Mittwoch, 17. April 2024

Krieg in der Ukraine
Schweden und Finnland sollen die NATO stärken

Schweden und Finnland haben im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine grundlegend ihre Sicherheitspolitik geändert. Die früher neutralen Staaten sind der NATO beigetreten. Das hat auch große Auswirkungen auf das Militärbündnis.

14.03.2024
    Eine schwedische Flagge neben einer NATO-Flagge.
    Schweden ist seit Anfang März offiziell NATO-Mitglied. (picture alliance / TT NYHETSBYRÅN / Johan Nilsson)
    Lange haben Schweden und Finnland ihre Sicherheitspolitik selbst organisiert und auf militärische Bündnisneutralität gesetzt. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine änderte alles: Unter dem Eindruck einer veränderten Bedrohungslage suchten beide Länder Schutz in der NATO.
    Während das Militärbündnis Finnland schon im April 2023 als 31. Mitglied aufgenommen hat, wurde um die Mitgliedschaft Schwedens lange gerungen. Am 26. Februar 2024 stimmte schließlich auch das ungarische Parlament für Schwedens NATO-Beitritt und machte somit den Weg frei für die Aufnahme in das Bündnis. Am 7. März 2024 hinterlegte der schwedische Regierungschef Ulf Hjalmar Kristersson in Washington die Beitrittsurkunde – Schweden wurde damit offiziell das 32. Mitglied der NATO. Beide skandinavischen Länder verfügen über schlagkräftige Armeen, weswegen ihr Beitritt als Stärkung der NATO eingeschätzt wird.

    Inhaltsverzeichnis

    Wie war der NATO-Beitrittsprozess von Finnland und Schweden?

    Am 4. April 2023 ist Finnland offiziell als 31. Mitgliedsstaat der NATO beigetreten. Der finnische Außenminister Pekka Haavisto überreichte in Brüssel die Beitrittsurkunde seines Landes und schloss damit den Aufnahmeprozess ab. NATO-Generalsekretär Stoltenberg nannte die Erweiterung historisch. Im Falle Finnlands stimmte am 30. März 2023 die Türkei als letztes Mitglied zu. Im Parlament in Ankara gab es dafür eine große Mehrheit.
    Bei Schweden dauerten die Verhandlungen länger, Vorbehalte gab es vor allem in der Türkei und in Ungarn. Ende Januar 2024 rückte der Beitritt in greifbare Nähe: Da gab der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan seine Blockade einer schwedischen NATO-Mitgliedschaft nach langem Widerstand kurz vor dem Gipfel des Bündnisses in Vilnius auf. Das türkische Parlament stimmte dem Beitritt ebenfalls zu.
    Im Gegenzug sagte Schweden der Türkei laut NATO-Erklärung unter anderem einen „anhaltenden Kampf gegen den Terrorismus“ zu. Zudem werde Schweden die Bemühungen zur Wiederbelebung der EU-Beitrittsgespräche „aktiv unterstützen“.
    Die Türkei hatte dem Land vorgeworfen, nicht genügend gegen Terrorismus zu unternehmen. Unter anderem forderte Ankara von der Regierung in Stockholm die Auslieferung von 120 Menschen, die aus Sicht der Türkei „Terroristen“ sind. Das skandinavische Land reagierte und änderte seine Terrorgesetzgebung, zudem hob Schwedens Regierung ein Waffenembargo gegen die Türkei auf.

    Auch Ungarn hat zugestimmt

    Nach dem Durchbruch mit der Türkei machte auch Ungarn als letztes NATO-Land den Weg für Schwedens Mitgliedschaft frei. Das Parlament in Budapest billigte den Beitritt des skandinavischen Staates am 26. Februar 2024 mit breiter Mehrheit.

    Warum waren Schweden und Finnland bislang nicht in der NATO?

