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Simulationsforscher zu Corona-Eindämmung
Massentests nur sinnvoll als "Teil einer Gesamtstrategie"

Der Corona-Massentest in Österreich sei von der Bevölkerung nicht so gut angenommen worden, wie von der Politik erhofft, sagte der Simulationsforscher Niki Popper im Dlf. Künftig müsse zielgenauer getestet werden. Massentests seien nur im Wechselspiel mit anderen Maßnahmen sinnvoll.

Niki Popper im Gespräch mit Ralf Krauter | 17.12.2020
Eine Laborantin bedient ein Laborgerät in einem Corona Virus COVID-19 Großlabor in Wien.
Die Teilnahme beim Massentest auf das Coronavirsu sei niedriger als in anderen beispielhaften Ländern gewesen, erklärte der Simulationsforscher Niki Popper (imago images/Alex Halada)
Nach der Slowakei hatte auch Österreich am 4. Dezember mit einem mehrtägigen Massentest begonnen. Millionen Österreicher sollten sich dabei freiwillig auf das Coronavirus untersuchen lassen. Getestet wurde mit kostenlosen Antigen-Tests. Laut Regierung haben bis zum 14. Dezember rund zwei Millionen Menschen teilgenommen. Von ihnen seien etwa 4.200 Menschen auch bei einem Zweittest positiv auf den Erreger Sars-CoV-2 getestet worden.
In Deutschland lehnen viele Experten breite Massentests ab. Der Simulationsforscher Niki Popper ist der Ansicht, dass solche Tests nur als Teil einer Gesamtstrategie sinnvoll sind. Popper ist Experte für Corona-Modelle an der TU Wien und berät die Regierung bei der Pandemie-Bekämpfung.
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2
Ralf Krauter: Wie ist der Massentest Österreich gelaufen?
Niki Popper: Na ja, ich glaube, es gibt hier verschiedene Aspekte, die man nennen kann und muss. Der eine Aspekt ist die Organisation selbst, die Umsetzung – das dürfte eigentlich ganz gut geklappt haben. Das heißt, es hat keine Massenansammlungen gegeben, es hat keine gravierenden Probleme gegeben. Es dürfte wohl bei den Anmeldungen zu Beginn einige Herausforderungen und Schwierigkeiten gegeben haben, aber die Umsetzung dann hat gut funktioniert.
Der zweite Aspekt ist: Es war die Teilnahme niedriger als in anderen beispielhaften Ländern, und da ist jetzt eben die Frage, wie geht man damit um. Positiv ist, es wurden – klarerweise, das ist jetzt auch kein Mirakel – einige Tausend Positivtestungen durchgeführt, die wurden aus den Ausbreitungsnetzwerken rausgeholt. Ich glaube, jetzt muss man sich überlegen, ist es geplant, – und das ist sicher wenn man es macht auch sinnvoll – diese Tests zu wiederholen, und hier geht es jetzt darum, zu schauen, wie kommt man an die Zielgruppen, wo wirklich die Infektionen sind, weil der Anteil der Positivtestungen war relativ niedrig.

"Es geht darum, Anreizsysteme zu schaffen"

Krauter: Sie haben gesagt einige Tausend unwissende Überträger konnten nach dem Test quasi für begrenzte Zeit aus dem Verkehr gezogen werden, sodass sie eben niemanden mehr anstecken können, das ist positiv. Sie haben aber vor zweieinhalb Wochen, als wir gesprochen haben, auch gesagt, wenn 65 Prozent der österreichischen Bundesbürger mitmachen, dann könnten wir die Zahl der täglichen Neuinfektionen kurzfristig auf ein Drittel bis auf ein Viertel drücken. Das hat jetzt letztlich nicht geklappt, weil zu wenige mitgemacht haben.
Popper: Genau, der Anteil derer, die mitgemacht haben, dürfte irgendwo bei zwei Millionen liegen, das heißt, dass man jetzt wirklich auf einen Bereich von 50, 60 Prozent kommt. Das ist nicht geschafft worden. Hier muss man sich jetzt eben überlegen, im Jänner (Januar, Anmerkung der Redaktion) soll das weitergehen, und jetzt stellt sich eben die Frage, wie kann man diesen Puzzlestein effizient einsetzen. Das dürfte dann besser funktionieren, wenn man sozusagen einen klaren Fokus hat, wenn man versucht, bestimmte Bevölkerungsgruppen – ein Beispiel sind hier zum Beispiel Lehrerinnen und Lehrer, die vor dem Schulbeginn wieder testen gehen sollen –, wenn man die anspricht und wenn man versucht, hier die Motivation zu steigern.
Was man sagen muss, ist, im Unterschied zu anderen Ländern hat es hier sozusagen keinen Druck gegeben, das heißt, es ist nicht irgendwie ein Ausgangsverbot oder sonstige Dinge mit der freiwilligen Teilnahme an einem Test gekoppelt worden. Hier kommt es jetzt zu einer großen Diskussion auch immer wieder, dass man sagt, na ja, man müsste doch – ich glaube, die Expertinnen und Experten sind sich einhellig, dass dieser Druck keinen Sinn macht. Es geht jetzt darum, Anreizsysteme zu schaffen und auch um die Frage, wie kann man die Motivation, wie kann man den Mehrwert besser kommunizieren.
Ein Mitglied des medizinischen Personals steckt ein Wattestäbchen nach einem PCR-Abstrich zum Test auf COVID-19 in ein Röhrchen.
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Es gibt viele Gründe, sich freiwillig und ohne Symptome oder Verdacht auf eine Corona-Erkrankung testen zu lassen. Doch wie geht das? Welche Tests sind auf dem Markt, was kosten sie und wo kann man sich testen lassen? Ein Überblick.
Krauter: Also das Beispiel, was da im Raum steht, ist die Slowakei, wenn ich es richtig weiß, wo wirklich mit Sanktionen belegt wurde, wer nicht freiwillig am Test teilgenommen hatte dann.
Popper: Genau.

