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Somalische Piraten
"Das Geschäft ist sehr riskant geworden"

Die Piraterie, der noch vor wenigen Jahren regelmäßig Schiffe und deren Besatzung zum Opfer fielen, spielt in den somalischen Gewässern keine Rolle mehr. Schon 2014 war die Zahl der Angriffe stark rückläufig - auch wegen der massiven Präsenz von Marinestreitkräften. Zwei ehemalige Piraten erzählen, was sie angetrieben hat und warum sie nun wieder lieber an Land bleiben.

Von Bettina Rühl | 26.11.2016
    Ein Bilder US-Marine zeigt, wie im September 2008 Piraten von kleinen Booten aus den Frachter "Faina" entern. Sie verlangten 20 Millionen Dollar Lösegeld.
    Somalische Piraten entern den Frachter "Faina". (dpa / Navy_Visual_News_Service_(NVNS))
    In Mogadischu wird überall gebaut. Tagelöhner bessern Kriegsruinen aus, errichten auf Brachen neue Gebäude. In einem der unzähligen Rohbauten verputzen Dutzende Arbeiter die Wände, verschalen Türöffnungen. Hier könnte auch Hassan sein Geld verdienen. Der 42-Jährige war vier Jahre lang Pirat, kreuzte schwer bewaffnet durch die Gewässer vor der somalischen Küste. Jetzt arbeitet er auf dem Bau. Wo genau, will er aus Sicherheitsgründen nicht sagen. Auch sein Name ist nicht sein richtiger - Anonymität war seine Bedingung für dieses Gespräch.
    "Ich bedaure, was ich getan habe, es war schlecht. Und es hat sich noch nicht einmal gelohnt. Das ganze Geld, das ich bekomme habe, ist weg. Ich bin mit leeren Händen nach Mogadischu zurückgekommen."
    Hassan war einer von Hunderten schwer bewaffneten Männern, die vor der somalischen Küste Frachter und Fischtrawler angriffen. Wenn sie erfolgreich waren und die Schiffe kapern konnten, erpressten ihre Financiers und Hintermänner viele Millionen Dollar an Lösegeld für die Frachter und die Besatzung. Hassan und sein Freund, der jetzt neben ihm sitzt, gehörten zur selben Crew.
    Immer auf der Suche nach Beute
    "Das war ein großes Abenteuer und sehr aufregend, aber auch extrem anstrengend. Unser Financier, der uns mit Waffen, Munition und allem anderen versorgte, erwartete von uns natürlich, dass wir erfolgreich waren. Wir konnten nicht ständig sagen, wir hätten nichts gefunden. Manchmal blieben wir 20 oder 30 Tage ununterbrochen auf dem Meer, immer auf der Suche nach Beute."
    Sein Freund will ebenfalls anonym bleiben, er soll hier Yusuf heißen.
    "Die Gefahr war ein Kitzel, das Adrenalin ein Rausch. Du bist aufgeregt und nervös, bis du nach dem Seil greifst, um an der Bordwand eines Frachters hochzuklettern und das Schiff zu kapern. Sobald deine Hand das Seil oder die Leiter umfasst, ist jeder Gedanke an die Gefahr wie weggeblasen. Du bist wie berauscht vor Glück: Gleich wirst du oben sein, gleich hast du es geschafft."
    Eine EU-Spezialeinheit nimmt vor Somalia mutmaßliche Piraten fest.
    Eine EU-Spezialeinheit nimmt vor Somalia mutmaßliche Piraten fest. (Maxppp/Danièle COSTANTINI/dpa picture alliance)
    Wir sitzen zusammen in einem abgeschiedenen Raum in einem schwer gesicherten Hotel in Mogadischu. Ein Besuch bei den beiden zu Hause war undenkbar, hätte die Neugier der Nachbarn erregt. Das wollen Hassan und Yusuf um jeden Preis vermeiden, schließlich haben sie sich strafbar gemacht.
