Blick auf die Bundeswehr
Das schwierige Verhältnis der Deutschen zu ihrer Armee

Die Deutschen schauen kritisch auf ihre Bundeswehr - auch wenn sich das Ansehen der Soldaten gebessert hat, nicht zuletzt seit Russlands Krieg gegen die Ukraine. Welche Vorbehalte es gibt und woher sie stammen: ein Überblick.

    Bundeswehrsoldaten nehmen an einer Übung im Beisein des Verteidigungsministers bei dessen Antrittsbesuch bei der Bundeswehr auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow teil. Fünf Soldaten mit Bewaffnung und Kampfmontur gehen durchs Gelände.
    Soldaten bei einer Übung: Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat die Debatte über die Bundeswehr noch einmal grundlegend verändert. (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Die Deutschen haben ein gespaltenes Verhältnis zur Bundeswehr. Nach der NS-Diktatur sahen viele eine Wiederbewaffnung der Bundesrepublik kritisch. Debatten um die Akzeptanz und Ausrichtung der Bundeswehr begleiten ihre Geschichte von Anfang an.
    Derzeit wäre laut einer Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur gut jeder zehnte Deutsche bereit, im Angriffsfall zur Waffe zu greifen. Nur gut ein Drittel hat ein großes oder sehr großes Vertrauen in die Bundeswehr, so der aktuelle ARD-Deutschland-Trend.
    Was ist das für ein Bild, das sich die Deutschen von der Bundeswehr machen? Und wie hat es sich im Laufe der Jahrzehnte verändert?

    Kontroversen über Wiederbewaffnung nach dem Zweiten Weltkrieg

    Nach dem nationalsozialistischen Zivilisationsbruch und dem Zweiten Weltkrieg gab es in den 1950er-Jahren heftige Kontroversen über die Wiederbewaffnung in der noch jungen Bundesrepublik. Viele Bürger hatten erst einmal genug vom Militär.
    Die Strategie des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer war jedoch eine andere. „Er hat den Amerikanern eine Mohrrübe vorgehalten, indem er zugesagt hat, eine Bundeswehr aufzubauen und dafür die Souveränität zu bekommen. Und in diese Mohrrübe haben die Amerikaner reingebissen“, sagt Sönke Neitzel, Historiker mit Schwerpunkt Militärgeschichte an der Universität Potsdam.
    Adenauer und Militaärangehörige laufen auf diesem Schwarz-Weiß-Foto an Soldaten der Bundeswehr vorbei.
    Der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer besucht im Jahr 1956 die neu gegründetete Bundeswehr (picture-alliance / akg-images)
    Mit dem Ende des Besatzungsstatuts war der Weg für eine Mitgliedschaft in der NATO frei. 1955 trat die Bundesrepublik Deutschland dem Bündnis bei - und durfte auch eigene Streitkräfte aufstellen.

    Appell an das Gewissen der Deutschen

    Martin Niemöller, prominenter evangelischer Theologe und NS-Widerstandskämpfer, appellierte Ende der 1950er-Jahre in seiner Kasseler Rede an das Gewissen der Deutschen: „Denn sie wissen, was sie tun! Mütter und Väter sollen wissen, was sie tun, wenn sie ihren Sohn Soldat werden lassen. Sie lassen ihn zum Verbrecher ausbilden.“
    Klar war jedenfalls, dass die Soldaten der Bundesrepublik ganz anders sein sollten als die Soldaten der Wehrmacht unter der Nazi-Diktatur. „Da haben wir die Schlagworte von der Inneren Führung, vom Staatsbürger in Uniform", sagt der Historiker Sönke Neitzel - sie beschreiben das Leitbild der deutschen Armee.
    Nach der Gründung der Bundeswehr 1955 baute auch die DDR ihre Nationale Volksarmee (NVA) auf. "Offiziell waren alle dafür und Wehrdienstverweigerung gab es nicht", so Neitzel. Doch viele hätten den Wehrdienst in der NVA als Gefängnis erlebt. "Bei aller Kritik, die man auch hatte gegen die NVA, war das Militär in der Gesellschaft aber selbstverständlicher."

