Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Sexismusdebatte #MeToo
"Aufruhr deckt sich nicht mit Lebenswirklichkeit"

Die Debatte über Sexismus im Alltag werde in der Öffentlichkeit zu undifferenziert geführt, sagt Matthias Enderle vom Männerrechts-Verein MANNdat im Dlf. Es bestehe die Gefahr, dass Männer dadurch unter Generalverdacht gestellt würden.

Matthias Enderle im Gespräch mit Sarah Zerback | 28.10.2017
    Mit einem Skandal in Hollywood hat es angefangen - jetzt diskutiert auch Deutschland wieder über Sexismus. #MeToo - Ich auch - heißt das Hashtag, unter dem Frauen ihre Erfahrungen damit teilen.
    Mit einem Skandal in Hollywood hat es angefangen - jetzt diskutiert auch Deutschland wieder über Sexismus. #MeToo - Ich auch - heißt das Hashtag, unter dem Frauen ihre Erfahrungen damit teilen. (dpa / Britta Pedersen)
    Sarah Zerback: Wie verbreitet sexualisierte Gewalt in unserer Gesellschaft ist, das zeigt die Diskussion rund um den Hashtag #metoo, die inzwischen nicht nur im Netz geführt wird. Als Antwort auf die Berichte von Frauen folgen in den sozialen Medien jetzt unter anderem Geständnisse von Männern, die sich unter Hashtags wie #howiwillchange und #ihave als Täter zu erkennen geben oder ihr eigenes Verhalten kritisch hinterfragen. Es gibt aber auch viele Männer, die sich durch die Debatte zu Unrecht angegriffen fühlen, und darüber möchte ich jetzt sprechen mit Matthias Enderle. Er ist Mitglied bei der Geschlechterinitiative MANNdat, einer unabhängigen Interessenvertretung für männliche Bürger, wie es auf der Internetseite heißt. Guten Morgen, Herr Enderle!
    Matthias Enderle: Guten Morgen, Frau Zerback!
    Zerback: Nun sind Sie ja als Mann, fühlen Sie sich denn als Teil des Problems?
    Enderle: Ich persönlich fühle mich nicht als Teil des Problems. Ich denke, dass es auch die meisten Männer in unserem Land nicht tun, sondern dass sie sich momentan mit einem Aufruhr konfrontiert sehen, der sich mit ihrer Lebenswirklichkeit nicht deckt, und das ist sehr, sehr schade, weil es wieder in die Richtung geht, dass Männer unter Generalverdacht gestellt werden.
    Zerback: Also Sie persönlich, Sie erinnern sich da jetzt nicht an Situationen, in denen es zum Beispiel richtig gewesen wäre, einzugreifen oder zu widersprechen, wenn Frauen so was passiert ist?
    Enderle: Sagen wir so, wenn es Grund zum Widerspruch gegeben hätte, hätte ich ihn auf jeden Fall getan. Als aufmerksamer Mitmensch sollte man solche Dinge nicht dulden. Ich muss allerdings auch sagen, dass ich mich persönlich nicht in einem Umfeld bewege, wo so was unbedingt an der Tagesordnung wäre oder wo es konkret auftreten würde. Generell rate ich Männern an der Stelle Stellung zu beziehen, wenn sie feststellen, dass was nicht in Ordnung ist.
    "Es wird nicht unterschieden"
    Zerback: Jetzt haben Sie ja gerade von so einer Art Generalverdacht gesprochen. Warum fühlen Sie sich durch diese Debatte, die da jetzt im Netz, aber auch ja in der Gesellschaft geführt wird, so an den Pranger gestellt als Mann?
    Enderle: Weil nicht unterschieden wird zwischen Männern, die tatsächlich sich etwas haben zuschulden kommen lassen und denen, die es vielleicht getan haben könnten und denen, die es nie getan haben. Es wird sehr undifferenziert in der Öffentlichkeit darüber debattiert, zumindest in den sozialen Netzwerken. In den Medien, in den Printmedien und auch in den Onlinemedien der Zeitungen beobachte ich allerdings, dass es durchaus differenzierte Aussagen gibt, auch von Frauen, die das Ganze sehr kritisch sehen, wie jetzt momentan mit dem Hashtag umgegangen wird und welche Wirkung das hat.
    Zerback: Es ist ja zumindest so, dass der Hashtag Gewaltstrukturen und diese Erfahrung thematisiert. Das ist ja doch – man kann es nicht anders sagen – immer noch ein Tabuthema, und da ist es doch nicht allein an Frauen, das jetzt zu thematisieren und vor allen Dingen auch diese Strukturen zu ändern. Da spielen Männer doch eine Rolle, oder?
    Enderle: Sie spielen sicherlich eine Rolle, aber es liegt auch in der Eigenverantwortung der Frauen, also sagen wir mal so, in der Wahl der Mittel. Lassen Sie mich das kurz ausführen.
