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Umnutzen und neu denken - Konzepte für bezahlbares Wohnen

In Deutschland fehlen hunderttausende Wohnungen, vor allem im bezahlbaren Segment. Deshalb möchte die Ampelkoalition das Angebot erhöhen und 400.000 neue Wohnungen bauen – pro Jahr. Es kann aber auch sinnvoll und attraktiv sein, Bestandsimmobilien umzunutzen. Gerade in den Städten, wo es kaum Bauland gibt.

Von Vivien Leue | 03.04.2022
Frühere Stabsgebäude mit Sitz des Kommandanten auf dem ehemaligen Kasernengelände Krampnitz. In dem etwa 140 Hektar groÃen Gebiet soll unter Federführung von ProPotsdam ein Wohnquartier für bis zu 10.000 Menschen gebaut werden.
Aus Bestandsimmobilien Wohnraum zu schaffen, kann aus ökologischer Sicht attraktiver sein (picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Soeren Stache)
Es ist ein Samstag in Düsseldorf. Anja und Peter Schramm sitzen in einem Café, nicht weit entfernt von ihrer Wohnung im beliebten Stadtteil Derendorf. „Die ist halt relativ teuer und wenn es auf die Rente zugeht, bräuchte man etwas Günstigeres, definitiv“, sagt Anja Schramm, selbständige Designerin. Sie ist 55 Jahre alt, ihr Mann 57 – erst vor wenigen Jahren sind sie vom Land in die Stadt gezogen.
„Wir hatten ein ganz großes Haus. Die Kinder waren weg. Keiner hatte Interesse daran. Unsere Tochter wohnt auch in Düsseldorf, unser Sohn wohnt in Bonn. Und was sollen wir da mit dem großen Garten? 1.000 Quadratmeter. Das schaffe ich dann später auch nicht mehr, mit Hecke, Bäume schneiden.“

Bezahlbarer Wohnraum ist rar

Sie wussten, dass das Wohnen in der Stadt – insbesondere in einer beliebten Metropole wie Düsseldorf – teuer ist. Aber dass es so schwierig werden würde, bezahlbaren Wohnraum zu finden, das hat sie doch überrascht: „Man verhökert ja letztendlich den Wohnraum.“ - „Die machen ja aus einer großen Wohnung zwei, da verdient man halt mehr dran. Es gibt ja auch mehr Singles als Familien.“
Es sei klar, dass sie sich ihre jetzige Wohnung nur für ein paar Jahre leisten können. Das Ehepaar zahlt gut 11 Euro Netto-Kaltmiete pro Quadratmeter. Spätestens in der Rente brauchen sie etwas Günstigeres, sagt Anja Schramm. „Ja, seit circa einem Jahr jetzt suchen wir eine Wohnung, die altersgerecht ist. Also wir denken jetzt schon an die Rente, weil man da weniger zur Verfügung hat, dass es dann immer noch passt.“
Skyline der neuen Gebäude, entlang de Bahnstrecke zwischen dem Düsseldorfer Hauptbahnhof und Duisburg auf ehemaligem Bahn- und Gewerbegelände
Auf diesem ehemaligen Gelände der Deutschen Bahn in Düsseldorf ist ein Stadtviertel entstanden (picture alliance / dpa | Jochen Tack)
Mit ihren Suchkriterien sei aktuell allerdings nichts zu finden: „Aufzug auf jeden Fall definitiv. Altersentsprechend halt. Und wir bräuchten drei Zimmer. Weil wir haben noch ein Büro, wir sind beide noch selbständig nebenbei.“

Laut Mieterbund fehlen 1,5 Millionen Wohnungen

So wie dem Ehepaar Schramm geht es hunderttausenden Menschen in Deutschland. Im ganzen Land fehlen laut Deutschem Mieterbund etwa 1,5 Millionen Wohnungen, vor allem in den Ballungszentren. Dabei geht es nicht nur um öffentlich geförderten Wohnraum, sogenannte Sozialwohnungen, für rund sieben Euro den Quadratmeter.
Auch im preisgedämpften Segment bis 10 Euro ist das Angebot vielerorts zu niedrig, sagt der Vorsitzende des Deutschen Mieterbundes in NRW, Hans-Jochem Witzke: „Mehr als 30 Prozent eines kleinen und mittleren Einkommens sollte für die Kaltmiete und die Betriebskosten und Heizung nicht aufgewandt werden müssen.“
Witzke rechnet vor: Schon bei einer Nettokaltmiete von sieben Euro können die Wohnkosten schnell das Budget einer Familie übersteigen: „Rechnen sie mal Heizkosten und Nebenkosten von drei Euro pro Quadratmeter dazu, dann brauchen Sie ja schon 800 Euro für eine 80 Quadratmeter-Wohnung. Und wenn das nicht mehr als 30 Prozent sein sollen, dann muss auch das Einkommen, das der Familie zur Verfügung steht, eben bei zweieinhalb-tausend Euro liegen. Und das ist ja auch in vielen Haushalten nicht der Fall.“