    Friedensproteste in den 1970er- und 80er-Jahren

    In den 1970er- und 80er-Jahren regte sich in der Bundesrepublik größerer Widerstand. Weite Teile der Gesellschaft wünschten sich Abrüstung und so protestierten Hunderttausende gegen den NATO-Doppelbeschluss. Der legte fest: Der Westen rüstet ab, wenn auch die Mitglieder des östlichen Militärbündnisses Warschauer Pakt abrüsten. Aber erst mal wurden neue Atomraketen aufgestellt. Die Bedrohung war allgegenwärtig. Die Zahl der Kriegsdienstverweigerer stieg, ihr Image blieb zunächst jedoch schlecht.
    Auch in der DDR gab es eine Friedensbewegung, allerdings nicht so wirkmächtig wie im Westen, wo sich die Anhänger der 68er-Bewegung nicht nur gegen den Vietnamkrieg, sondern auch gegen die Bundeswehr wandten. Es gab Farbbeutelanschläge und Flugblattaktionen gegen die Armee.
    Personen laufen vor einer mit Stacheldraht gesicherten Mauer in bunter Kleidung und mit Transparenten.
    Demonstration gegen den Nato-Doppelbeschluss im Jahr 1986 (picture alliance / Klaus Rose)
    Der Arzt Peter Augst war damals unter den Friedensaktivisten. Dass er einmal in die deutsche Geschichte eingehen würde, ahnte er nicht, als er 1984 an einer Podiumsdiskussion über Krieg und Frieden teilnahm. Dort sagte er einen Satz, der Schlagzeilen machen sollte: „Jeder Soldat ist ein potenzieller Mörder“ - eine Anlehnung an das Zitat des Schriftstellers Kurt Tucholsky, der 1931 geschrieben hatte: „Soldaten sind Mörder“.
    Das Bundesverfassungsgericht entschied in den 1990er-Jahren, dass der Satz von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Die lange gesellschaftliche und politische Debatte darüber ist ein weiterer Beleg für das ambivalente Verhältnis der Deutschen zu ihrem Militär.

    Sinnsuche nach dem Mauerfall

    Als die Berliner Mauer fiel und Deutschland 1990 die Wiedervereinigung feierte, fragte sich mancher, ob man überhaupt noch eine Truppe braucht. In den NVA-Kasernen wurden die Fahnen eingeholt – die DDR-Staatsarmee wurde de facto aufgelöst. Nach Glasnost und Perestroika, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und schließlich der Wiedervereinigung war die Welt eine andere.
    Soldaten stehen vor einem Industriegebäude, vor dem drei NVA-Schützenpanzer stehen.
    Schützenpanzer der NVA werden im Mai 1991 in Neubrandenburg an die Bundeswehr übergeben. (picture-alliance / ZB / Peer Grimm)
    Und die Bundeswehr? „Leben ohne Feindbild, was soll da aus der Bundeswehr in den 90er-Jahren werden, wenn unsere Nachbarn im Osten einen Krieg mit uns nun einmal partout nicht mehr ins politische Kalkül einbeziehen wollen?“, fragte damals der SWR.
    Aus der waffenstarrenden Armee zur Landesverteidigung mit mehr als 2.000 Leopard-Panzern wurde eine Art Entwicklungshilfeorganisation in Uniform. Brunnenbauer oder Sandsackschlepper im Katastrophenfall? Nicht wenige hätten das wohl gern gesehen. Doch es kam anders.

