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Sechs Monate Schwarz-Rot
Bilanz "nicht mehr als ausreichend"

Die Große Koalition zeige bei der Modernisierung des Staates nicht genügend Mut, sagte Otto Fricke (FDP), ehemaliger Vorsitzender des Haushaltsausschusses, im DLF. Der Mindestlohn sowie die schwarze Null im Haushalt verlagerten Probleme lediglich in die Zukunft. "Die große Welle kommt in fünf bis sechs Jahren."

Otto Fricke im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Der FDP-Politiker Otto Fricke
    Der FDP-Politiker Otto Fricke (dpa / Karlheinz Schindler)
    Den gesetzlichen Mindestlohn hält der FDP-Politiker Otto Fricke für falsch. Es sei zwar schön, wenn der Arbeitnehmer staatlich garantiert 8,50 Euro pro Stunde bekäme, das Problem werde aber sein, überhaupt einen Arbeitsplatz zu bekommen. Des Weiteren befürchtet Fricke, dass sich der Mindestlohn negativ auf die Ausbildung in Deutschland auswirken werde. "Die Länder mit Mindestlohn leiden an einer hohen Jugendarbeitslosigkeit", so Fricke.
    Auch die Sanierung des Bundeshaushalts mit der angestrebten "schwarzen Null" klinge nur anfangs gut. Die Sozialkassen würden dadurch in den kommenden Jahren über Gebühr belastet. Fricke: "Die Welle der Probleme kommt dann in fünf bis sechs Jahren auf uns zu", warnte er. Als Halbjahresbilanz wollte Fricke der Großen Koalition - sozusagen als Schulnote - lediglich ein "Ausreichend" zugestehen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Mindestlohn, Rente mit 63, Mütterrente, eine Haushaltsplanung, die ohne neue Schulden auskommen will, die Reform der Förderung erneuerbarer Energien, Ja aber zur Anschaffung von Drohnen, die bewaffnet werden können – das sind einige Ergebnisse der Arbeit der Großen Koalition, deren parlamentarischer Teil sich heute in die Sommerferien verabschiedet.
    Vor dieser Sendung haben wir mit Otto Fricke gesprochen. Er ist Mitglied des Bundesvorstandes der FDP, ehemaliger Bundestagsabgeordneter, jetzt Partner eines Kommunikationsberatungsunternehmens. Ich habe ihn mit Blick auf Mindestlohn und Rente mit 63 gefragt: Geht es in Deutschland neuerdings wenigstens etwas gerechter zu?
    Otto Fricke: Na ja, das ist immer die Frage. Wir versuchen ja, Gerechtigkeit inzwischen mit Gleichheit zu setzen, und ich glaube, dass sich das als ein Trugschluss erweisen wird, dass dadurch, dass der Staat an vielen Stellen für Gleichheit sorgt, am Ende auch Gerechtigkeit herauskommt. Aber es scheint immer auf den ersten Blick gut und auf den zweiten Blick merkt man, dass das dann alles nicht so stimmt.
    Heinemann: Wo genau?
    Fricke: Nehmen wir als erstes mal den Mindestlohn. Auf den ersten Blick hört sich das sehr gut an, wenn man mindestens 8,50 Euro bekommt. Aber Achtung: Es ist immer die Frage, ob man dann überhaupt etwas bekommt. Es wird weiterhin die Frage sein - und der Bundesbankpräsident hat das gestern ja auch noch mal klar und deutlich gemacht -, dass wir eher schauen müssen, wie am Ende derjenige, der 40 Stunden in der Woche arbeitet, davon auch leben kann, als weniger zu gucken, dass man einfach mal künstlich sagt, es gibt einen Arbeitsplatz und dann muss der Arbeitgeber das auch bezahlen. Der Arbeitgeber wird den Arbeitsplatz gar nicht schaffen und damit ist das dann etwas, was in die falsche Richtung läuft.
    Die Sozialkassen werden mit Milliardensummen belastet
    Heinemann: Bliebe abzuwarten. Es gibt ja auch viele Länder mit Gegenbeispielen. Auf der anderen Seite: Wenn man plakatieren würde, mit der FDP weiter für Hungerlöhne, wäre kein schönes Plakat, oder?