    "Das haben aber Frauen in der Hand"
    Zerback: Das müssen Sie … Wollte ich gerade sagen, das müssen Sie auf jeden Fall noch spezifizieren.
    Enderle: Ich habe eine sehr interessante Aussage von Caroline Peters gelesen, das ist eine Schauspielerin, die gesagt hat, es hängt nicht nur von einem einzigen Typen ab, in diesem Beruf Karriere zu machen. Es hat keiner so viel Macht, und es gibt immer noch andere Wege, andere Prozesse und andere Produzenten und andere Rollen, und diese Haltung erfordert jedoch eine gewisse innere Stärke. Hannelore Elsner hat gesagt, ihr selbst sei so was nicht passiert, dass sie frühzeitig entschieden habe - und jetzt kommt es - niemals Erfolg über die Besetzungscouch haben zu wollen. Ich denke, dass wir es mit einem großen Maß an Ahnungslosigkeit zu tun haben, mit der aufgeräumt gehört. Das würde zumindest mal dafür sorgen, dass bestimmte Mechanismen, die man den Frauen entgegenbringt, nicht mehr greifen. Das haben aber Frauen in der Hand.
    Zerback: Okay, aber was ich da jetzt bei Ihnen auch raushöre, Herr Enderle, ist ja - Stichwort Generalverdacht -, dass Sie jetzt Frauen, denen so etwas wiederfahren ist, und Sie sprechen jetzt Beispiele aus dem beruflichen Kontext an, dass sie dies quasi provoziert haben. Das sehen Sie so.
    Enderle: Nein, nein. Das ist damit nicht gemeint.
    Zerback: Sondern?
    Enderle: Es gibt einen Unterschied zwischen offener Provokation einer Situation und einem Nein-Sagen zu einer Situation, die sich anbahnt. Die Anbahnung kommt nicht von mir, aber ich kann sagen, da mache ich nicht mit. Die Provokation wäre - und das meinte ich ausdrücklich nicht - zu sagen, hier guck mich mal an, wie toll ich aussehe, hast du nicht Lust. Das ist aber ein Unterschied. Das meine ich nicht. Ich meine die Situation, wo jemand, wie auch geschehen, den Frauen sagt, möchtest du nicht mit mir eine engere Beziehung eingehen, dann kann ich dir gute Rollen anbieten, und an der Stelle Nein zu sagen, fordert sicherlich Stärke, liegt aber im Rahmen des Möglichen, weil da die Grenze ist, die nicht überschritten werden darf.
    "Von der Dimension her fragwürdig"
    Zerback: Diese Beispiele mag es ja geben, das möchte ich gar nicht bestreiten, trotzdem - ich sage es noch mal -, wir sprechen ja von Millionen Frauen, die sich da melden, und da ging es nicht immer so konkret, wie Sie das jetzt beschreiben, und so ganz transparent um dieses Angebot, sondern die Frauen wurden belästigt, angefasst und in Situationen genötigt und gedrängt, teilweise in sehr jungem Alter, wo diese Verknüpfung zwischen der beruflichen Zukunft und diesen sexuellen Dienstleistungen und diesem Machtgefälle ja auch, das die Männer da aufgebaut haben, nicht so offen war. Das ist doch auf jeden Fall, das sind doch noch mal ganz andere Fälle, und vor allem, die Zahl der Fälle spricht doch dafür, dass es ein eindeutiges Problem ist.
    Enderle: Die Zahl der Fälle, da muss ich auch, sagen wir mal, ein gewisses Fragezeichen dahintersetzen. Wenn über ein Thema lange Ruhe ist, wenig nach außen dringt und mit einem Schlag ein Riesenaufruhr entsteht, dann ist es zumindest von der Dimension her fragwürdig. Wir hatten den Fall …
    Zerback: Die Dimension Gewalt gegen Frauen.
    Enderle: Gewalt oder auch sexuelle Belästigung. Es ist jetzt nicht nur Gewalt im Spiel, sondern es ist auch einfach diese, das, was Sie angesprochen haben, dass man es, je nachdem, wie man steht, als Gewalt auffassen kann oder auch als Belästigung ansieht. Ich meine, die Situationen, über die wir jetzt gesprochen haben. Wenn wir …
    "Berichterstattung ist einseitig"
    Zerback: Da muss ich aber tatsächlich mit Zahlen gegenargumentieren, weil dass das ein Problem ist, das zeigen ja Kriminalstatistiken und auch, dass Gewalt gegen Frauen Gewalt von Männern gegen Frauen ist. Also alleine in Partnerschaften, da sind 80 Prozent der Gewaltdelikte, die werden da von männlichen Partnern an der Frau verübt, um da nur mal ein Beispiel zu nennen.
