Donnerstag, 25. April 2024

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Zweite SED-Konferenz vor 70 Jahren
Vom Klassenkampf in die Krise

Auf ihrer Zweiten Parteikonferenz im Juli 1952 beschloss die SED den "Aufbau des Sozialismus" in der DDR. Das bedeutete vor allem Kollektivierung, Militarisierung und Drangsalierung der Bevölkerung. Damit legte die Partei den Grundstein für den Volksaufstand ein knappes Jahr später.

Von Marcus Heumann | 08.07.2022
DDR Museum Pforzheim
Im DDR Museum in Pforzheim (Baden-Württemberg) hängt ein Schild der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), rechts davon hängt ein Bild von Walter Ulbricht und links ein Bild von Erich Honecker (picture alliance / dpa | Uli Deck)
„Und nun geht die rote Fahne runter, die Demonstranten klatschen, sie schwenken ihre Hüte, sie rufen ‚Wir grüßen das freie Berlin…‘” Demonstrant: „Der schönste Augenblick unseres Lebens! Die haben die Bauarbeiter heruntergeholt von der Stalinallee, die rote Fahne vom Brandenburger Tor!” 17. Juni 1953: In Ost-Berlin und zahlreichen Städten und Dörfern der DDR eskaliert der Volkszorn gegen das SED-Regime, es kommt zum offenen Aufstand. Ein Ereignis, das die DDR-Propaganda augenblicklich zum “faschistischen Putschversuch” aus dem Westen ummünzt.
In Wirklichkeit aber hatte die Einheitspartei selbst die Zündschnur für diesen politischen Flächenbrand gelegt - ein knappes Jahr zuvor, auf der Zweiten Parteikonferenz der SED im Juli 1952.

Ulbricht ruft "planmäßigen Aufbau des Sozialismus" aus

„In diesem wohl schwärzesten Jahr der DDR vom Juli 1952 bis zum 17.Juni 1953, also bis zu dem Volksaufstand, hat die Führung wirklich alles getan, in geradezu großer Genialität, die Bevölkerung gegen sich aufzubringen", meint der Historiker Stefan Wolle, wissenschaftlicher Leiter des DDR-Museums Berlin und Experte für DDR-Alltagsgeschichte.
SED-Generalsekretär Walter Ulbricht war es, der auf der Zweiten Parteikonferenz, die vom 9. bis 12. Juli 1952 in der Ost-Berliner Werner Seelenbinder-Halle tagte, jenen Satz sprach, der den sogenannten „Arbeiter- und Bauernstaat” binnen weniger Monate an den Rand des Untergangs bringen sollte: „In Übereinstimmung mit den Vorschlägen aus der Arbeiterklasse, aus der werktätigen Bauernschaft, aus anderen Kreisen der Werktätigen hat das Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands beschlossen, der Zweiten Parteikonferenz vorzuschlagen, dass in der Deutschen Demokratischen Republik der Sozialismus planmäßig aufgebaut wird.“
Walter Ulbricht (r) 1950 in Berlin bei einer Arbeitstagung der sogenannten Nationalen Front
Walter Ulbricht (r) 1950 in Berlin bei einer Arbeitstagung der sogenannten Nationalen Front (picture-alliance / dpa)
„Es ist für mich einfach fast schon erschreckend gewesen, wie allein dieses Wort ‚Aufbau des Sozialismus‘, als Ulbricht das aussprach in der Seelenbinder-Halle, eine Stimmung entstand, die mich persönlich an die Wochenschau-Aufnahmen der berühmten Goebbels-Rede ‚Wollt ihr den totalen Krieg’ erinnerte.” Der Publizist Fritz Schenk, 1957 in den Westen geflüchtet und später als Co-Moderator des „ZDF-Magazins” bekannt geworden, erlebte diesen Moment als Sekretär der staatlichen Plankommission mit. Der Moment, mit dem die unverhohlene Sowjetisierung der DDR begann.