    Fricke: Nein, natürlich. Und das ist natürlich auch der Versuch, der immer da ist. Erstens: Nehmen wir noch mal die anderen Länder. Das sind die Länder mit weit höherer Arbeitslosigkeit. Das sind die mit einer weit größeren Jugendarbeitslosigkeit - übrigens deswegen, weil über die Mindestlöhne eine vernünftige Ausbildung nicht mehr geschaffen wird. Und das zweite ist: Wir versuchen, immer wieder in Deutschland zu sagen, wenn ich doch nur gesetzlich garantiert habe, dass jeder das kriegt, was ihm zusteht, dann geht es allen gut, das als die oberste Maxime hinzusetzen, und vergessen dabei, dass wir eigentlich erreichen müssen, dass die Bürger sich qualifizieren können, dass sie eine sichere Perspektive haben und nicht nur einen garantierten Mindestlohn, der im Endeffekt dann von ihnen nachher nicht erreicht wird. Das wird übrigens - das, finde ich, ist das Wichtigste, wenn man sich die ersten sechs Monate anguckt - etwas sein, was wie immer in Deutschland, aber leider auch in vielen anderen Ländern erst nach einer gewissen Zeit herauskommt, weil man über ein, zwei, drei Jahre vom Erarbeiteten gut leben kann und dann erst merkt, was schlecht läuft. Ich erinnere an die Debatten vor der Agenda 2010.
    Heinemann: Gilt allerdings auch für die Bedenken, die geltend gemacht werden.
    Fricke: Ja.
    Heinemann: Herr Fricke, Schwarz-Rot möchte ohne neue Schulden haushalten. Über drei Jahrzehnte mit FDP-Regierung haben ja einen gewaltigen Schuldenberg hinterlassen. Wird endlich solide gerechnet?
    Fricke: Na ja, das Problem ist ja immer - und ich habe das nun jahrelang gemacht: Zahlen verwirren, weil wir erstens mit Größeneinheiten rechnen, mit denen wir nicht täglich zu tun haben, und zweitens, weil ja die Kassen so unterschiedlich sind. Beim Bundeshaushalt sieht das jetzt aktuell recht gut aus mit der erklärten schwarzen Null im täglichen Geschäft. Nur wenn man genau dann schaut, muss man auch sagen, es ist ja schön, wenn ich das im jährlichen auf eine schwarze Null bringe. Wenn ich aber gleichzeitig im Hintergrund die Sozialkassen, ich will jetzt nicht sagen, plündere, aber unter erhebliche Belastungen setze, mit dreistelligen Milliardensummen über Jahre belaste, dann kommt die schlechte Nachricht nach einigen Jahren. Und hier wieder: Es ist wie vor der Agenda 2010. Da hatten wir auch eine Zeit, wo es gut lief, und dann haben wir all die Fehler, die wir in den guten Zeiten gemacht haben, nämlich zu sagen, da können wir uns drauf ausruhen, wir können doch jetzt hier mal was dazutun, da mal die Rente erhöhen, da mal etwas tun bei Transferleistungen, all das kommt eben nach Jahren zurück. Das ist übrigens bei der schwarzen Null genau das Problem: Im Kernhaushalt gut und in den Sozialkassen baut sich jetzt schon die Welle auf, die uns dann wie immer im Zyklus in fünf, sechs Jahren überrollen wird.
    Den Schweinezyklus scheint es auch in der Politik zu geben
    Heinemann: Jahrzehntelang hat sich die FDP ja überwiegend erfolglos für Steuersenkungen eingesetzt. Der CDU-Wirtschaftsflügel möchte jetzt die Folgen der Kalten Progression abfedern. Das heißt, der Steuererhöhungen nach Gehaltserhöhungen etwa. Ist es besser, den Verlauf zu korrigieren, als das System dauerhaft infrage zu stellen, letztes ja meistens vergebens?
    Fricke: Na ja. Erstens: Die Worte der CDU höre ich wohl. Es ist ja auch interessant, dass selbst die Gewerkschaften inzwischen der Meinung sind, dass man bei der Kalten Progression etwas tun muss, und komischerweise sind sie es jetzt, wo die Löhne spürbar und damit übrigens auch, was den Wettbewerb, den globalisierten Wettbewerb angeht, durchaus nicht gerade klein steigen. Ich glaube, man muss das System verändern. Wir müssen doch feststellen, dass wir mit der Besteuerung in einem System sind, wo wir immer noch glauben, wir könnten mit den grundsätzlichen Steuerideen und übrigens dann auch wieder jetzt Gerechtigkeitsideen von vor 30, 40 Jahren eine moderne, sich schnell verändernde Arbeitsgesellschaft besteuern. Da müssen wir uns etwas ändern. Und dass der Staat natürlich immer davon profitiert, wenn die Löhne stark steigen, oder dass der Staat davon profitiert, wenn er mehr Geld an Transferempfänger gibt und dadurch die Mehrwertsteuereinnahmen steigen, das ist klar. Deswegen ist das kurzfristig wiederum etwas, was hilft, und langfristig etwas, was natürlich einem die Beine selber runterzieht.