    Die nordischen Staaten Finnland und Schweden vertraten jahrzehntelang eine Außen- und Sicherheitspolitik, in der beide Staaten neutrale Positionen im politischen Gefüge zwischen Osten und Westen nach dem Zweiten Weltkrieg einzunehmen versuchten. Beiden Ländern war ihre militärische Bündnisfreiheit dabei wichtig.
    Finnland musste nach zwei verlustreichen Kriegen gegen die Sowjetunion 1939 und 1941 einen von Moskau diktierten Freundschaftsvertrag unterschreiben. Finnland durfte zwar eine westliche Demokratie bleiben, musste aber stillschweigend alle wichtigen außenpolitischen Entscheidungen mit der Sowjetunion abstimmen.
    Nach Ende des Kalten Krieges erlangten die Finnen ihre außenpolitische Freiheit zurück - ebenso wie Finnland trat auch der Nachbarstaat Schweden 1995 in die Europäische Union ein. Auch wenn beide Staaten mit dem Anschluss an die EU, die eng mit der NATO zusammenarbeitet und deren Mitglieder größtenteils in der NATO vertreten sind, ihre Neutralität zwischen dem Westen und Russland als dem Nachfolgestaat der Sowjetunion verließen, stand damals ein Beitritt zur NATO weiter nicht zur Debatte.
    Die Annexion der Krim durch Russland 2014 wurde besonders von Finnland mit Sorge registriert. Schließlich teilt sich das Land eine rund 1.300 Kilometer lange Grenze mit Russland. Seitdem hielten sich sowohl Finnland als auch Schweden eine sogenannte NATO-Option offen - also doch dem Verteidigungsbündnis beizutreten, wenn sich für die Länder die Sicherheitslage weiter verschlechtert.
    Auch wenn beide Staaten in der Vergangenheit auf ihre Bündnisfreiheit Wert gelegt hatten, sind sie schon länger enge Partner der NATO, beispielsweise haben sie sich an Übungen oder Militäreinsätzen des Verteidigungsbündnisses beteiligt. Russland hatte wiederum in der Vergangenheit von der NATO gefordert, keine weiteren Länder Osteuropas aufzunehmen. Eine Drohung, die auch an Finnland und seinen Nachbarn Schweden gerichtet war.
    Grafik: "Die Mitglieder der Nato", Grafik: A. Brühl/B. Bolte, Redaktion: M. Lorenz/A.Brühl
    Die Mitglieder der Nato (Stand 10.03.2024) (dpa / dpa-infografik GmbH)

    Wie hat sich die Haltung Finnlands und Schwedens durch den Angriffskrieg verändert?

    Finnland und Schweden haben lange darauf vertraut, eigenständig die eigene Sicherheit garantieren zu können. Der Angriffskrieg Russlands hat sie dazu bewogen, ihre militärisch neutrale Haltung grundsätzlich zu überprüfen und einen Beitritt in die NATO zu erwägen.
    Bereits im Mai 2022 betonten die damaligen Regierungschefinnen Finnlands und Schwedens bei einem Besuch in Deutschland, dass die russische Invasion ihre Länder dazu zwinge, die Frage der NATO-Mitgliedschaft neu zu bewerten. Der Angriff habe das „Sicherheitsumfeld stark verändert“, sagte Schwedens Regierungschefinnen Sanna Marin.
    Schwedens damalige Regierungschefin Magdalena Andersson bezeichnete Russlands Angriff auf die Ukraine als "tiefe, einschneidende Wende". Sie sagte weiter: "Wir müssen uns anpassen an diese neuen Bedingungen." Auch nach einem Regierungswechsel im Herbst 2022 ist der neue schwedische Regierungschef Ulf Kristersson beim Kurs geblieben, der NATO beitreten zu wollen.
    „Das ist eine grundlegende Entscheidung, nach 200 Jahren Bündnisfreiheit jetzt der NATO beitreten zu wollen, und das wollen wir mit voller Kraft machen“, betonte der schwedische Botschafter Per Thöresson .
    Die EU-Mitgliedschaft sichert den beiden Staaten im Falle eines Angriffs eine gewisse Unterstützung aller EU-Staaten. Das regelt die EU-Beistandsklausel. Jedoch muss die Staatengemeinschaft dafür nicht in den Krieg ziehen - im Gegensatz zum NATO-Bündnisfall. Dass die Verteidigungsfähigkeit der NATO im Vergleich zur EU-Solidaritätsklausel mehr wert sei, hätten Finnland und Schweden nun angesichts des Krieges realisiert, so der Politologe Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck. Deswegen wollten sie diesen Schutz suchen, auch wenn Russland mit Truppenverstärkung, Nuklearraketen in Kaliningrad und Schiffen mit Nuklearwaffen in der Ostsee drohe.
    Drastisch geändert hat sich in beiden Ländern auch die öffentliche Meinung zur Bündnisfreiheit. Erstmals stimmt eine Mehrheit der Bevölkerung sowohl in Finnland als auch in Schweden 2022 laut Umfragen einem Bündnisbeitritt der jeweiligen Länder zu. Das sei etwas ganz Neues, erklärt Mangott. Auch neu sei, dass sich nur noch wenige politische Kräfte in diesen skandinavischen Ländern gegen den Beitritt positionierten.
    Russland hatte Finnland und Schweden bereits mehrfach vor „Konsequenzen“ eines Bündnis-Beitritts gewarnt. In beiden Ländern gibt es aufgrund Russlands Drohungen sicherheitspolitische Befürchtungen. Finnland und Schweden sorgten sich vor allem um die Zeit zwischen Antrag und tatsächlicher Aufnahme in das Bündnis. Generalsekretär Stoltenberg sicherte schon vor dem offiziellen Beginn des Aufnahmeprozesses beiden Ländern einen gewissen Schutz für diese Übergangszeit zu.

