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Spanische Protestpartei
Machtkampf droht Podemos zu spalten

Drittstärkste Fraktion im Parlament - eigentlich ein großer Erfolg für die junge spanische Podemos-Partei. Doch statt die wechselnden Mehrheiten im Parlament auszunutzen und mitzugestalten, beschäftigt sich Podemos vor allem mit sich selbst. Ein offener Richtungsstreit ist entbrannt, der immer härter geführt wird.

Von Hans-Günter Kellner | 04.01.2017
    Podemos-Chef Pablo Iglesias an einem Rednerpult
    Podemos-Chef Pablo Iglesias (imago stock&people/Cordon Press. 67761784)
    Im Wahlkampf standen sie noch alle zusammen: "Sí se puede" riefen die Mitglieder von Podemos, die spanische Version von "Yes we can". Jetzt, knapp sechs Wochen vor dem Parteitag von Podemos, ist ein offener Richtungsstreit entbrannt. Parteichef Pablo Iglesias will die Partei stärker unter seine Kontrolle bringen. Dagegen gibt es Widerstand. Doch Parteisprecherin Irene Montero warnt die Kritiker im spanischen Rundfunk:
    "Das geschieht vielleicht gar nicht mit Absicht. Aber seit einigen Wochen erleben wir eine sehr angespannte Debatte, die nicht nur Podemos schwächt, sondern auch Pablo. Pablo ist heute nun mal der wichtigste Vertreter der Träume, die Podemos repräsentiert."
    Pablo Iglesias hatte Sympathisanten und Mitgliedern einen Antrag zur Urwahl vorgestellt. Sein Plan: Beim Parteitag im Februar soll der Kandidat mit den meisten Stimmen einen Bonus bei der Besetzung des Parteivorstands bekommen. Iglesias' Macht würde damit noch größer. Der Antrag wurde mit nur knapper Mehrheit angenommen, seither herrscht Aufruhr. José Manuel López, bislang Sprecher der Fraktion im Madrider Regionalparlament, erklärt:
    "Wir haben uns früher mehr auf die Gesellschaft konzentriert, als auf uns. Die traditionellen Parteien verstehen sich als rechts oder links. Wir sehen die Konfliktlinie aber eher zwischen oben und unten. Darum ist unsere Vielfalt so wichtig. Mit diesem Pluralismus muss man umgehen können. Ein alter Kommunist würde sagen, wer eine Stimme mehr hat, als der andere, gewinnt. Ich finde hingegen, bei uns müssen alle Strömungen ihren Platz haben."
    Kritik an Parteichef Iglesias wächst
    Parteichef Iglesias sei unzugänglich geworden, sagen immer mehr Mitglieder, er habe sich abgekapselt. Kritiker wie López werden dagegen wie Dissidenten behandelt. Er wurde inzwischen als Sprecher der Fraktion im Madrider Regionalparlament ersetzt und auf die letzte Abgeordnetenreihe verwiesen.
    "Wer gewinnt, bekommt alles. Es ist ein sehr personenbezogenes Modell. Mir wird gesagt: Du hast hier keinen Platz mehr. Ja, mag sein, aber ich bin nun mal hier und werde meine Standpunkte weiter vertreten. Das ist die Grundessenz unseres politischen Projekts. Der Ruf nach Einheit wird nicht funktionieren, die Leute werden sich nicht in Reih und Glied aufstellen."
    Wandelt sich Podemos zur Regierungpartei?
    Denn Podemos wollte ja einmal ein Gegenentwurf zu den klassischen Parteien sein, transparent, basisdemokratisch und offen für Diskussionen ganz gegensätzlicher Standpunkte. Schließlich ist sie die politische Erbin der Protestbewegung der Empörten, die vor fünf Jahren Menschen ganz unterschiedlicher ideologischer Herkunft dazu brachten, auf den Plätzen offen miteinander zu diskutieren. Dank dieser Offenheit sei Podemos aus dem Stand drittstärkste Kraft mit 21 Prozent der Stimmen geworden, meint López:
    "Wenn du nur Opposition sein willst, ist deine Wahrheit immer die Richtige. Damit kannst du gut schlafen. Aber wenn du regieren willst, dann gibt es viele Wahrheiten. Wenn du die Lebensbedingungen der Menschen verbessern willst, musst du mit deinem Gegenüber verhandeln. Damit wirst du zur Regierungspartei. Darum geht es bei unserem Parteitag im Februar: Wollen wir eine breit aufgestellte Partei sein? In unserem Modell ist Platz für alle, auch für die traditionelle Linke. Aber umgekehrt sehen wir keinen Platz für uns bei der traditionellen Linken."
    Iglesias: "Podemos bleibt ein Projekt für alle"
    Genau hier verläuft aber Konfliktlinie. Politiker wie López wollen das Land mitgestalten, die Parteiführung predigt aber den Widerstand. Irene Montero aus dem Parteivorstand klingt da ein wenig wie die Sprecherin eines Zentralkomitees:
    "Hier wird freiwillig oder unfreiwillig eine Debatte angeheizt, um Podemos und Pablo zu schwächen. Da müssen wir Pablo und sein Projekt verteidigen. Es ist legitim, dass es Strömungen gibt, die unseren Parteitag nutzen wollen, um sich selbst zu stärken. Aber wichtiger ist der politische Wandel in unserem Land. Wir müssen den Parteitag nutzen, um uns so zu organisieren, dass wir Opposition in unserem Land sein können."
    Pablo Iglesias selbst hat sich unterdessen über die sozialen Netzwerke zu Wort gemeldet. Eine alte Frau, Mitglied bei Podemos, habe sich über das Bild der Zerstrittenheit beschwert, erklärt der Parteichef in einem per Twitter verbreiteten und mit harmonischer Gitarrenmusik unterlegten Video. Er werde sich darum dafür einsetzen, dass Podemos weiter ein Projekt für alle bleibe, verspricht er.
    Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Version des Vorspanns zu diesem Artikel war von einer Großen Koalition die Rede. Dieser Fehler ist korrigiert.