"Nachfokussieren, dass man die richtigen Zielgruppen erwischt"

Krauter: Das ist für Österreich kein Modell, für Deutschland wahrscheinlich auch nicht, trotzdem noch mal nachgefragt: Das Ziel war ja, die Zahl der täglichen Neuinfektionen deutlich zu drücken, inwiefern ist man dem denn nahegekommen? Ich hab gerade noch mal geschaut, immer noch deutlich über 2.000, ein bisschen runter von über 3.000, wo man war, als es losging. Also ein kleiner Erfolg?
Popper: Ja, ich glaube, es ist sozusagen nicht so angenommen worden, wie sich das wahrscheinlich auch die Politik erhofft hat. Ich glaube, es macht eben dann Sinn, wenn man es als Teil einer Gesamtstrategie versteht. Was mir ein wenig Sorge bereitet, ist, wenn einzelne Bundesländer glauben, diese Flächentests ersetzen andere Aspekte, wie eben die Frage, wie kann man die Menschen motivieren, weiterhin an Kontaktreduktion, an Hygienesteigerung teilzunehmen, und vor allem, wie kann man dort, wo die Menschen wirklich Symptome haben, wo sie krank sind, diese Menschen nicht nur behandeln – also positiv testen, dann behandeln –, sondern auch deren Kontakte aus diesen Netzwerken rausholen.
Das ist eher meine Sorge, dass sozusagen diese Maßnahme, die ein Puzzlestein ist, als Allheilmittel gesehen wird, und ich glaube, da muss man in der Kommunikation dran arbeiten. Es kann einen Beitrag leisten, der war im Moment, sag ich einmal, noch überschaubar. Hier muss man stärker nachfokussieren, dass man die richtigen Zielgruppen erwischt, dass der Anteil der Positivtestungen, dass der sogenannte Vortest wahrscheinlich jetzt steigt. Ich gehe davon aus, dass sich die Politik vor allem auch in den regionalen eigenen Bundesländern hier gerade den Kopf darüber zerbricht, wie man das eben schärfen kann, damit hier der Erfolg gesteigert werden kann. Wie gesagt, im ersten Schritt war es kein Bauchfleck, wie man auf Österreichisch sagt, aber es ist sicher vom Effekt her noch ausbaubar.
Krauter: Was könnten denn wir in Deutschland lernen aus den Erfahrungen, die Sie jetzt gemacht haben, also was wäre die Quintessenz?
Popper: Na ja, das ist immer schwierig, die Übertragbarkeit von Aktivitäten, ich bin da immer sehr vorsichtig, um ehrlich zu sein. Ich glaube – und ich denke, da haben wir auch zuletzt mal schon drüber gesprochen –, man muss sich überlegen, dass zum Beispiel solche Tests dann Sinn machen können, wenn man Regionen hat, die einen Anstieg haben, wenn man in einem grundsätzlich nicht so hohen Bereich ist. Das Ziel ist ja auch in Deutschland, die Sieben-Tage-Werte auf 50 wieder runterzubekommen, und wenn man die hat, dass man dann sagt, okay, in Gebieten, wo das wieder anzusteigen droht, dass man zuerst versucht, mit solchen Flächentests hier beizutragen, um wieder ein bisschen runterzukommen, um stärkere Maßnahmen, wie sie auch jetzt in Deutschland geplant sind – wie eben Lockdowns –, dann regional zu verhindern beziehungsweise im Umkehrschluss, wenn man es regional nicht mit Tests lösen kann, dass man dort dann eben regional stärkere Maßnahmen mit Lockdowns wieder aussprechen muss.
Ich glaube, hier müssen wir jetzt schauen, dass wir in den nächsten Monaten zu einem Wechselspiel kommen, dass wir die Situation bis Ende März hier in den Griff bekommen, weil wir eben sehen, dass überall in Europa die Dynamik jetzt im Winter bei den Coronaviren eben weitaus stärker ist, als es im Sommer ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.