Steigende Energiekosten verschärfen das Problem

Explodierende Energiekosten und die Auswirkungen von zwei Jahren Corona-Pandemie verschärfen das Problem weiter. Bundesweit und parteiübergreifend hat die Politik die Herausforderungen erkannt. Horst Seehofer sprach, damals noch in seiner Funktion als Bundesinnenminister, davon, dass das Wohnen die Soziale Frage unserer Zeit sei. Auch Olaf Scholz und die neue Ampelregierung wollen die Wohnungsnot angehen. Scholz‘ Mantra: Bauen, bauen, bauen. Im ersten Regierungsjahr sollen 400.000 neue Wohnungen entstehen, davon 100.000 Sozialwohnungen. So steht es im Koalitionsvertrag.
Stadtverkehr auf der Autobahn A40, Essen, Nordrhein-Westfalen, Deutschland
Die meisten Städte sind bereits dicht bebaut - Platz für Neubauten gibt es kaum (picture alliance / dpa / Rupert Oberhäuser)
Nur: Wo sollen diese Wohnungen hin? Viele Städte sind bereits dicht bebaut, die Versiegelung von noch vorhanden Grünflächen in Zeiten des Klimanotstands ist kaum möglich. Bauland ist rar. Es braucht neue, auch ungewöhnliche Ansätze.
„Ja, das Gebäude, wir haben uns ja lange drum bemüht. Das Gebäude hat ja sieben Jahre leer gestanden.“ Klaus Franken läuft von der Grafenberger Allee im Osten Düsseldorfs einen kleinen Fußweg hinein in ein modernes, grünes Wohnquartier – den Living Circle. Der Name ist Programm: Die Gebäude sind halbkreisförmig um runde Innenhöfe angeordnet. „Wir fanden die Lage natürlich spannend. Wir sind hier direkt an der U-Bahn-Linie. Das heißt, das ist mitten in der Stadt und für Wohnen genau die Stelle, die man braucht.“

Grünes Wohnquartier auf ehemaligem Thyssen-Gelände

Der Geschäftsführer der privatwirtschaftlichen Catella Project Management GmbH bleibt in einem der drei großen, runden Innenhöfe stehen und zeigt auf die halbkreisförmigen Gebäude um ihn herum: vier bis acht Stockwerke hoch, helle Fassaden, große Balkone aus Edelstahl, vor dem Erdgeschoss kleine Gärten. 340 Zwei- bis Fünf-Zimmerwohnungen hat das Quartier.
Kaum zu glauben, dass diese Gebäude einmal das Thyssen-Trade-Center bildeten, einen großen Bürokomplex aus verspiegelten Scheiben und dunklem Granit. 1.000 Menschen arbeiteten hier, bis Thyssen mit Krupp fusionierte, nach Essen zog und den Standort 2009 aufgab.
„Es ist das größte Umwandlungs-Projekt von Büro zu Wohnen. Insofern ist das nach wie vor ein Unikat. Hat ja ein paar Preise abgeräumt. Man sieht eben auch diese Form, diese Rundformen. Das ist dann eben auch ein sehr eigenständiger Charakter.“ Der Immobilien-Manager zeigt sich sichtlich stolz, gibt aber auch zu, dass er sich das Wohngebiet hier ursprünglich ganz anders vorgestellt hat: „Offen gestanden haben wir es eigentlich abreißen wollen.“

