Dienstag, 30. April 2024

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Serbien und Kosovo
Blockaden und Spannungen an der Grenze

Kosovo und Serbien streiten über die Gültigkeit von Ausweispapieren und Autokennzeichen, deswegen kam es wieder zu Spannungen und Ausschreitungen. Es geht dabei um grundlegende Fragen der gegenseitigen Anerkennung. Ein Überblick.

02.08.2022
    Mitrovica im Norden des Kosovos am 1. August 2022: Lkw blockieren eine Straße zum serbisch-kosovarischen Grenzübergang Jarinje
    Lkw blockierten aus Protest zeitweise Straßen anserbisch-kosovarischen Grenzübergängen wie hier in Mitrovica (picture alliance / Anadolu / Erkin Keci)
    Das Kosovo hat neue Regeln verhängt, nach denen Serben ohne ein kosovarisches Zusatzpapier zu ihrem serbischen Ausweis nicht mehr einreisen dürfen. In Reaktion darauf errichteten serbische Einwohner des Kosovo am letzten Juli-Wochenende 2022 vorübergehend grenznah Straßenblockaden. Beide Länder gaben sich gegenseitig die Schuld an der Eskalation.
    Ähnliche Szenen gab es vor Kurzem schon einmal, im September 2021, auch damals wegen umstrittener Einreiseregeln. Im Sommer 2022 kocht der Streit zwischen den beiden Ländern auf dem Balkan wieder hoch. Was sind die Hintergründe, und wie könnte der Konflikt gelöst werden?

    Warum hat sich die Lage an der Grenze zugespitzt?

    Hintergrund ist ein anhaltender Streit über die gegenseitige Nichtanerkennung von Ausweisdokumenten und Autokennzeichen zwischen Serbien und dem Kosovo. Nach einer neuen Bestimmung des Kosovos brauchen Serben zur Einreise ins Kosovo neben ihrem serbischen Ausweis auch ein kosovarisches Zusatzpapier, serbische Autos benötigen ein kosovarisches Nummernschild. Nach den Ausschreitungen und internationalen Protesten wurde das Inkrafttreten dieser Bestimmung zunächst auf den 1. September verschoben.

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    Der Ministerpräsident des Kosovo, Albin Kurti, hatte schon vor geraumer Zeit angekündigt, dass er darauf bestehen werde, der serbischen Regierung in Belgrad auf Augenhöhe zu begegnen. Das neue Vorgehen bei den Autokennzeichen versteht er als Maßnahme der „Gegenseitigkeit“. Die neuen Regeln erklärte er als Gegenmaßnahme dafür, dass das Nachbarland Serbien seit mehreren Jahren kosovarische Dokumente nicht anerkennt. Kosovarische Staatsbürger erhalten bei der Einreise ein ähnliches Dokument, wie es das Kosovo nun für Reisende mit serbischen Dokumenten einführen wollte.
    Das Verhältnis beider Länder ist schon lange angespannt. Kosovo erklärte 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien, Serbien hat diese jedoch bis heute nicht anerkannt. Das hat auch historische Gründe, denn der Kosovo spielt eine wichtige Rolle in der Gründungserzählung der serbischen Nation. Das Kosovo war Teil Serbiens, bis ein bewaffneter Aufstand der albanischen Bevölkerungsmehrheit in den Jahren 1998 und 1999 blutig niedergeschlagen wurde. Ein NATO-Einsatz, mit dem die serbischen Truppen aus dem Kosovo vertrieben werden sollten, beendete den Krieg. Bis heute gibt es im Kosovo eine serbische Minderheit.
    Mehr als 100 Länder, auch Deutschland, haben die Unabhängigkeit des Kosovos mittlerweile anerkannt. Andere, darunter Russland und China, aber auch EU-Länder wie Spanien, Griechenland, Zypern, die Slowakei und Rumänien, machen das bis heute nicht.

    Was ist im September 2021 vorgefallen?

    Schon im September 2021 war es zu ähnlichen Spannungen gekommen: Kosovo-Serben hatten Grenzübergänge mit Lastwagen blockiert, es soll Übergriffe auf Kfz-Zulassungsstellen im Norden des Kosovos, wo überwiegend ethnische Serben leben, gegeben haben. Die kosovarische Regierung schickte als Reaktion Spezialeinheiten der Polizei mit gepanzerten Fahrzeugen ins Grenzgebiet. Die serbische Regierung empfand ihrerseits das Vorgehen Pristina als Provokation und versetzte Militäreinheiten in der Grenzregion in Kampfbereitschaft und schickte Kampfflugzeuge und Hubschrauber an die Grenze.
    Die KFOR-Mission unter der Leitung der NATO verstärkte darauf ihre Routine-Patrouillen und sprach mit allen Beteiligten. Der serbische Staatspräsident Aleksandar Vucic formulierte im Anschluss die Erwartung, die NATO müsse für die Sicherheit an den Grenzübergängen und für die Sicherheit der serbischen Minderheit in den Nordprovinzen sorgen – sonst werde Serbien handeln. Was er damit meinte, ließ Vucic offen.

    Was unternimmt die internationale Gemeinschaft?

    Regierungen mehrerer Länder äußerten sich besorgt. Deutsche Regierungsvertreter sprachen von einer sehr "ernstzunehmenden Zuspitzung der Lage" und lobten nach der einmonatigen Verschiebung der umstrittenen Einreiseregeln, "dass die kosovarische Regierung jetzt zunächst besonnen reagiert hat".
    Die NATO-geführte Friedensmission KFOR im Kosovo teilte mit, sie beobachte die angespannte Situation im Norden. Sie sei bereit einzugreifen, wenn die Stabilität gefährdet sei. Die Mission, an der rund 3.800 Soldaten aus 28 Ländern beteiligt sind, wird von der NATO angeführt und von den Vereinten Nationen, der Europäischen Union und anderen unterstützt.
    Die EU und das Auswärtige Amt drangen auf ein Krisentreffen beider Länder, der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell lud sie dazu nach Brüssel ein. Die Europäische Union versucht seit Jahren, zur Klärung des Verhältnisses zwischen Serbien und dem Kosovo beizutragen. Allerdings gibt es auch unterschiedliche Haltungen zum Kosovo. Fünf Mitgliedsländer erkennen das Land nicht als unabhängig an. Deshalb ist der Kosovo das Westbalkan-Land, welches von einem möglichen EU-Beitritt noch am weitesten entfernt ist.

    Welche weiteren Akteure gibt es?

    Russland unterstützt in der Auseinandersetzung seit langer Zeit die serbische Haltung. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte am 1.8.2022 in Moskau, man unterstütze die Regierung in Belgrad absolut. Die neuen Reiseregeln für im Kosovo lebende Serben bezeichnete er als unberechtigte Forderungen von kosovarischer Seite.
    Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vucic weiß, dass er sich in dieser Angelegenheit auf die Unterstützung des Kremls verlassen kann. 2021 begleitete der russische Botschafter in Belgrad Serbiens Verteidigungsministers Dragan Sutanovac medienwirksam bei einem Besuch der Kasernen in der Grenzregion. In Brüssel sieht man die Einflussnahme Russlands - und neuerdings auch Chinas - in Serbien mit Argwohn.
    Quelle: Clemens Verenkotte, fmay, dpa, AP, AFP