Verstaatlichung, Kollektivierung, Militarisierung

Denn „Aufbau des Sozialismus” das hieß: Zentralisierung, Verstaatlichung, Kollektivierung, Militarisierung, einseitiger Ausbau der Schwerindustrie sowie wirtschaftliche und politische Drangsalierung breiter Bevölkerungsschichten. Damit übernahm die SED fast in Gänze das stalinistische Modell der UdSSR.
Zu Beginn seiner Rede hatte Ulbricht, der nur formal nach Staatspräsident Wilhelm Pieck und Ministerpräsident Otto Grotewohl der dritte Mann im Staate war, die Entwicklung der jungen DDR in den rosigsten Farben gemalt: „Die Arbeiterklasse hat im Staat die führende Rolle, sie hat das Bündnis mit den werktätigen Bauern geschaffen. Die Massen des werktätigen Volkes bejahen die Deutsche Demokratische Republik und arbeiten begeistert an der Durchführung der großen Aufgaben des Fünfjahresplans.”
In derselben siebenstündigen „Monsterrede” – wie sie der Hamburger "Spiegel" bezeichnete – vollzog Walter Ulbricht vor den Delegierten auch die ideologische Kehrtwende vom Pazifismus zur Wiederaufrüstung: „Nachdem durch den Separatpakt Westdeutschland in die Haupt-Kriegsaufmarschbasis der USA in Europa verwandelt werden soll, muss die Friedenspolitik der Deutschen Demokratischen Republik ergänzt werden durch die Schaffung nationaler Streitkräfte zur Verteidigung der Heimat.”
Der "Separatpakt" war in Ulbrichts Diktion das Synonym für den sogenannten „Deutschlandvertrag”, der im Mai 1952 zwischen der erst halbsouveränen Bundesrepublik und den Westalliierten ausgehandelt worden war. Ein Vertrag, der das Besatzungsstatut von 1946 ablösen und die Einbindung Westdeutschlands in ein westliches Verteidigungsbündnis vorbereiten sollte. Stefan Wolle: „Stalin versuchte, das mit allen Mitteln zu verhindern, eben auch mit einem recht weitgehenden Angebot an die westlichen Alliierten, Deutschland zu neutralisieren. Es ist dann viel herumgerätselt worden in den folgenden Jahrzehnten, war das ein ehrliches Angebot? Ich glaube, das wäre für die Sowjetunion damals eine sehr praktikable Lösung gewesen und war deswegen für die Westmächte im Grunde nicht akzeptabel. Gerade die USA hätten dadurch vollkommen ihre Macht in Europa verloren, und der Rest von Europa wäre der sowjetischen Außenpolitik ausgeliefert gewesen. Es gab damals eine heftige innenpolitische Debatte: die SPD war dafür, mit der Sowjetunion zu verhandeln und die Adenauer-Regierung war strikt dagegen.”
Stalin-Kult beim Einmarsch der Delegationen auf den Weltfestspielen der Jugend 1951 im Walter-Ulbricht-Stadion in Ostberlin (DDR)
Stalin-Kult beim Einmarsch der Delegationen auf den Weltfestspielen der Jugend 1951 im Walter-Ulbricht-Stadion in Ostberlin (DDR) (picture-alliance/ dpa)
„Der Kreml hat immer eine doppelte Außenpolitik betrieben. Einmal eine defensive zur Sicherung und Erhaltung des Eroberten und Gewonnenen. Dann eine offensive, um das noch zu erwerben, was ihm notwendig oder wünschenswert erschien. Es besteht für uns kein Zweifel darüber, dass die Neutralisierungspolitik der Sowjetunion gegenüber Deutschland ein Stück ihrer Offensivpolitik und nicht ihrer Defensivpolitik ist!”

Debatte im Bundestag

Der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Franz Josef Strauß (CSU) sagte am 10. Juli 1952 im Deutschen Bundestag: „Ein im gegenwärtigen Zustande sich selbst überlassenes Europa, das keine militärische Kraft nennenswerten Umfanges mehr aufweisen kann, würde durch innere Zersetzungstätigkeit und äußeren Druck in der Lage des Kaninchens vor der Schlange einem unausweichlichen Schicksal entgegensehen, nämlich der Bolschewisierung!“
Franz Josef Strauß (CSU) Mitte der 1950er Jahre bei einer Rede im Bundestag in Bonn
Franz Josef Strauß (CSU) Mitte der 1950er Jahre bei einer Rede im Bundestag in Bonn (picture-alliance/ dpa | Georg Brock)
Das Protokoll verzeichnet Gelächter bei den Abgeordneten der Kommunistischen Partei Deutschlands, der KPD, damals noch nicht verboten und bei der Bundestagswahl 1949 knapp über die Fünf-Prozent-Hürde gesprungen. In realiter hatten die kommunistischen Abgeordneten wie auch Stalin selbst längst erkennen müssen, dass die sowjetischen Neutralitäts-Offerten im Westen auf taube Ohren stoßen. Die SED-Führung war deshalb schon Ende März nach Moskau beordert worden. Dort wurde ihr die weitere Entwicklung in der DDR quasi in den Block diktiert.

