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Sinn und Form

Eigentlich sind die beiden Bildhauer Constantin Brancusi und Richard Serra so unterschiedlich wie man kaum sein kann. Ersterer machte Skulpturen für drinnen, fürs Museum. Letzterer fast ausschließlich für draußen. Plastik im Raum, aber gilt für beide.

Von Christian Gampert |
    Das Erstaunlichste ist, dass Richard Serras monumentale Skulpturen auch im Museum funktionieren. Im Foyer der Fondation Beyeler steht eine neun Meter lange und vierzig Tonnen schwere, schrundige Stahlplatte, eine Wand aus industrieller Melancholie. Serra hat sie - nach dem portugiesischen Pessimisten - "Fernando Pessoa" genannt, und in der Tat fühlt sich der Betrachter elend klein vor diesem rostigen Monstrum, das einfach eine Setzung ist, die Präsenz puren materiellen Seins, eine Behauptung stählerner Existenz.

    Im Museums-Kontext bekommen freilich auch Serras Arbeiten eine andere, eine heiligere Aura als draußen im öffentlichen Raum, wo das Riesenhaft-Minimalistische immer auch eine Provokation ist, Spielmaterial für allerlei persönliche Projektionen und Bedürfnisse. Auf dem Basler Theaterplatz, wo Serras "Intersection" steht, kullern die Bierdosen im Innenraum der Skulptur, und die Obdachlosen pinkeln nachts gegen den Stahl. Das ist in Riehen, bei Beyeler, natürlich ganz anders: man schaut hinaus auf Seerosenteiche, und selten hat man etwas so grandios Inszeniertes gesehen wie jenen zentralen Saal, in dem Serras "Curved Piece" (aus dem Jahr 1986) im leicht geneigten Halbrund den Raum schneidet und davor all die bescheidenen, halb abstrakt schlafenden Musen-Köpfe des Constantin Brancusi zu schweben scheinen:

    Es gibt in der Tat eine Gemeinsamkeit zwischen diesen beiden großen Bildhauern; und es ist nicht nur der Kampf um das Volumen im Raum und die Rolle des Betrachters, der beide zu einer immer stärkeren Reduktion der Formen führte. Es ist auch ein autobiografischer Berührungspunkt. Richard Serra hatte Mitte der 1960iger Jahre ein Paris-Stipendium und konnte dort das - im Museum - rekonstruierte Atelier von Brancusi besuchen. Das muss eine Art Erweckungserlebnis gewesen sein.

    "Das Studio roch nach Kunst. Es hatte noch die Aura eines Künstlers, der da gearbeitet hatte. Die Werkzeuge waren noch da, der Mörtel auf dem Boden. Ein heruntergekommener Ort. Es hatte den Anschein, dass da jemand konsequent jeden Tag arbeitete. Das beeindruckte mich."

    Serra, der bei Stella und Rauschenberg studierte, hatte nämlich einen Theorie-Überhang und ein Praxis-Defizit. Und jetzt dieses Studio.

    Serra staunte: da zeichnete einer Körper im Raum - so wie Cézanne Äpfel auf dem Tisch malte. Serra saß also vor diesem Atelier - und hatte selber plötzlich Lust, den Raum, die Leere zu erkunden. Egal, ob das Legendenbildung ist: die von Oliver Wick sorgsam kuratierte Schau belegt, was die an der Grenze zur Abstraktion balancierenden, eher kleinen Brancusi-Torsi und -Köpfe (mit ihren scharfen Schnittkanten und gerundeten Volumina) mit den geometrisierten Setzungen Serras zu tun haben: beide spielen mit einer nicht nur körperlichen, sondern auch psychischen Präsenz. Brancusis Menschenbilder vom Anfang des 20.Jahrhunderts, die Kubismus und Surrealismus in der Reinheit einer ehernen Form-Transzendenz hinter sich lassen, und Serras strenge Zeugnisse des späten Industriezeitalters sind einsame Selbst-Behauptungen. Wo Brancusi seine reife Werkphase 1907 mit zwei stilisierten Köpfen zwischen Archaik und Jugendstil begann, mit dem "Kuss", da antwortet Serra 2011 mit zwei massiven Blöcken aus wetterbeständigem Schmiedestahl.

    Das Leichte und das Schwere: noch nie sind so große Massen durch die Fondation Beyeler bewegt worden, aber auch noch nie hat ein Saal eine solche Leichtigkeit verströmt wie jener letzte, der Brancusis Vögeln gewidmet ist, schmalen schlanken Schwingen, die sich über die Schwerkraft zu erheben scheinen.

    Constantin Brancusi hat sich immer auf wenige Themen beschränkt: Kinder, Frauen, Vögel, Torsi. Alle diese Körper und eiartigen Urformen sind in mehreren Materialien durchprobiert, wobei die gülden spiegelnden oft den geringsten Eindruck hinterlassen; Marmor ist viel ehrlicher. Auch Brancusis Tendenz, die Skulpturen zueinander in Beziehung zu setzen und fotografisch zu inszenieren, ist bisweilen ein wenig zwanghaft. Serra wirkt oft entspannter: er entlässt uns mit einem "Kartenhaus", aneinandergelehnte Stahlplatten, die ein fragiles Gleichgewicht halten, und einem Saal, wo am Boden und an der Decke jeweils eine riesige Stahlplatte platziert ist. Man muss keine Begabung für das Übersinnliche haben, um sich hier in einem magnetischen, einem magischen Raum zu fühlen: Serra ist ein Kraftfeld, das Kraftfeld der Moderne.