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Soziale Undurchlässigkeit spiegelt sich an Hochschulen wider

An deutschen Hochschulen studieren meist Kinder von Akademikern. Arbeiterkinder haben es auf dem Campus meist schwerer, weil sie keine Rückendeckung oder Erfahrung aus dem Elternhaus mitbringen. Das Problem fängt aber aber schon früher an: im deutschen Schulsystem.

Von Anja Nehls | 29.06.2013
    Ivan Lemisev studiert im vierten Semester BWL an der Freien Universität Berlin. Mit elf Jahren kam er mit seiner Familie aus Sibirien nach Deutschland. Sein Vater arbeitet in einer Fabrik, seine Mutter ist Zahnarzthelferin. Nur ein Drittel aller Berliner Studierenden haben keine Akademiker als Eltern, wenn noch ein Migrationshintergrund dazu kommt, sind es noch weniger. Damit macht Berlin keine Ausnahme. Aktuelle Studien untermauern das für ganz Deutschland. Für Ivans Eltern ist die Universität eine fremde Welt:

    "Ich glaube, meine Eltern wissen bis jetzt nicht genau, wie das Studium abläuft. Das merkt man in vielen Gesprächen, wenn ich nach Hause komme und plötzlich Montag nicht zur Uni gehe, weil ich da keine Vorlesung habe, sagen sie wieso bist du nicht in der Uni, musst du jetzt nicht lernen, aber ich glaube, ich hatte Glück mit meinen Eltern, dass sie zwar nicht wussten, wie sie mir persönlich helfen können aber sie haben mich immer motiviert und unterstütz bei allem was ich getan habe."

    Auch das ist schon ein Privileg. Viele Kinder aus bildungsfernen Familien bekommen noch nicht mal moralische Rückendeckung von zu Hause und viel zu wenig Informationen von den Schulen.

    "Ich glaube, das liegt an der Unterstützung. Das heißt, wenn man im Umfeld niemanden hat, der sagt, nach dem Abitur musst Du Dich da und da bewerben, dass Du zum Beispiel an diese Uni rankommst, und du musst dich so und so bewerben und dir erzählt was bedeutet eigentlich Bachelor, was bedeutet Master, was muss ich machen, wie läuft eine Prüfung ab."

    Die Probleme beginnen aber nicht erst kurz vor oder nach dem Abitur. Deutschlands Schulsystem ist verglichen mit anderen Industrieländern wenig durchlässig. Auf einen Wechsel von einer niedrigeren in eine höherer Schulart kommen über vier Wechsel in umgekehrter Richtung, also abwärts. Jonas Botta, der im vergangenen Jahr in Berlin Abitur gemacht hat, hat das an seiner eigenen Schule oft erlebt:

    "In meiner Grundschulzeit habe ich erlebt, dass Leute auf Sonderschulen abgeschoben wurden, die sehr stark selektiert wurden von Anfang an. Später im Gymnasium war ich in der Begabtenklasse und da hat ein großer Prozentsatz meiner Mitschüler aus der fünften Klasse nicht mit mir zusammen Abitur gemacht, weil sie nicht geschafft haben an dieser Schule so konstant die Leistungen zu halten und dann lieber freiwillig zurückgetreten sind."

    Für Jonas Botta ist häufig die mangelnde Motivation der Schüler durch die Lehrer die Hauptursache für frühes Scheitern. Margret Rasfeld, Leiterin einer Berliner Gemeinschaftsschule macht zu früher Selektion dafür verantwortlich. In einer Gemeinschaftsschule bestünde diese Gefahr weniger

    "Da gehen eben neun Jahre alle in dieselbe Schule, dieser ganze Stress, wo gebe ich mein Kind hin und so weiter und punktegenau muss ich jetzt 2,1, sonst bin ich ein schlechter Mensch, weil ich nicht aufs Gymnasium komme und alle die Verrücktheiten die wir machen und mit denen wir Kinder beschämen und beschädigen, die kommen dann einfach nicht vor."

    Das bestätigt die Bildungsforscherin Prof Jutta Allmendinger. Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Sie hält das föderale Schulsystem genauso wie die Verkürzung der Schulzeit für wenig zielführend:

    "Ich meine auch, dass die Tendenzen die wir heute haben, dass wir die Bildungszeit verkürzen in die vollkommen falsche Richtung gehen. Wir brauchen eher ein längeres gemeinsames Lernen. Länger und gemeinsam sind die zwei Stichworte."

    Denn hoch qualifizierte Studierende haben in Deutschland immer noch die vergleichsweise besten Jobchancen und werden von der Wirtschaft dringend gesucht. Wo Ivan Lemisev mit einem Abschluss in Betriebswirtschaft einmal arbeiten will, weiß er noch nicht, dass er in Deutschland eine Zukunft hat, ist aber so gut wie sicher.