"Pazifistische Periode ist vorbei"

Das zeigen die erst 1989 bekannt gewordenen Notizen, die sich DDR-Staatspräsident Wilhelm Pieck bei den dortigen Unterredungen machte: "Volksarmee schaffen - ohne Geschrei" , "Demarkationslinie gefährliche Grenze. 1. Linie deutsche Soldaten, dahinter Sowjetsoldaten", "FDJ muss Schießen lernen", "Jugenddienst – vormilitärische Erziehung", "Pazifistische Periode ist vorbei".
Beim 4. Parlament des Staatsjugendverbandes FDJ Ende Mai offenbart sich die neue Linie erstmals vor aller Augen. Reporter: „Stündlich gehen beim Präsidium des Parlaments neue Verpflichtungen ein, unsere Volkspolizei zu stärken und Ehrendienst zu tun zum Schutze unserer Heimat!”
Wilhelm Pieck (l) neben Walter Ulbricht (r)
Wilhelm Pieck (l) neben Walter Ulbricht (r) (picture-alliance / dpa | adn)
Parallel vollzieht die Partei die verstärkte Abschottung gen Westen. Am 26. Mai werden alle Telefonverbindungen nach West-Berlin gekappt und eine Fünf-Kilometer-Sperrzone mit einem zehn Meter breiten Kontrollstreifen entlang der Demarkationslinie zur Bundesrepublik eingerichtet. Etwa 11.000 Menschen werden quasi über Nacht aus dem Sperrgebiet zwangsumgesiedelt – und dabei von den Organen der eigenen Regierung oftmals wie Verbrecher behandelt. Die Aktion trägt intern den Decknamen „Ungeziefer”. Reisegenehmigungen gen Westen werden fortan so gut wie gar nicht mehr erteilt, und selbst Reisen innerhalb der DDR über Distanzen von mehr als 100 Kilometern werden wenige Monate darauf genehmigungspflichtig.

Vormilitärische Ausbildung

Am 1.Juli, eine Woche vor der Parteikonferenz, formiert sich die „Kasernierte Volkspolizei” als Vorläufer der „Nationalen Volksarmee”, die schon ein Jahr darauf 113.000 Mann stark sein wird. Im August folgt die Gründung der „Gesellschaft für Sport und Technik”, deren Zweck die vormilitärische Ausbildung ist, welche auch an den Schulen eingeführt wird.
Ebenfalls unmittelbar nach der Parteikonferenz formt die SED den Verwaltungsaufbau gemäß den Prinzipien des sowjetischen „Demokratischen Zentralismus” um. Dazu gehört die Umwandlung der Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg in 14 Bezirke. Auch der „Mitteldeutsche Rundfunk” verschwindet im Zuge der Zentralisierung bis 1990 von der Senderskala, alle Hörfunkprogramme kommen fortan zentral aus Berlin. Gleichzeitig beginnen im Sommer die ersten DDR-Störsender, westliche Rundfunkprogramme zu überlagern, um die eigene Bevölkerung an unabhängiger Information zu hindern.
 „Na, Junge sag auch brav Guten Abend - Zum Gruße, zum Gruße! - Nicht so laut! Denk doch an die Freunde in der Zone…” Die Kabarettisten Wolfgang Neuss und Jo Herbst in ihrem satirischen Wochenrückblick im RIAS: „Eins zwei drei ist der Hausfunktionär im Zimmer und RIAS hören ist drüben Sabotage am Trommelfell! - Aber mit dem eigenen Trommelfell kann doch jeder machen was er will? - Nein, kann er nicht, es kann überhaupt niemand mehr was machen! Alle Trommelfelle der sowjetisch besetzten Zone, alle, ganz egal ob linkes oder rechtes Ohr, sind ausschließlich für Stalins große Kesselpauke da!”
„Arbeiterschaft und Intelligenz gemeinsam sich verpflichten, zu Ehren der Zwoten Parteikonferenz drei Wohnblöcke zu richten!" Noch während der SED-Tagung findet in der Berliner Stalinallee das Richtfest für einen Teilabschnitt dessen statt, was nach dem Willen der Partei die „erste sozialistische Straße” Berlins werden soll. Selbst im Richtspruch des Poliers klingt die nun überall propagierte Militarisierung an: „Wir wissen unser Werk zu schützen und werden dasteh’n wie ein Mann. Drum wird‘s dem Saboteur nichts nützen, will er an uns’re Bauten ran!”