Umbau einer Büroimmobilie aus ökologischer Sicht oft attraktiv

Zu teuer, zu kompliziert: Büroimmobilien in Wohngebäude zu verwandeln, das galt lange als unrentabel. Lieber neu bauen, war die Devise. Aber ein Umbau bringt auch Vorteile. Das Baurecht besteht schon, es muss nur geändert werden. Langwierige Bürgerbeteiligungen oder Architekturwettbewerbe, wie sie bei großen Projekten üblich sind, fallen weg. Und wenn es gut läuft, ist ein Umbau auch noch aus ökologischer Sicht attraktiver.
Verschiedene Krane sind auf der Baustelle des ehemaligen Technischen Rathauses der Stadt Leipzig im Einsatz.
Umnutzungen von Immobilien hat auch den Vorteil, dass man eventuell schneller anfangen kann, zu bauen (picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Waltraud Grubitzsch)
„Ich sage mal die graue Energie, die da ist, der ganze Beton, der muss nicht abgerissen werden. Er muss nicht mehr neu gebaut werden. Das heißt, da habe ich in Sachen CO2-Bilanz natürlich einen ganz großen Fortschritt.“ Allerdings bleiben Umnutzungen eine Herausforderung, sagt Klaus Franken. „Der Prozess ist sehr kompliziert, weil ich immer Überraschungseffekte habe. Wenn ich eine Wand wegnehme, weiß ich ja nicht, was ich dahinter vorfinde. Deswegen ist der Neubau einfacher zu kalkulieren, vorhersehbarer.“

Mieten sind bezahlbar

Viele Bewohner des Living Circle sind allerdings froh, dass sie hier nicht in einen normalen Neubau, sondern in eine Immobilie mit Charakter eingezogen sind - und das auch noch zu bezahlbaren Mieten. Christine Schulze zum Beispiel. Die Rentnerin wohnt seit etwa einem Jahr in einer Zwei-Zimmer-Erdgeschosswohnung mit Garten: „Es ist sehr schön, dass es so geräumig, so groß ist. Wird auch von allen bewundert, die reinkommen.“
Am wichtigsten sei der tolle Ausblick – auf das Grün und die halbrunden Nachbargebäude. „Nette Nachbarn habe ich, junge und alte. Und ich sage, wenn man einmal über den Hof läuft, ist man durch die halbe Welt. Es leben Menschen aus aller Herren Länder hier, und es ist ein Frieden, es ist Ruhe.“ Das Quartier ist durchmischt, dafür sorgen die unterschiedlichen Wohnungsgrößen, wie auch die geforderten zwanzig Prozent preisgedämpftes Wohnen, zu 8,50 Euro Miete pro Quadratmeter. Zehn Jahre lang gilt diese Preisbindung. „Ja, also ich fühle mich sehr wohl.“
Auch die parteilose Düsseldorfer Baudezernentin Cornelia Zuschke ist zufrieden: „Ich bewundere die Architekten und auch die Betreiber, die Entwickler, die das hingekriegt haben. Denn heute, viel mehr als damals, will man erhalten.“ Wenn man bei dem Bauboom, der nötig und politisch gewollt ist, die Bewohner und Bewohnerinnen der Städte nicht verlieren will, müsse man behutsam vorgehen, sagt die Baudezernentin. Wohnviertel sollten ihr Gesicht, ihren Charakter nicht allzu sehr verändern. Umnutzungen böten hier eine große Chance. Zugleich entstünde viel schneller neuer Wohnraum, als bei der kompletten Neuplanung eines Quartiers.

