Sexualisierte Gewalt im Krieg
Vergewaltigung als Kriegswaffe

Sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten hat laut der UN 2024 weltweit stark zugenommen. Vermutlich in jedem Krieg in der Geschichte gab es Vergewaltigung und sexuelle Folter – oft systematisch und strategisch eingesetzt.

    Japanische Papierfaltkunst Origami an der Friedensstatue Ari
    Gedenken an die sogenannten Trostfrauen des japanischen Militärs. Über 200.000 Mädchen und Frauen hat das japanische Militär während des Asien-Pazifik-Krieges (1931- 1945) sexuell versklavt. (picture alliance / Ipon / Stefan Boness)
    Ob Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei oder beispielsweise Zwangssterilisation: Es gibt viele Formen sexueller Gewalt, die in Kriegen und bewaffneten Konflikten verübt werden. Den Vereinten Nationen (UN) zufolge haben die dokumentierten Fälle 2024 um ein Viertel zugenommen.  
    Erst spät wurde diese Form der Gewalt als eigenes Kriegsverbrechen anerkannt. Wann, wo und warum kommt es zu sexualisierter Gewalt in bewaffneten Konflikten? Wie wird sie verfolgt? Und welche Folgen hat sie für die Betroffenen und für Gesellschaften als Ganze, auch dann noch, wenn der Krieg längst vorbei ist?
    Hinweis: Im folgenden Beitrag werden sexualisierte Gewalthandlungen und deren Folgen für die Betroffenen geschildert, die belastend und retraumatisierend sein können.
    Um zu verdeutlichen, dass es nicht um Sex, sondern um Gewalt geht, wenn Menschen sexuelle Handlungen aufgezwungen werden, sprechen Expertinnen und Experten oft von sexualisierter Gewalt. Aber auch der Begriff sexuelle Gewalt ist üblich, in diesem Beitrag werden daher beide Begriffe genutzt.

    Inhalt

    Sexualisierte Gewalt in Kriegen und Konflikten der Gegenwart

    Im Jahr 2024 wurden dem UN-Jahresbericht zufolge mehr als 4600 Fälle konfliktbezogener sexueller Gewalt dokumentiert – bei gleichzeitig hoher Dunkelziffer.  In der Zentralafrikanischen Republik, im Kongo, in Haiti, in Somalia und im Südsudan wurden die meisten Fälle gemeldet. Übergriffe gingen am häufigsten von bewaffneten Gruppen aus, einige wurden aber auch von Regierungstruppen verübt. Die Mehrheit der Opfer sind Frauen und Mädchen.
    Auch in Russlands Krieg gegen die Ukraine und im Gaza-Krieg zwischen Israel und der Hamas kommt es zu sexualisierter Gewalt. Der UN-Jahresbericht enthält eine schwarze Liste mit staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren, zu denen glaubwürdige Informationen vorliegen, dass sie systematisch Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt in Konflikten ausüben. Auf dieser Liste steht die Hamas, unter anderem wegen Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen während der Angriffe vom 7. Oktober 2023 auf Israel und wegen sexualisierter Folter von nach Gaza verschleppten Geiseln.
    Angekündigt wird in dem UN-Bericht außerdem, dass die israelischen sowie die russischen Streitkräfte im kommenden Jahr ebenfalls auf dieser schwarzen Liste landen könnten.
    Dort heißt es bezogen auf die israelischen Streit- und Sicherheitskräfte, es gebe glaubwürdige Informationen über sexuelle Gewalt gegen Palästinenser in mehreren Gefängnissen, einem Internierungslager und einem Militärstützpunkt. Der Bericht nennt hier Gewalt an den Genitalien, längere erzwungene Nacktheit und wiederholte Leibesvisitationen, die auf missbräuchliche und erniedrigende Weise durchgeführt werden. Bereits im Februar hatte die Organisation „Ärzte für Menschenrechte Israel" dem israelischen Staat vorgeworfen, medizinische Fachkräfte aus dem Gazastreifen ohne Anklage festzuhalten und in israelischen Haftanstalten zu missbrauchen, einschließlich sexuellen Missbrauchs.
    Im Falle der russischen Streit- und Sicherheitskräfte und mit ihnen verbundener bewaffneter Gruppen geht es in dem UN-Bericht um hauptsächlich an ukrainischen Kriegsgefangenen verübte sexuelle Gewalt: Dokumentiert sind demnach Fälle von Gewalt an den Genitalien, darunter Stromschläge, Schläge und Verbrennungen, sowie erzwungenes Entkleiden und längere Nacktheit. Ein bereits 2024 veröffentlichter Bericht des polnischen Raphael-Lemkin-Zentrums kam zudem zu dem Ergebnis, dass sexuelle Gewalt gegen Frauen zur Militärstrategie Russlands gegen die Ukraine gehöre.