Drakonische Urteile der „blutigen Hilde”

Hinter der verordneten erhöhten Wachsamkeit steckt die These Stalins vom sich „gesetzmäßig verschärfenden Klassenkampf” während des Aufbaus des Sozialismus, die Ulbricht auf der Zweiten Parteikonferenz adaptiert. Ein Hauptziel der Kampagne sind dabei Christen in der DDR. Stefan Wolle: „Das richtete sich ganz besonders gegen die ‚Junge Gemeinde‘, das waren die jungen Christen. Der ‚Jungen Gemeinde‘ wurde unterstellt, sie sei eine Agentenorganisation der NATO und – dann wird’s wirklich bitter – sehr viele Oberschüler und Studenten wurden vor die Wahl gestellt, entweder da auszutreten, das heißt insgesamt aus der Kirche auszutreten oder ihren Oberschul- oder Studienplatz zu verlieren.”
An den Schulen und Universitäten bricht der offene Gesinnungsterror los, maßgeblich befeuert durch die von Erich Honecker geleitete Staatsjugendorganisation, die FDJ. Stefan Wolle: „Dass gesagt wurde beim Fahnenappell ‚200 Schüler und 10 Christen sind hier angetreten.‘ Es wurden Schülerinnen und Schüler nach vorne zitiert, die dann sagen mussten ‚Ich schäme mich, Christ zu sein und ich bin so rückständig, dass ich an den lieben Gott glaube‘. Alles verfassungswidrig, wohlgemerkt, alles verfassungswidrig.”
"Wenn auf der Zweiten Parteikonferenz unserer Partei als Aufgabe unserer Staatsmacht an erster Stelle genannt ist: die Brechung des Widerstandes der gestürzten und enteigneten Großkapitalisten und Großagrarier, Liquidierung aller ihrer Versuche, die Macht des Kapitals wiederherzustellen, dann fällt die Lösung dieser Aufgabe zu einem großen Teil auf die Gerichte und sie haben sie mit allem Ernst und aller Verantwortung gegenüber den Werktätigen zu erfüllen. Sie haben sie zu erfüllen mit aller der Härte, zu der unsere Gegner uns zwingen."
Hilde Benjamin, damals Vizepräsidentin des Obersten Gerichts der DDR und aufgrund ihrer drakonischen Urteile in der Bevölkerung als „blutige Hilde” gefürchtet. Zwischen Juli 1952 und Mai 1953 verdoppelt sich die Zahl der Gefängnisinsassen im Staate Ulbrichts auf über 60.000. Darunter viele Bauern und Handwerker, die sich der Enteignung durch Eintritt in „Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften” beziehungsweise „Produktionsgenossenschaften des Handwerks” widersetzt hatten.
Der Präsident des obersten Gerichtshofes der DDR, Dr. Kurt Schumann (l) und seine Vizepräsidentin Hilde Benjamin (M) im Gespräch mit Journalisten im November 1952 in Ostberlin.
Der Präsident des obersten Gerichtshofes der DDR, Dr. Kurt Schumann (l) und seine Vizepräsidentin Hilde Benjamin (M) im Gespräch mit Journalisten im November 1952 in Ostberlin. (picture-alliance / dpa)
Weite „bürgerliche” Bevölkerungskreise müssen um den Entzug ihrer Lebensmittelkarten bangen; die viel beschworene „Arbeiterklasse” sieht sich durch immer neue Erhöhungen der Arbeitsnormen bei gleichzeitigen Preissteigerungen provoziert. Stefan Wolle: „Was sehr viel Unwillen erregte, war zum Beispiel die Streichung der Arbeiterrückfahrkarte. Dadurch stieg der Preis für den Arbeitsweg."