Trend zum Homeoffice beschleunigt Umnutzungsprojekte

„Wir haben die einen oder anderen Investoren, die sich ursprünglich nach dem Erwerb einer Immobilie mit der Idee Abbruch und Neubau getragen hatten, die aber jetzt tatsächlich überlegen, ob nicht zumindest Teilumnutzung möglich ist. Und es hat genau auch was damit zu tun, dass man damit auch Nachbarschaften befrieden kann, dass man vielleicht auch schneller zu Baurecht kommt oder in Etappen dann seine Maßnahmen entwickeln kann.“
In den kommenden Jahren könnten deutschlandweit mehr als 200.000 Wohnungen in den Innenstädten aus ehemaligen Büros entstehen, heißt es in einer Studie des „Verbändebündnis Wohneigentum“. Der Trend zum Homeoffice, der Druck auf dem Wohnungsmarkt – all das beschleunigt diesen Prozess.
Leerstehendes Bürogebäude
In den kommenden Jahren könnten deutschlandweit mehr als 200.000 Wohnungen in den Innenstädten aus ehemaligen Büros entstehen, heißt es in einer Studie des „Verbändebündnis Wohneigentum“. (picture alliance / imageBROKER)
Dietmar Walberg, der Leiter des Wohnungs- und Bauforschungs-Instituts ARGE in Kiel, das an der Studie beteiligt war, zeigte sich auf dem jüngsten Wohnungsbau-Tag in Berlin überzeugt, dass es hierzulande mehr solcher Umnutzungsprojekte geben sollte:
„Da meinen wir, muss man auch künftig zu Neubau eben auch einen Schwerpunkt drin sehen.“ Der Ingenieur und Architekt rechnet vor: „Wir haben ein zunehmendes Problem, eben auch Standorte zu finden, wo man noch günstig bauen kann. Und das Ganze verdichtet sich jetzt in den Städten im Geschosswohnungsbau auf ein Problem, dass wir summa summarum Herstellkosten von 3.400 Euro plus Grundstückskosten haben, wir bauen im Moment für 4.200 Euro.“
Eine Miete unter zehn Euro pro Quadratmeter sei so nicht möglich. Rein rechnerisch brauche es für solche Baukosten Mieten von 13 Euro oder mehr „damit der Investor, das Wohnungsunternehmen, die Genossenschaft, wer auch immer dort baut, nicht pleitegeht. Und das können sich fast 80 Prozent der Haushalte in Deutschland einfach nicht mehr leisten.“
Deshalb empfiehlt er, stärker auf Bestandsimmobilien zu schauen: „Was auffällt, ist, dass ein erhebliches Potenzial in der Umnutzung besteht da, wo wir Gebäude, die Nichtwohn-gebäude sind, zur Wohnung umnutzen. Da kann es sein, dass das nur ein Drittel von Neubaukosten kostet.“ Und das wirke sich direkt auf die Miete aus.

Energetische Sanierungen bei Bestandsimmobilien teuer

Eine weitere Möglichkeit, Mieten zu senken, ist es, die Nebenkosten niedrig zu halten. Im Bestand sind energetische Sanierungen meist aufwändig und teuer – und werden zudem teilweise auf die Miete umgelegt. Wie sieht es im Neubau aus?
Ortswechsel. Im Duisburger Norden, im Stadtteil Walsum, entsteht gerade die erste Klimaschutz-Siedlung der Stadt – auf dem Gelände einer ehemaligen Schule. Das Schulgebäude wurde abgerissen – eine Umnutzung war hier nicht möglich. Aber immerhin konnte das Gelände vom städtischen Immobilienunternehmen Gebag genutzt werden. Gebag-Chef Bernd Wortmeyer:
„Das sind 100 neu gebaute Wohnungen, die sind teilweise noch im Bau, teilweise schon frisch bezogen. Die sind unter Berücksichtigung von ökologischen Anforderungen errichtet, ökologische Baustoffe natürlich… so konzipiert, dass sie möglichst wenig Energie verbrauchen. Wir haben Mieterstrom, wir haben Carsharing-Modelle, Bike-Sharing Modelle, auch für E-Bikes. Begrünte Dächer ja natürlich auch. Die tragen dazu bei, das Klima zu schonen, auch das unmittelbare Raumklima zu schonen.“

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Und die Kosten zu senken. Wenig Energie bedeutet auch weniger Heizkosten und wer Carsharing nutzt, kann möglicherweise auf das eigene Auto verzichten. Hinzu kommen hier auch noch niedrige Mietpreise: „Wir haben öffentlich geförderten Wohnungsbau und freifinanzierten Wohnungsbau, ungefähr halbe-halbe. Der öffentlich geförderte Wohnungsbau kostet 5,55 Euro und der freifinanzierte Wohnungsbau kostet acht Euro. Das ist also immer noch – für den hochwertigen Standard, den wir hier verbaut haben – ist das immer noch eine ausgesprochen geringe, günstige Miete.“
Diese Preise sind aber nur möglich, weil das städtische Wohnungsbauunternehmen mit der Klimaschutz-Siedlung keinen Gewinn erwirtschaften muss – räumt Gebag-Chef Wortmeyer ein. Die Rendite gehe bei solchen Projekten gen Null. Und: „Hier liegt die Bauplanung schon ein paar Jahre zurück. Da hatte man noch andere Baupreise. Und wir hatten tatsächlich auch noch andere Klimaanforderungen. In Zukunft werden wir an vielen Stellschrauben drehen müssen, wenn wir immer noch bezahlbaren Wohnraum klimafreundlich schaffen wollen.“