    Heinemann: Herr Fricke, heute gibt es in Nordrhein-Westfalen die Zeugnisse. Ihre Note für Schwarz-Rot bisher?
    Fricke: Na ja, das Problem ist, die Note für Schwarz-Rot fällt bei mir einfach ausreichend aus. Ich glaube, wir werden erleben, dass man - und das ist das, was ich eigentlich von Politik erwarte - in drei, vier Jahren rückblickend sagt, vertane Chance. Es ging uns gut und anstatt zu sagen, wir modernisieren in kleinen, aber effektiven Schritten unser Land weiter, haben wir gesagt, wir ruhen uns auf dem Erhaltenen aus. Es gibt in der Wirtschaft einen Schweinezyklus und dieser Schweinezyklus, den scheint es auch in der Politik zu geben: Immer wenn es gut geht vergisst man, warum es einem schlecht ging.
    Wir müssen verdeutlichen, wo wir inhaltlich stehen
    Heinemann: Mit einer Vier wird man immerhin noch versetzt. Ihre Note für Ihre eigene Partei, die ja doch nach wie vor bei den meisten abgemeldet ist?
    Fricke: Die Note für die eigene Partei ist in dem Falle auch nicht gut. Viele sagen, sie sei mangelhaft. Ich bin da sehr vorsichtig...
    Heinemann: Oder ungenügend!
    Fricke: Ja, oder sogar ungenügend. Aber das ist dann auch das Spiel nach dem Motto, da hauen wir mal kräftig drauf. Wir haben weiterhin eine Kritik an dem, was wir schlecht gemacht haben, und ich gehöre nicht zu denen, die sagen, guck mal als erstes auf andere, sondern überlege erst mal, was Du selber hättest besser machen können. Dann müssen wir eben genau sehen, ist es eine Abkehr vom Liberalismus als solchem in unserer Gesellschaft - da sehe ich durchaus große Tendenzen mit dem Glauben an den Staat, der alles regeln, alles gleich machen kann. Aber ich glaube eher bei den Wählern, die wir potenziell haben können, ist es eine Absage gewesen an die Frage, wie wir es gemacht haben, und da müssen wir genau sehen, dass wir die Frage, wie wir es machen, darstellen und verdeutlichen, wofür wir inhaltlich stehen. Das ist ein hartes Stück Arbeit. Man kann nicht glauben, dass das mal innerhalb kürzester Zeit geht. Das ist etwas, wo ich sage, es ist ein langer Weg, aber ich glaube, er lohnt sich, denn eines werden wir in den nächsten zwei, drei Jahren merken: Eine FDP, die nicht im Bundestag ist - und ich sage gar nicht als Regierungspartei, aber die nicht im Bundestag ist -, das ist der fehlende Stachel im Fleisch derjenigen, die meinen, es war immer genug da, man müsse nur umverteilen und dann wird es funktionieren. Die Debatten sind langweiliger geworden, es finden keine richtigen Diskussionen politisch statt, sondern es wird gemaggelt. Am Ende einigt sich die Koalition auf ein Du kriegst was, ich kriege was. Am Ende wird das von anderen bezahlt. Das ist schon etwas, wo etwas kommen wird und wo man auch merken wird, dass wir gebraucht werden.
    Heinemann: Schicksalsfragen einer Partei. Damit zur Schicksalsfrage der Nation: Ihr Tipp fürs Spiel heute Abend?
    Fricke: Da ich ja ein großer Niederlande-Fan bin, will, dass es ein Finale Deutschland/Niederlande gibt, kann es gar nicht anders sein, als dass wir 2:1 in der Verlängerung gewinnen.
    Heinemann: ..., sagt Otto Fricke, ehemaliger Bundestagsabgeordneter und Haushaltspolitiker der FDP und Partner einer privaten Kommunikationsberatung. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Fricke: Ich habe zu danken und wünsche ein insgesamt schönes sonniges Wochenende.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.