
Die bundesweite, repräsentative Studie legt vor allem einen eines nahe: Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist auch in Deutschland ein weitverbreitetes Phänomen. Und: Es gibt ein erhebliches Dunkelfeld.
38 Prozent der Betroffenen hatten bisher nicht mit anderen Personen über die erlebte sexualisierte Gewalt gesprochen. Bei der schriftlichen Befragung legten sie das Erlebte also erstmalig offen. Viele schwiegen bisher aus Scham und aus Sorge, dass ihnen nicht geglaubt wird.
Für die bundesweite, repräsentative Studie wurden insgesamt 10.000 Personen im Alter von 18 bis 59 Jahren schriftlich kontaktiert. Die Studie wurde vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit initiiert.
Wer ist von sexualisierter Gewalt betroffen?
In der Studie gaben knapp 13 Prozent der Befragten an, einmal sexualisierte Gewalt erfahren zu haben – etwas mehr als die Hälfte davon berichten von einem einmaligen Missbrauch, etwas weniger als die Hälfte von mehrfachem.
Frauen wurden der Befragung zufolge deutlich häufiger Opfer sexualisierter Gewalt als Männer. Fast alle Befragten berichteten von nicht gewollten Berührungen, mehr als ein Fünftel vom Eindringen in den Körper.
Die Betroffenen waren zum Zeitpunkt der ersten Tat durchschnittlich elf Jahre alt. Diejenigen, die in frühen Jahren sexualisierte Gewalt erfahren mussten, wurden tendenziell auch häufiger Opfer von wiederholtem Missbrauch. Bei Mehrfachtaten dauerte der Missbrauch durchschnittlich dreieinhalb Jahre an. Die Betroffenen von wiederholtem Missbrauch waren zum Ende der Taten durchschnittlich etwa 15 Jahre alt.
Der Befragung zufolge ist sexualisierte Gewalterfahrung unabhängig von der schulischen Bildung. Sie kann jeden treffen, heißt es in der Studie.
Wer sind die Täter?
Als Täter werden mehrheitlich Männer genannt, etwa 95 Prozent. Die meisten der Täter kamen der Umfrage zufolge aus der Familie oder waren Verwandte, gefolgt von Gewalt im Freundeskreis.
Frauen berichteten häufiger von sexualisierter Gewalt im familiären oder beruflichen Umfeld; Männer in Sport- und Freizeiteinrichtungen, im kirchlichen Kontext und im Rahmen der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe. Über das Internet und soziale Medien haben nach eigenen Angaben bereits etwa ein Drittel der Betroffenen sexualisierten Gewalt erlebt.
Als häufigste Methoden der Tatanbahnung nannten die Betroffenen das Ausnutzen einer persönlichen Beziehung, Schmeicheleien und Komplimente und das Ausnutzen der persönlichen Autorität des Täters.
Welche Rolle spielt sexualisierte Gewalt im Internet?
Von sogenannter technologiegestützter sexualisierter Gewalterfahrung berichteten etwa 32 Prozent der Befragten. Auch hier waren weibliche Personen deutlich häufiger betroffen.
Interessant ist dabei, dass viele der Befragten solche Vorfälle scheinbar nicht als sexualisierte Gewalt einordnen: Insgesamt 27 Prozent der Personen, die in der Selbsteinschätzung angaben, keine sexualisierte Gewalt erlebt zu haben, berichten über Vorfälle technologiegestützter sexualisierter Gewalt.
Die häufigsten Formen sind der Umfrage zufolge: der ungewollte Kontakt mit sexuellem beziehungsweise pornografischem Material im Internet (etwa 18 Prozent), ungewollte Fragen nach sexuellen Informationen und ungewollte Gespräche mit sexuellen Inhalten (jeweils etwa zehn Prozent).
Offenlegung, Hilfsangebote und Ahndung der möglichen Straftaten
Etwa 37 Prozent der Betroffenen gaben ab, in der Befragung erstmals über den Missbrauch zu berichten. Dieses Ergebnis weist auf ein erhebliches Dunkelfeld hin. Weswegen so viele Betroffene trotz zahlreicher Aufklärungs- und Präventionskampagnen schweigen? Die meisten berichten in der Studie von Schamgefühl und der Annahme, ihnen würde ohnehin nicht geglaubt werden.
Besorgniserregend sei auch das geringe Wissen über Hilfsangebote, heißt es in der Studie: Fast 50 Prozent der Befragten (Betroffene und nicht Betroffene) gab an, über keinerlei Kenntnisse darüber zu verfügen.
lkn