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Sommerserie: Gerechtigkeit
Wie gerecht ist das Steuersystem?

Fast jeder macht sie, kaum einer versteht sie: Die Steuererklärung ist für viele ein Ärgernis. Auch weil sie klar macht, wie viel Geld jedes Jahr an den Fiskus geht. Viele Deutsche wünschen sich ein gerechteres Steuersystem. Aber was heißt das eigentlich?

Von Sina Fröhndrich | 18.08.2017
    Ein Rentner ist vertieft in das Ausfüllen seiner Einkommensteuererklärung 2005. Für viele Senioren, nicht erst über 80, ist das Ausfüllen der Steuerformulare eine gewaltige Herausforderung.
    Das deutsche Steuersystem ist so kompliziert, dass viele ihre eigene Steuererklärung nicht mehr verstehen. (picture alliance/ dpa/ Hans Wiedl)
    Ob Betten oder Salz - es gibt viele Dinge, auf die schon mal Abgaben fällig wurden.
    Steuerfachmann Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung mit einem besonders absurden Beispiel: "Die Bartsteuer von Zar Peter dem Großen, mit der er auch die Haarpracht und das Aussehen der Leute verändern wollte."
    "Es gibt gewisse Dinge, die kann man nicht privat organisieren"
    Eine Steuer, die kaum auf Gegenliebe gestoßen sein dürfte. Und die Frage aufwirft, warum erhebt der Staat überhaupt Steuern? Ist es gerecht, seinen Bürgern teils recht viel abzuzwacken? Andreas Peichl beschäftigt sich am Münchner ifo-Institut mit Steuerfragen, er hält die Zwangsabgabe auch ohne konkrete Gegenleistung für richtig und notwendig.
    "Es gibt gewisse Dinge, die kann man nicht privat organisieren, das hat alles sowohl mit innerer und äußerer Sicherheit, also Verteidigung zu tun, aber auch andere Themen wie Bildung, Infrastruktur - das muss letztlich durch den Staat bereitgestellt werden."
    Ungerechte Mehrwertsteuer?
    Wie aber soll der Staat die Steuerlast gerecht verteilen? Es gibt direkte Abgaben, die Lohnsteuer etwa, und indirekte, wie die Mehrwertsteuer. Vor allem letztere ist umstritten. Denn ist es gerecht, wenn die Mehrwertsteuer für alle gleich hoch ist - egal ob Kassierer oder Managerin? Für Wirtschaftswissenschaftler Stefan Bach steht im Mittelpunkt eines gerechten Steuersystems deswegen die Einkommenssteuer.
    "Weil da kann man eben jeden Bürger nach seiner Einkommensleistungsfähigkeit besteuern, man kann das Existenzminium freistellen, vorher kommen ja auch noch alle möglichen Abzüge runter für die Ausgaben, die man für die Einkommenserzielung hat. Und man kann nach oben hin progressiv besteuern."
    Wer einen guten Steuerberater hat, ist im Vorteil
    Das heißt: Wer mehr verdient, zahlt auch mehr Steuern. Allerdings: Was gerecht klingt, muss nicht auch gerecht sein. Und das liegt daran, dass das deutsche Steuersystem sehr kompliziert ist. Der Weg zur Arbeit, Kinder, alles Mögliche wird berücksichtigt. Viele verstehen ihre eigene Steuererklärung nicht mehr. Und genau dort stößt für Andreas Peichl das System an seine Grenzen.
    "Wenn man sich einen guten Steuerberater und vielleicht auch noch einen guten Steueranwalt leisten kann, hat man Möglichkeiten Steuern zu vermeiden, über ganz legale Wege, dass man Konstruktionen schafft um Steuern sparen. Das führt dazu, dass die Gerechtigkeit des Steuersystems ausgehebelt wird. Weil nur gewisse Leute Zugriff darauf haben - das führt dann zu Ungerechtigkeit."
    Ein einfacheres Steuersystem könnte helfen, sagt Peichl. Klarer und transparenter müsste es sein. Aber: "Dass es insgesamt besser wäre, ein einfacheres System zu haben mit weniger Ausnahmeregelungen und mit niedrigeren Steuersätzen, das sieht man immer nicht, wenn letztlich für mich selbst der Freibetrag gekürzt oder gar abgeschafft wird."
    "Steuern so gestalten, dass das Steueraufkommen geringer ausfällt"
    Stefan Bach vom DIW nennt noch einen anderen Punkt. Was gerecht klingt, kann zu einem volkswirtschaftlichen Problem werden.
    "Wenn man die Leute mit hohem Einkommen, die ökonomisch stärker engagiert sind und über Produktionsfaktoren als Manager entscheiden - wenn man die höher besteuert, dann haben die mehr Ausweichreaktionen. Die können ausweichen, dass sie weniger investieren, weniger Arbeitsplätze schaffen oder einfach nur die Steuern so gestalten, dass das Steueraufkommen geringer ausfällt."
    Steuern legal vermeiden, das wollte man auch bei Kapitalerträgen verhindern - und hat einen einheitlichen Satz für Einkünfte wie Dividenden und Zinsen eingeführt: Er liegt bei 25 Prozent. Auch diese Steuer gehört zur Einkommenssteuer. Markus Meinzer vom Netzwerk Steuergerechtigkeit findet diesen fixen Satz ungerecht.
    "Die großen Kapitaleinkünftebezieher sind im Vorteil"
    "Das heißt, dass hier die großen Kapitaleinkünftebezieher im Vorteil sind und geringer besteuert werden als Normalverdiener, die aus Arbeit oder anderen Quellen ihre Einkommen bestreiten."
    Was bei der Einkommenssteuer nicht unterschieden wird: An welchem Ort das Geld erwirtschaftet wird. Das mag fair klingen, aber Andreas Peichl vom ifo-Institut findet auch das ungerecht.
    "Weil wir sehr unterschiedliche Gegebenheiten im Einkommen haben, und jemand, der 50.000 oder 100.000 Euro im Jahr in München verdient, hat ganz andere Kosten als jemand, der das irgendwo in Brandenburg auf dem Land verdient und in Brandenburg sind es ganz andere Konsummöglichkeiten, die man hat."
    Ein für alle gerechtes System kann es eigentlich nicht geben
    Für Andreas Peichl ist deswegen auch klar - ein für alle gerechtes System kann es eigentlich nicht geben. Steuergerechtigkeit kann nur im Ansatz erreicht werden.
    "Ich glaube, dass 99 Prozent der Steuerzahler mit dem System zufrieden sind, wird man nie erreichen, weil man selbst immer gute Gründe finden wird, warum man selbst weniger Steuern zahlen soll."