Wohnungsnot auch Wahlkampfthema in NRW

Die Anforderungen an klimafreundliches Bauen könnten etwas gesenkt, die staatlichen Förderungen erhöht werden. In der Landespolitik stößt Wortmeyer damit aktuell auf besonders offene Ohren. Im Mai wird in Nordrhein-Westfalen ein neuer Landtag gewählt – alle großen Parteien haben versprochen, das Thema Wohnungsnot im Land noch effektiver anzugehen.
Und so gibt der städtische Immobilienmanager seine Ideen auch den prominenten Besuchern mit auf den Weg, die sich die Siedlung an diesem Tag anschauen. Bundesbauministerin Klara Geywitz und ihr Parteikollege, NRW-SPD-Chef Thomas Kutschaty, sind zu Gast:
„Wir erhöhen deutlich die Mittel für den sozialen Wohnungsbau. Die werden dann von ganz unterschiedlichen Partnern in den Kommunen realisiert. Das sind teilweise private, genossenschaftliche, teilweise auch kleine Träger, die das machen.“
„Wir müssen als Land jetzt auch eigene Mittel in die Hand nehmen, um das mitzufinanzieren. Denn es geht darum, dass wir jetzt mehr Wohnungen bauen, vor allem bezahlbaren Wohnraum bauen. Das aber auch in einer hohen, klimafreundlichen Qualität. Das ist die ganz große Herausforderung.“
Wenn das für private Immobilienunternehmen finanziell nicht zu stemmen sei, dann müsse über die Gründung einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft nachgedacht werden oder es müssten neue Förderungen – und Anforderungen – auf den Weg gebracht werden.
„Eine große Hürde ist die Verfügbarkeit von Bauflächen. In den Städten, wo gerade die größte Wohnungsnot herrscht, sind auch die wenigsten Bauflächen vorhanden. Hier müssen wir deutlich kreativer werden. Man müsste in die Höhe gehen. Mich ärgert immer, dass die Supermärkte ihre Discounter immer nur eingeschossig bauen. Aber die drei Etagen Luft da oben drüber nicht genutzt werden, um da Wohnflächen zu bauen. Es ist eine gemeinsame Aufgabe mit den Kommunen, da im Bebauungsplanrecht ranzugehen, zu sagen: Wir haben so viele kreative Lösungsmöglichkeiten.“
Bundesbauministerin Klara Geywitz will außerdem mit serieller Fertigung von Wohnmodulen den Bau von zusätzlichem Wohnraum beschleunigen. Module könnten anderswo gefertigt und zusammengebaut werden. Sie würden vor Ort dann nur noch auf eine Bodenplatte gesetzt.

Kreativere Ideen für Bestandsimmobilien

Die nordrhein-westfälische Bauministerin Ina Scharrenbach, CDU, zeigt sich offen für neue Ideen. Um Mietpreise kurzfristig zu senken, müsse man an den Bestand ran, sagt sie: „Wir werden das Modellprojekt Ankauf von Belegungsrechten, wo wir bisher nur unterwegs waren in Düsseldorf, Köln und Münster, ausweiten“, kündigt sie im Februar an. Beim Ankauf von Belegungsrechten zahlen Kommunen privaten Vermietern eine Art Zuschuss pro Quadratmeter, wenn sie ihre Wohnung für fünf bis 15 Jahre preisgebunden, also günstiger vermieten. In Düsseldorf erhalten Vermieter dafür zum Beispiel drei Euro pro Quadratmeter.
Das kann sich für beide Seiten rechnen, wenn so der Bestand an Sozialwohnungen in einer Stadt merklich steigt: „Da ist zum Beispiel auch Essen bei. Wir sind in einer sehr guten Gesprächssituation mit einem Großanbieter, der gesagt hat, er stellt uns zur Verfügung 1.500 Wohnungen, wo wir Belegungsrechte ankaufen können. Also Sie merken, da ist Dynamik in dem gesamten Geschäft drin.“
Zusätzlich zu diesen Veränderungen im Bestand, braucht es weiterhin neuen Wohnraum, zusätzliche Quadratmeter. Nur so kann der anhaltende Nachfragedruck im Wohnungsmarkt auf Dauer gelockert werden. Das Problem: Verfügbare Bauflächen gibt es häufig nur außerhalb der beliebten Metropolen. Wie lassen sich solche Gebiete dennoch attraktiv vermarkten? 
In Essen sitzt jemand, der es weiß: Henk Brockmeyer, Geschäftsführer der Bahnflächenentwicklungsgesellschaft Nordrhein-Westfalen, kurz BEG: „Wir sind bereits seit 2003 damit befasst, technisch verfügbare Liegenschaften der Deutschen Bahn AG zu entwickeln und eben einer sinnvollen städtebaulichen Nachnutzung zuzuführen.“

