die Rezession nicht die Bedienung der Schulden weiter störe. Er räumte ein, dass auf der Ausgabenseite zu wenig gemacht worden sei. Da habe die deutsche Seite recht.
    Hinsichtlich der Beziehung zwischen Deutschland und Griechenland betonte er: "Du kannst deinen Gläubiger nicht lieben."

    Das Interview in voller Länge
    Christoph Heinemann: Letzte Ausfahrt am kommenden Sonntag. Bis dahin geben die Euroländer Griechenland noch Zeit vor dem EU-Gipfel. Dann muss Athen einen neuen Antrag auf ein drittes Hilfsprogramm einreichen und - wir haben Angela Merkel gehört - sehr detaillierte Vorschläge für Reformen unterbreiten. Das sagte sie gestern nach dem Eurozonen-Sondergipfel in Brüssel. Angesichts der dramatischen Lage bereitet sich die EU auch offenbar auf ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone vor. Vielleicht ist diese Nachricht allerdings auch nur Teil eines Drohszenarios. - Am Telefon ist jetzt der griechische Kollege und Fernsehjournalist Tasos Teloglou. Guten Morgen.
    Tasos Teloglou: Guten Morgen nach Köln.
    Heinemann: Herr Teloglou, wie hat sich Ihr Leben verändert?
    Teloglou: Nun, unser Leben hat sich in vieler Hinsicht geändert in den letzten Jahren wegen des Anpassungsprozesses und der Sparmaßnahmen. Mein Lohn wurde siebenmal gekürzt seit 2010. Ich musste in sehr vieler Hinsicht mein Leben anpassen in dem, was sich geändert hat. Aber nichts hat sich so dramatisch geändert wie das, was ich seit gestern Abend gehört habe, denn mein Land ist Mitglied der Europäischen Union seit 35 Jahren. Ich bin mit dem aufgewachsen, mit dieser Selbstverständlichkeit, mit meinem europäischen Pass und der Möglichkeit, mich frei zu bewegen, und ich verstehe, dass diese Möglichkeit am Sonntag mir beraubt werden kann. Das ist schon dramatisch genug.
    Heinemann: Wenn Sie entscheiden könnten, was würden Sie in Griechenland ändern wollen?
    Teloglou: Griechenland hat ein Problem mit zu hohen Ausgaben, gemessen an seiner Wirtschaftsleistung, und da der Speck sozusagen in den letzten Jahren abgebaut worden ist, sind laut IMF 70 Prozent der Ausgaben Löhne und Renten. Also man muss an diese Dinge heran. Nur die Frage ist, wenn das Land sehr wirtschaftsleistungsschwach ist, könnte die innere Nachfrage dadurch weiter sinken. Man muss die richtige Mischung der Politik finden, damit die Rezession nicht die Bedienung der Schulden weiter stört, was einigermaßen der Fall war in den letzten Jahren. Man muss aber auch sehen, dass für die Ausgabenkürzung sehr wenig gemacht worden ist, und da hat die deutsche Seite Recht.
    Ich würde aber auch sagen, dass der Vorschlag, der gestern von den Kreditgebern, von den Gläubigern gemacht worden ist, obwohl die Verantwortung bei Tsipras liegt, ein bisschen scheinheilig ist. Sie verstehen, er kann einen solchen Vorschlag alleine nicht auf die Beine stellen bis Sonntag.
    Heinemann: Wieso nicht?
    "Ich glaube, die Sache ist gelaufen"
    Teloglou: Es geht mehr jetzt um das Blame Game. Ich glaube, die Sache ist gelaufen. Es geht darum zu beweisen, dass bis zur letzten Minute, wie die Kanzlerin sagt, alles unternommen worden ist, damit Griechenland im Euro bleibt. Aber es geht nicht um die Substanz. Ich glaube, dass die Parallelwährung, die vom Bundesfinanzministerium anvisiert ist, dass die Parallelwährung ab Montag die Realität Griechenlands bestimmen wird.
    Heinemann: Das heißt damit dann auch der Ausstieg oder der Ausschluss aus der Eurozone?
