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Sozialisten in Portugal
Spagat nach dem Korruptionsskandal

Die Festnahme des langjährigen Premierministers Sócrates wird für die sozialistische Partei zur Gretchenfrage, denn die Sozialisten müssen Abstand nehmen. Und das, ohne die vielen Sócrates-Anhänger, die an eine politische Verschwörung gegen den ehemaligen Regierungschef glauben, zu vergraulen.

Von Tilo Wagner |
    In einer noblen Wohngegend in der Lissabonner Innenstadt steht ein luxuriöser Apartmentkomplex. Die Mutter des ehemaligen portugiesischen Premierministers José Sócrates hat hier eine Wohnung besessen. Der Verkauf der Immobilie an einen befreundeten Geschäftsmann soll laut Zeitungsberichten Teil eines ausgeklügelten Systems gewesen sein, mit dem José Sócrates sich über Jahre auf illegale Weise finanziert haben soll. Die Passanten auf der Straße wundern sich nicht.
    Auf der richtigen Straßenseite sei Sócrates noch nie gelaufen, sagt ein Student. Und ein Rentner lässt seinen Frust los:Ihm habe man die Altersversorgung gekürzt, sagt er, nur damit die Politiker alles in die eigene Tasche stecken können. Eine Frau im schicken Hosenanzug macht sich andere Gedanken: Das werfe im Ausland wieder ein schlechtes Bild auf Portugal, sagt sie. Und fügt hinzu, dass aber bei Weitem nicht alle Politiker korrupt seien.
    José Sócrates wurde Freitagnacht am Flughafen in Lissabon verhaftet und vom zuständigen Richter mehrmals verhört. Die Medien überschlagen sich mit Spekulationen. Demnach soll Sócrates ein Vermögen von über 20 Millionen Euro beiseitegeschafft haben. Außerdem habe er sich von seinem Fahrer regelmäßig Zehntausende von Euro in Bargeld bringen lassen, von Lissabon in seine Wahlheimat Paris.
    Auch wenn diese Vorwürfe noch nicht offiziell bestätigt sind: Für viele Menschen in Portugal scheint nun die Zeit der Abrechnung gekommen zu sein. Das läge auch an der Person von José Sócrates, sagt der Politologe Pedro Adão e Silva:
    "Sócrates hat schon immer polarisiert. Und deshalb gibt es in Portugal praktisch niemanden, dem Sócrates gleichgültig ist. Entweder sie hassen ihn, oder sie lieben ihn. Und wenn das jetzt noch zu einem juristischen Fall wird, dann wird alles noch viel komplexer."
    Die Bilder der Festnahme flimmern seit Tagen
    Die Aufnahmen vom Ex-Regierungschef im Polizeiauto flimmern seit Tagen ununterbrochen über die Bildschirme. Und während über die juristischen Konsequenzen nur spekuliert werden kann, ist klar, dass die Festnahme von Sócrates insbesondere seiner sozialistischen Partei am meisten schadet. Noch am Wochenende haben die Sozialisten António Costa zu ihrem neuen Generalsekretär gewählt. António Costa war von 2005 bis 2007 Innenminister in Sócrates' erster Regierung. Nun, als Generalsekretär, und angesichts des Skandals, verzichtete er auf eine euphorische Rede. Stattdessen war er um Schadensbegrenzung bemüht:
    "Wir müssen gut unterscheiden zwischen unseren persönlichen Gefühlen, die diese Nachricht in uns auslöst, und der Mission unserer sozialistischen Partei: Wir müssen Oppositions-Arbeit leisten und eine politische Alternative aufbauen. Darauf müssen wir uns konzentrieren. Aber eines ist trotzdem klar: Wir Sozialisten übernehmen nicht die Praktiken der Stalinisten, die ihre Leute aus den Fotografien rausradiert haben."
    Costas besänftigende Botschaft war vor allem an diejenigen Führungspersönlichkeiten der Sozialisten gerichtet, die hinter dem Fall Sócrates bereits eine Verschwörung vermuteten. Die Europaparlamentarierin Edite Estrela hatte auf Twitter ihren Unmut freien Lauf gelassen und angedeutet, dass der Fall Sócrates der konservativen Regierung wie gelegen kommen würde, um von einem weiteren Korruptionsskandal abzulenken, der vor 10 Tagen zur Festnahme von hochrangigen Beamten und dem Rücktritt des Innenministers geführt hatte.
    Vorsprung ausgebaut
    Die Sozialisten haben in Umfragen zuletzt ihren Vorsprung vor den Regierungsparteien ausbauen können. Doch sollte es zu einem Prozess gegen José Sócrates kommen, könnte der angepeilte Sieg bei den Parlamentswahlen im Herbst 2015 in Gefahr sein. Der Politologe Adão e Silva glaubt, dass die Partei alles daran setzen werde, den Namen Sócrates so wenig wie möglich mit dem eigenen politischen Projekt in Verbindung zu bringen. Das habe jedoch auch Auswirkungen auf eine interne Debatte über die Schuld der sozialistischen Regierung an der Staatsschuldenkrise:
    "Ein großer Fehler der Sozialisten war, dass sie nicht über das Erbe der letzten Jahre der Regierung Sócrates und die Folgen für Portugal reflektiert haben. Sie haben das Thema einfach totgeschwiegen. Und damit haben sie den Gegnern von Sócrates Platz gelassen, um ihm auf überzogene Art und Weise die Schuld an der Krise der letzten Jahre zu geben. Diese innere politische Debatte über Sócrates ist notwendig, aber ich glaube, dass es jetzt unmöglich geworden ist, sie zu führen."