Ehemalige Bahn-Gelände für Wohnbebeauung nutzen

Die BEG gehört je zur Hälfte der Deutschen Bahn und dem Land NRW. Sie identifiziert ehemalige Bahn-Gelände, die sich für Wohnbebauung anbieten und einen oft unschlagbaren Vorteil haben: Sie sind bereits ans Verkehrsnetz angeschlossen. So gebe es auch im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW durchaus noch ungenutztes Wohnungsbau-Potenzial, sagt Brockmeyer.
Vor ein paar Jahren rief das nordrhein-westfälische Bauministerium mehrere Programme ins Leben, um dieses Potenzial zu heben. Eines davon heißt „Bauland an der Schiene“. „Wie der Name schon sagt, nehmen wir vor allem die Haltepunkte der Schiene ins Visier und schauen in einem Umkreis von bis zu drei Kilometern: Welche Baulandpotenziale bestehen eigentlich an den heutigen ÖPNV-Achsen, also an den Verknüpfungspunkten?
Also an Haltestellen des Öffentlichen Nahverkehrs, insbesondere der Bahn. Mit dieser Frage haben sich das Ministerium und die BEG an mehr als 250 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen gewandt und sie eingeladen, an entsprechenden Entwicklungsgesprächen teilzunehmen – in großer Runde: „Wir haben gleich die Regionalplanung an den Tisch geholt, wir haben den Nahverkehrsverband an den Tisch geholt. Wir haben die Deutsche Bahn mit an den Tisch genommen und eben auch Vertreter aus dem Bauministerium, dem Umweltministerium und dem Verkehrsministerium, um hier schon sicherzustellen, dass wir die richtigen Flächen in den Fokus nehmen.“

Flächen-Entwicklung ist kompliziert

Denn Flächen-Entwicklung ist kompliziert. Was nützt ein großes Neubaugebiet ohne Verkehrs-Anbindung, was ein Bahn-Haltepunkt, an dem nur alle zwei Stunden eine Bimmelbahn hält? Industrie-Brachen müssen eventuell von Altlasten befreit, landwirtschaftliche Flächen in Bauland umgewandelt werden.  „An der Stelle sage ich immer gerne, dass Flächenentwicklung nicht die Sprint-, sondern eine Marathon-Distanz ist.“
Dennoch: 160 Orte in NRW wurden in den Gesprächen identifiziert, „wo wir jetzt dabei sind, gemeinsam mit externen Planungsbüros und den Kommunen vor Ort zu schauen, welche Potentiale haben denn die Standorte und was lässt sich daraus heben?“ Im Süden Duisburgs, nicht weit entfernt von Düsseldorf, entsteht so aktuell ein komplett neues Viertel: 3.000 Wohneinheiten auf dem Gelände eines alten Rangier-Bahnhofs.
Für Ehepaar Schramm wäre Duisburg etwas zu weit entfernt. Aber ganz in der Nähe könnte bald etwas Neues entstehen: „Hier im alten Telekom-Gebäude, da kommt ein Riesen Wohnkomplex hin. Ende nächsten Jahres soll das fertig werden, mit 342 Wohnungen, Tiefgarage, Kindertagesstätte.“ Das wäre was für sie, sagt Anja Schramm. In Düsseldorf müssen mittlerweile mindestens 40 Prozent der neu gebauten Wohnungen zumindest preisgedämpft sein.  „Man kann ja auch mal Glück haben, ne?“
Es braucht wohl noch viele solcher Um- oder Neubauten, bis es in deutschen Städten nicht mehr vom Glück abhängt, eine bezahlbare Wohnung zu bekommen. Der Weg ist zwar eingeschlagen, aber die Strecke ist lang.