    Wie gut sind Finnland und Schweden militärisch aufgestellt?

    Beide Länder sind keine militärischen Schwächlinge, die nur schnell unter den Schutz von Artikel 5 des NATO-Vertrages schlüpfen wollen, damit das Bündnis ihnen Beistand gewährt. Sie verfügen über schlagkräftige Armeen, die die NATO deutlich stärken. Das betonte auch der Politologe Gerhard Mangott. Ein Beitritt Finnlands und Schwedens wäre für Russland ein großer militärischer Nachteil, so der Wissenschaftler.
    Im Verhältnis zu seiner geringen Größe würde vor allem Finnland so manches auf der Haben-Seite in die NATO mitbringen. Tatsächlich kann das kleine Land im Ernstfall 280.000 Soldaten sowie 900.000 Reservisten mobilisieren - bei nur fünfeinhalb Millionen Einwohnern. Derzeit beläuft sich der Verteidigungshaushalt des Landes auf 5,1 Milliarden Euro, das sind fast zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts - Tendenz steigend.
    Auch nach dem Kalten Krieg hat Finnland Schutzräume gebaut, während diese in anderen europäischen Ländern weitgehend aufgelöst worden sind. So sind weite Teile der städtischen Infrastruktur Helsinkis in den felsigen Untergrund gesprengt und gegraben worden: Schwimm- und Eishockeyhallen, Rechenzentren und Museen. Bei Neubauprojekten wurden für die 650.000 Einwohner der Hauptstadt 900.000 Bunkerplätze geschaffen – also mehr als genug.
    Wie sieht es in Schweden aus? Nach Angaben der Statistik-Onlineplattform Statista verfügt das Land über eine Truppenstärke von 38.000 Personen – „wovon rund 16.000 aktive Soldatinnen und Soldaten sind und rund 22.000 Personen den paramilitärischen Einheiten zugerechnet werden“. Weil Schweden moderne Ausrüstung besitzt und das Militär als sehr gut ausgebildet gilt, wird die Militärstärke des Landes trotz der vergleichsweise geringen Truppenstärke im Global Firepower Ranking 2022 mit dem 25. Platz weltweit angegeben (von insgesamt 142). Finnland befindet sich auf Platz 53, Deutschland derzeit auf Platz 16.
    Quellen: Gunnar Köhne, Helga Schmidt, Klaus Remme, Reuters, dpa, AP, AFP, Statista, cp, pto, jma, fmay, tmk