    Teloglou: Eine Parallelwährung wird in längerer oder kürzerer Zeit zum Ausstieg das Land drängen. Es wird allerdings ein langer Weg sein, weil die Griechen haben in den letzten sechs Monaten, nachdem Syriza an die Macht gekommen ist, fünfeinhalb Monate, sehr viel Geld vom Bankensystem abgezogen. Dieses Geld steckt in Matratzen oder in den Wohnungen und dieses Geld wird sozusagen zirkulieren. Es wird eine Realität entstehen, so wie wir sie in Montenegro oder Kosovo kennen, wo zwei Währungen in Umlauf sind. Es wird Leute geben, die die eine Währung haben, und Leute, die die andere Währung haben, und vielleicht noch eine dritte Gruppe, die Schuldscheine hat. Es wird nicht leicht.
    Heinemann: Sie kennen die Diskussion in Deutschland. Sie haben selber in Deutschland gelebt. Viele fragen sich hier, wieso schafft es der griechische Staat nicht, vor allem von wohlhabenden Bürgern Steuern einzutreiben? Das wäre doch schon mal mehr als die halbe Miete.
    Teloglou: Das hat historische Gründe. Das hat damit zu tun, dass der griechische Staat nicht aus einem Gefühl des Wir entstanden ist, aber als ein Konstrukt von Eliten, die erst mal die Unabhängigkeit beabsichtigt haben und dann diesen Staat aufgebaut haben. Und es gab auch Ausnahmen, große Ausnahmen in dieser Besteuerungspolitik. Die bekannteste sind die Reeder. Die Reeder dürfen nach einem Verfassungsartikel keine Steuern zahlen. Sie zahlen eine Tonnagesteuer und wie Sie wissen war das ein Punkt der Verhandlungen zwischen Juncker und Tsipras in den letzten Wochen, wo Juncker eigentlich, der konservative Juncker darauf beharrt hat, dass der linke Tsipras die Reeder besteuert.
    Heinemann: Er hat darauf gedrängt, dass er das machen sollte.
    Teloglou: Er hat darauf gedrängt.
    Heinemann: Da war die griechische Seite aber nicht zu bereit, oder?
    "Ich kenne keinen Menschen, der seinen Kreditgeber liebt"
    Teloglou: Die griechische Seite war für zwei Stunden nicht bereit. Am Ende sagte Juncker, er konnte den Tsipras überreden. Allerdings befinden sich diese Vorschläge zum Beispiel nicht in dem Paket, das jetzt die Griechen der Eurogruppe vorschlagen werden.
    Heinemann: Wie ist das zu erklären, dass eine linke Regierung den Reedern nicht ans Revers oder ans Portemonnaie will?
    Teloglou: Erst mal gibt es auch eine rechtspopulistische Partei mit sehr engen Verbindungen zu den Reedern in dieser Regierung. Zweitens ist es ein nationaler Konsensus, dass man die wichtigste Industrie nach dem Tourismus im Land unter Schutz nimmt.
    Heinemann: Gut. Zwischen Schutz und Steuern zahlen gibt es ja noch einen gewissen Unterschied. - Andere Frage: Die Beziehungen zwischen Griechenland und Deutschland waren einmal hervorragend. Was ist da genau und wie ist es kaputt gegangen?
    Teloglou: Ich kenne keinen Menschen, der seinen Kreditgeber liebt. Ich glaube, das ist die wichtigste Erkenntnis. Du kannst deinen Gläubiger nicht lieben. Und wenn das Ganze auf ein Verhältnis zwischen Gläubiger und Kreditempfänger reduziert wird, es dauert nicht lange, bis es kaputt wird.
    Heinemann: Wer hat diesen Fehler gemacht?
    Teloglou: Beide Seiten. Auf deutscher Seite wurde der ganze politische Diskurs auf das Verhältnis von Kredit und Geld reduziert. Die Kanzlerin hat einen Versuch gemacht in den letzten Monaten, ein bisschen aufzuzeichnen, dass es sich auch um geostrategische Interessen hier handelt, aber ich glaube, sie war die einzige im politischen Personal in Deutschland mit noch ein paar Ausnahmen. Und an der griechischen Seite gab es auch sehr wenig Ausnahmen, die ein Interesse hatten zu zeigen, dass eigentlich das deutsch-griechische Verhältnis etwas viel mehr ist als ein Verhältnis zwischen Gläubiger und Kreditempfänger.
    Heinemann: Wie lange wird das dauern, bis das wieder repariert ist?
    Teloglou: Ich hoffe, es kann schnell repariert werden. Ich fürchte, es könnte eine Generation dauern, bis es wieder zurück zu dem Verhältnis vor dem Jahr 2008 kommt.
    Heinemann: Der griechische Fernsehjournalist Tasos Teloglou. Danke schön nach Athen, danke schön für das Gespräch.
    Teloglou: Ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.