Repression und Schauprozesse

Der SED-gesteuerte Justizapparat wütet nicht nur gegen bürgerliche Kräfte, sondern macht auch vor den eigenen Genossen nicht halt. Das Vorbild liefern jene Schauprozesse, die in dieser Zeit in anderen Ostblock-Staaten ablaufen, allen voran der Prager Prozess gegen den KPTsch-Generalsekretär Rudolf Slansky und weitere Spitzenfunktionäre, in dem erstmals auch antisemitische Untertöne anklingen. Der Großteil der 14 Angeklagten in der Tschechoslowakei sind Juden, die Vorwürfe gegen sie komplett erfunden, die Geständnisse durch wochenlange Dauerverhöre und Folter abgepresst.
Elf der Angeklagten werden im Dezember 1952 hingerichtet. Zu diesem Zeitpunkt ist in der DDR die „Aufbau-Maschine” längst heiß gelaufen; die einseitige ökonomische Orientierung auf Schwerindustrie und Rüstung sowie die Flucht unzähliger Bauern führen zu drastischen Versorgungsengpässen und dem Wegfall sozialer Vergünstigungen. Historiker Stefan Wolle: „Der Flüchtlingsstrom nahm immer mehr zu, und es waren eben vor allem junge Leute und gut qualifizierte Leute, die sagten: ‚Na, wenn der Staat nicht geht, gehen wir.‘”
Stefan Wolle ist Historiker mit Schwerpunkt DDR-Forschung
Stefan Wolle ist Historiker mit Schwerpunkt DDR-Forschung (picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Britta Pedersen)
Erst im Dezember 1952 reagiert die SED halbherzig auf den anschwellenden Volkszorn. Ministerpräsident Otto Grotewohl lässt im Rundfunk erklären: „Die Bevölkerung will eine klare Antwort: Wie steht es mit der Versorgung mit Butter, Fetten, Kartoffeln, Gemüse und Fleisch? Darüber diskutiert man, weil durch Ungleichmäßigkeiten in der Verteilung, Witterungseinflüsse, Sabotage in der Verwaltung und so weiter Mängel entstanden sind, die es schnell zu beseitigen gilt.”
Nach üblichem Muster werden Sündenböcke für die Misere im Staatsapparat gesucht. Diesmal trifft es den Minister für Handel und Versorgung und Vorsitzenden der längst gleichgeschalteten Liberaldemokratischen Partei, Karl Hamann, der verhaftet und nach anderthalb Jahren Stasi-Untersuchungshaft wegen Sabotage zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt werden wird. Im Januar 1953 folgt die Festnahme des Außenministers Georg Dertinger. Und die SED gießt weiter Öl ins Feuer, etwa durch die Enteignung von aberhunderten Hotels und Restaurants im Februar 1953, sagt der Historiker Stefan Wolle.
„‚Aktion Rose‘, unter diesem Kennwort lief das, wo an die 500 große Ferienpensionen enteignet wurden, die wurden dann dem FDGB, also der DDR-Gewerkschaft überstellt zur Betreuung der Werktätigen.” Der „Aufbau des Sozialismus” wird auch für die Kunst- und Kulturschaffenden der DDR zum einzig gültigen Dogma. Nach dem Vorbild der sowjetischen Kampagne gegen sogenannten „Formalismus” wird alles verboten und wegzensiert, das nur im Entferntesten an die Kultur des „Klassenfeindes” erinnert. Im nun ebenfalls zentralisierten Rundfunk überschwemmen Aufbau-Reportagen und Kampflieder das Programm: „Wir bauen mit Lot und Kelle / Nach unserem eigenen Plan / Wir treten nicht auf der Stelle, alle gehen ran!”
O-Ton DDR-Rundfunk: „Das Herz des Mitkämpfers und genialen Fortsetzers der Sache Lenins, des weisen Führers und Lehrers der Kommunistischen Partei und des Sowjetvolkes, Josef Wissarionowitsch Stalin, hat aufgehört zu schlagen.”

Der "Neue Kurs" nach Stalins Tod

Der Tod Stalins am 5. März 1953 sorgt für massive politische Orientierungslosigkeit in Ost-Berlin. Doch während in Moskau die Vorbereitung der Schauprozesse gegen jüdische Leibärzte Stalins abgebrochen wird und sich ein politischer Kurswechsel andeutet, beschließt das Zentralkomitee der SED Mitte Mai 1953 – noch ganz auf stalinistischem Kurs – eine republikweite Erhöhung der Arbeitsnormen um mindestens zehn Prozent. Das jedoch geht den neuen Herren im Kreml, denen die Fluchtwelle aus der DDR nicht verborgen geblieben ist, endgültig zu weit.
Stefan Wolle: „Ulbricht, Grotewohl und die anderen Gestalten wurden dann nach Moskau zitiert und da regelrecht zusammengeniest, dass sie alles falsch gemacht hätten. Die saßen nun ziemlich dumm da und sagten: ‚Naja, das war doch alles auf sowjetische Anweisung‘. Aber damit kamen sie nicht mehr durch.“ Es ist die Geburtsstunde des von Moskau diktierten „Neuen Kurses”. Doch die Rücknahme der Repressalien kommt zu spät. „Am 9. Juni wurde das beschlossen, am 11. Juni stand es in den Zeitungen und am 17. Juni krachte es im ganzen Land – und das nicht zu knapp – so dass es nur noch die sowjetischen Truppen im Lande waren, die die SED-Führung und die DDR rettete mit den Panzern, die in den Städten auffuhren.”