    Umstrittene Kampfeinsätze im Kosovokrieg und in Afghanistan

    1999 schickte der Bundestag deutsche Soldaten in ihren ersten und hochumstrittenen Kampfeinsatz im Ausland - in den Kosovokrieg. Als die Bundeswehr 2001 nach Afghanistan ging, sagte SPD-Verteidigungsminister Peter Struck dazu den legendären Satz: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird heute auch am Hindukusch verteidigt." (Februar 2002)
    Ein deutscher Militärkonvoi mit "Leopard"-Panzern an der Spitze wartet am 12.6.1999 an der mazedonisch-jugoslawischen Grenze auf den Marschbefehl. Auf den Fahrzeugen sitzen Soldaten. Daneben teilweise deutsche Fahnen.
    Ein deutscher Militärkonvoi mit "Leopard"-Panzern an der Spitze wartet am im Juni 1999 an der mazedonischen Grenze auf den Marschbefehl. (picture-alliance / dpa / epa Licovski)
    Kämpfen, töten, sterben – all das aber blieb für die meisten Bundesbürger weit weg und eher theoretisch. Was Soldaten denken und erleben, das habe viele in „Politik und Medien nie ehrlich interessiert“, sagt Militärhistoriker Sönke Neitzel.
    Der Friedensaktivist Peter Augst war und ist nicht grundsätzlich gegen die Bundeswehr. „Wir brauchen Soldaten“, betont er, aber eben keine Wehrpflicht, sondern eine Berufsarmee. Deshalb sei er froh gewesen, als Karl-Theodor zu Guttenberg als Verteidigungsminister der CSU 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt habe.
    Die Landesverteidigung war lange Zeit kein Thema, jedenfalls nicht seit der Wiedervereinigung. „Wir waren sehr oft Moralweltmeister“, meint der Militärhistoriker Sönke Neitzel. „Die Frage, was wir eigentlich machen, wenn andere Potentaten zu kriegerischen Mitteln greifen, diese Frage wurde in Deutschland nie ehrlich gestellt.“ Bis zum Tag der russischen Invasion in der Ukraine.

    Neue Debatte seit dem russischen Angriff auf die Ukraine

    Der Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat die Debatte über die Bundeswehr noch einmal grundlegend verändert. Das zeigen nicht zuletzt die "Zeitenwende"-Rede von Kanzler Olaf Scholz und das 100-Milliarden-Budget für die Armee.
    Nun wird intensiv über Landes- und Bündnisverteidigung, über die Tauglichkeit der Bundeswehr und sogar über die Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert. Der russische Überfall hat vielen gezeigt: Krieg ist möglich, auch wenn man ihn nicht will.

    Sympathie für die Bundeswehr steigt

    Auch Hülya Süzen, Leutnant der Luftwaffe bei der Bundeswehr, nimmt einen Stimmungswechsel in der deutschen Öffentlichkeit wahr. Sie erlebe derzeit viel Wohlwollen und Sympathie. Sie kämpfe aber auch dafür, dass man gegen die Bundeswehr sein kann. „Das ist eben Meinungsfreiheit.“ Und sie sei stolz darauf, Deutschland zu dienen. „Die Bundeswehr wurde in der Demokratie geboren“, betont sie.
    Rassismus erlebe sie dort nicht, sagt die muslimische Frau mit kurdisch-türkischen Wurzeln. Doch laut Verfassungsschutz gab es Fälle von Rechtsextremismus. In Kasernen beispielsweise Symbole, die die Wehrmacht und die Armee des Kaiserreichs verklären oder auch Hakenkreuze auf dem Fußballplatz.
    Von Rechtsrock und Hitlergrüßen wurde berichtet und auch von Chatgruppen, in denen sich Soldaten des Kommando Spezialkräfte über einen Tag X austauschten, an dem die staatliche Ordnung zusammenbrechen soll. 17 Verfassungsfeinde hat die Bundeswehr 2021 entdeckt. Das kratzt weiterhin am Image der Bundeswehr.
    Eine breite Mehrheit hat eine positive Einstellung zur Bundeswehr. Das sagt zumindest eine Umfrage des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften von 2022. Wie erwähnt, wäre im Falle eines militärischen Angriffs auf Deutschland laut Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur gut jeder zehnte Bundesbürger darauf eingestellt, sein Land mit der Waffe in der Hand zu verteidigen - freiwillig würden sich in so einem Fall allerdings lediglich fünf Prozent zum Kriegsdienst melden. Der Blick auf die Bundeswehr bleibt weiter zwiegespalten.
    cwu