    Juristische und politische Anerkennung: Sexualisierte Gewalt in Kriegen der 1990er-Jahre

    Die Kriege der Gegenwart sind keine historische Ausnahme: Sexualisierte Gewalt ist vermutlich schon eine Kriegswaffe, seitdem es Kriege gibt. Und sie ist es geblieben: in den 1990er-Jahren beispielsweise in den Balkankriegen und während des Genozids in Ruanda. So kam es im Bosnienkrieg neben „ethnischen Säuberungen“ und dem Massaker von Srebrenica auch zu massenhaften Vergewaltigungen. Während des Völkermords in Ruanda wurden schätzungsweise bis zu 250.000 Frauen vergewaltigt.
    „Diese Kriege haben eine ganz entscheidende Rolle für die juristische Anerkennung gespielt“, sagt Monika Hauser, Gründerin der Frauenrechts- und Hilfsorganisation Medica Mondiale, die sich um kriegstraumatisierte Frauen und Mädchen kümmert. So wurde 1994 der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda gegründet, 1998 sprach das Gericht in einem Urteil erstmals von sexueller Gewalt als Völkermordhandlung. 2001 erkannte der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag offiziell Vergewaltigungen im Krieg als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen an.
    Die Politik sprach damals erstmals über Entschädigungen für Überlebende sexualisierter Gewalt, betont Hauser. Im bosnischen Parlament wurde daraufhin 2006 ein Entschädigungsgesetz beschlossen. Die betroffenen Frauen erhielten ein Recht auf eine monatliche Pension – und damit gleichzeitig auch soziale Anerkennung der Kriegsgewalt, die sie erfahren hatten.

    Ursachen, Ziele und Erinnerungskultur: Sexualisierte Gewalt im Zweiten Weltkrieg

    Ein Fall sexualisierter Gewalt, der in der deutschen Erinnerungskultur sehr präsent ist, sind Vergewaltigungen durch Soldaten der Roten Armee, als diese am Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland einmarschierten. Es gibt unzählige Berichte von Frauen und Mädchen, die von sowjetischen Soldaten vergewaltigt wurden. Soldaten hätten damals ihren Rachegelüsten freien Lauf gelassen, sagt die Historikerin Regina Mühlhäuser: „Sie wussten, welche Verbrechen die Deutschen ihren Familien angetan hatten. Sie fühlten sich im Recht, es ihnen zurückzuzahlen.“
    Mühlhäuser arbeitet bei der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, unter anderem zum Thema Krieg und Geschlecht. Ihr Forschungsschwerpunkt sind die von Deutschland im Zweiten Weltkrieg besetzten Ostgebiete. Alle militärischen Akteure, betont die Historikerin, hätten damals sexuelle Gewalt verübt – die deutsche und die japanische Armee, die Alliierten und die Widerstandskämpfer: „Und zwar nicht nur gegen die jeweiligen Frauen des Gegners, sondern auch gegen Verbündete, gegen Schutzbefohlene, gegen Personen aus dem eigenen Kollektiv.“

    Vergewaltigungen aus Gelegenheit

    In der Regel begingen Soldaten beispielsweise Vergewaltigungen, weil sie die Möglichkeit dazu hätten, erklärt Mühlhäuser. Die militärische Führung wiederum mache sich die sexuelle Gewalt der Soldaten zunutze, wenn sie den Kriegszielen zugutekomme: Sie könne etwa der Einschüchterung, der Verbreitung von Terror oder der kollektiven Bestrafung einer Gruppe dienen, könne Teil von „ethnischer Säuberung“ oder „politischer Säuberung“ sein. Sexuelle Gewalt im Krieg diene aber ebenfalls dazu, die eigenen Soldaten zu stärken. Und als Machtdemonstration kommuniziere sie zudem ins eigene Kollektiv.
    Bei der deutschen Wehrmacht sei sexuelle Gewalt auch Teil ihres rassistischen und antisemitischen Eroberungskriegs und des Holocausts gewesen, sagt Mühlhäuser. Deutsche Soldaten, SS-Männer und Kollaborateure hätten Frauen und Mädchen unter anderem sexuell gefoltert, verstümmelt, vergewaltigt und versklavt.
    Dass heute jedoch vor allem die sexuelle Gewalt durch die Rote Armee besprochen wird, hat laut der Historikerin mit dem Kalten Krieg zu tun. Im Wettstreit der Systeme seien die Verbrechen der sowjetischen Soldaten auch für eine antikommunistische Erzählung benutzt worden: „Wir gegen sie, Gut gegen Böse, zivilisiert gegen unzivilisiert.“ Die amerikanischen Soldaten und zum Teil auch die britischen Soldaten seien hingegen als besonders schützend dargestellt worden.

    Individuelle und gesellschaftliche Folgen sexualisierter Gewalt in Kriegen

    Sexualisierte Gewalt ist mit langfristigen Folgen für die Betroffenen und auch ihre Umgebung verbunden. Monika Hauser von der Frauenrechts- und Hilfsorganisation Medica Mondiale berichtet, dass Frauen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, immer wieder von komplexen Trauma-Belastungsstörungen betroffen seien: Sie litten etwa an Flashbacks, Suizidgedanken, schweren Depressionen. Auch körperliche Folgen können von den Taten bleiben.
    Dazu komme, dass betroffene Frauen in ihren eigenen Gesellschaften ausgegrenzt und nicht mehr als gleichwertiger Teil gesehen würden, sagt Hauser: „So brechen Familien, so brechen ganze Kommunen, ganze Gesellschaften auseinander.”
    Mit der sexualisierten Gewalt wird ein kollektives Gefühl der Demütigung und Erniedrigung verbunden. So kann sie ganze Gesellschaften prägen – auch dann noch, wenn der Krieg längst geendet ist.

    Jfr