    "Ich habe mein damaliges Leben genossen. Das viele Geld war wie ein Rausch. Wenn wir ein Schiff gekapert hatten, bekam ich anfangs 15.000 Dollar als meinen Anteil. Mit der Zeit wurde das immer mehr. Beim letzten erfolgreichen Überfall bekam ich 55.000 Dollar. Aber jetzt will ich das alles am liebsten vergessen, sonst frustriert es mich zu sehr, dass ich alles vergeudet habe. Wir waren alle noch unglaublich jung, und plötzlich hatten wir diese märchenhaften Mengen an Geld. Wir haben es verschleudert. Für Partys, unsere Großfamilien, Frauen – solche Sachen. Geld, für das man nicht ehrlich arbeiten musste, ist meist genauso schnell wieder weg, wie man es bekommen hat."
    Leben vom Geld der Verwandten aus Europa
    Heute ist Yusuf ohne jede Beschäftigung. Der 26-Jährige sagt, dass er von den rund 100 Dollar lebt, die Verwandte seiner Frau jeden Monat aus Europa schicken. Beide, Yusuf und Hassan, wohnen mit ihren Frauen und Kindern jeweils in einem einzigen Raum. Schon wenn sie täglich drei Mal zu essen haben, ist das ein kleiner Erfolg. Äußerlich verbergen sie ihre Armut. Beide kommen in sauberen Hemden zum Gespräch, sie könnten auch Bürojobs haben. Das scheint zu Hassan sowieso viel besser zu passen, als sein früheres Leben als schwer bewaffneter Freibeuter. Er wirkt weich und traurig, vielleicht wegen der verlorenen Chancen. Yusuf dagegen gibt sich unberührt und hart. Sein hageres Gesicht bleibt unbeweglich, hinter einer Sonnenbrille verbirgt er seine Augen. Aber auch er sagt, dass nur die Not ihn gezwungen habe, sein Geld mit der Waffe zu verdienen.
    "Bis dahin habe ich zwölf Jahre lang in einem der Flüchtlingslager in Kenia gelebt, ich bin da auch zur Schule gegangen. Aber ich hatte kein Geld, und meine Familie brauchte Unterstützung. Im Sommer 2007 hörte ich, dass man in Haradhere jede Menge Geld verdienen kann. Da habe ich beschlossen, nach Haradhere zu gehen."
    Das war die Hochburg der somalischen Piraten an der Küste im Norden Somalias. Yusufs Freund Hassan lebte damals schon in Haradhere, er verdiente allerdings zunächst als Fischer sein Geld.
    Aus dem Abenteuer wurde ein Krieg auf See
    "Mit der Zeit kamen immer mehr ausländische Trawler und fingen alles weg. Weil es keinen somalischen Staat mehr gab und niemand unsere Fanggründe verteidigte, machten die Ausländer, was sie wollten. Deshalb beschlossen wir, unsere Gewässer selbst zu verteidigen."
    Vielleicht lockte aber auch ihn vor allem die Aussicht auf schnelles Geld. Sein Freund Yusuf, den er von früher kannte, schwärmte ihm nach seinem ersten erfolgreichen Überfall davon vor, wie viele Dollar er dafür bekommen hatte – von da an machte Hassan mit, bewaffnet mit Kalaschnikow und Raketenwerfer. Das Ende kam für beide im Herbst 2011. Ihr Geldgeber starb an einer Krankheit, er war angeblich ein somalischer Geschäftsmann gewesen. Zu der Zeit war aus dem Abenteuer der Piraterie längt ein Krieg auf See geworden: Internationale Marineschiffe patrouillierten vor der Küste zum Schutz der Handelsschiffe.
    "Als unser Geldgeber starb, war das Geschäft sowieso schon sehr schwierig und riskant geworden. Viele unserer Freunde oder Kollegen waren schon gefangen oder getötet worden. Da sind wir ausgestiegen. Ich bin froh um die Erfahrung. Viele Menschen sind frustriert weil sie kein Geld haben und glauben, dass ihnen etwas unglaublich Wichtiges entgeht. Ich habe alles gehabt und weiß jetzt, dass Geld nicht alles ist. Es lohnt sich nicht, sich deswegen verrückt zu machen. Es ist nur Geld, mehr nicht."