    Enderle: Nein, das ist mittlerweile paritätisch. Wir haben andere Zahlen vorliegen.
    Zerback: Ja, sagt nicht die Bundesregierung beziehungsweise die Bundespolizeikriminalstatistik 2015 …
    Enderle: Ja gut, bei der Bundesregierung kann es …
    Zerback: Nein, Kriminalpolizei. Das ist die Kriminalstatistik 2015, Herr Enderle.
    Enderle: Es kann sein, dass es in der Politik noch nicht angekommen ist, aber es ist tatsächlich so, dass …
    Zerback: Noch mal: Polizei.
    Enderle: Es kann sein, dass es dort noch nicht angekommen ist, aber es ist tatsächlich so, dass auch gerade in Berlin die häusliche Gewalt immer weiter, dass sich immer mehr Männer melden, die Gewalt erfahren.
    Zerback: Das will ich gar nicht in Abrede stellen, dass es da tatsächlich …
    Enderle: Und es ist auch bei der sexuellen Belästigung so, dass Männer davon berichten, aber wenig davon berichten, weil wenn sie es laut sagen, ohnehin nur ausgelacht werden.
    Zerback: Aber warum, glauben Sie, dass es Frauen anders geht?
    Enderle: Ich sage nicht, dass es Frauen anders geht.
    Zerback: Sie denken nur …
    Enderle: Ich sage nur, dass die Berichterstattung einseitig ist und dass auch die Behandlung in den Medien einseitig ist.
    Zerback: Was würden Sie sich denn da wünschen?
    Enderle: Ich würde mir wünschen, dass wir zu einer nüchternen Betrachtung der Fakten zurückkommen. Ich darf nur an diesen Fall in Silvester in Köln erinnern, wo sich nachher rausgestellt hat, dass eine derjenigen, die behauptet hat, an Silvester in Köln vergewaltigt worden zu sein, gar nicht in Köln war zu diesem Zeitpunkt, und, sagen wir mal, das sind Dinge, die, wenn wir Trittbrettfahrerei zulassen, bei diesem sehr heiklen Kontext, mit sehr, sehr schweren Vorwürfen, dann landen wir irgendwann an einem Punkt, wo die Glaubwürdigkeit extrem leidet zulasten der tatsächlichen Opfer, und das finde ich sehr bedenklich.
    "Fälle, die tatsächlich vorliegen aufarbeiten"
    Zerback: Das, finde ich, ist ein wichtiger Punkt. Trotzdem picken Sie da jetzt Einzelfälle raus, und ob Frauen lügen, das lässt sich ja aus der Ferne nicht sagen oder ein Opfer generell.
    Enderle: Wir haben sehr prominente Einzelfälle. Wir hatten den Fall von Andreas Türck, wir hatten den Fall von Horst Arnold, wir hatten den Fall von Jörg Kachelmann, und wir hatten als jüngsten Fall Gina-Lisa Lohfink, wo sich nachher rausgestellt hat, dass die Vorwürfe in der Sache haltlos waren und sich trotzdem vorher, bevor ein juristischer Schiedsspruch gefällt worden war, selbst Vertreter der Bundespolitik sehr dafür starkgemacht haben für die Gegenposition. Das ist etwas, was ich sehr bedenklich finde, und das ist etwas, was in unserer Gesellschaft eigentlich keinen Platz hat, denn wir dürfen nicht zulassen, dass ein Lynchmob entsteht, sei er virtuell, sei er tatsächlich. Diese Zeiten sollten wir hinter uns gelassen haben.
    Zerback: Aber da noch mal, dass Sie diese Einzelfälle da jetzt rauspicken, das entwertet ja nicht die Legitimität der Gesamtdebatte.
    Enderle: Wir sollten vielleicht von einem Statistiker mal die Dunkelziffer daraus errechnen lassen, was diese Einzelfälle, die prominent geworden sind, an Dunkelziffer beinhalten und uns dann über die Sache unterhalten. Wir müssen immer davon ausgehen, dass es ein sehr schambesetztes Thema ist.
    Zerback: Glauben Sie nicht doch, dass es jedes Opfer auch wert ist, angehört zu werden?
    Enderle: Ja, eben jedes und nur die tatsächlichen.
    Zerback: Alles klar. Das ist ein Punkt, den haben wir verstanden, und in der Debatte zu #metoo, Sie wollen da mehr Sachlichkeit reinbringen. Noch mal ganz kurz zum Schluss: Was schlagen Sie vor, wie kriegen wir die da rein?
    Enderle: Ich würde sagen, erst mal durchatmen, sich anschauen, welche Fälle es tatsächlich sind, und die Fälle, die tatsächlich vorliegen, zur Anzeige bringen und juristisch aufarbeiten und für die Opfer therapeutisch aufarbeiten. Das ist mal das Erste.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.