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SPD-Fraktionsvize Lauterbach
"Die Störmanöver gehen fast ausschließlich von Seehofer aus"

SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach will für die umstrittene Personalie Hans-Georg Maaßen nicht die Koalition gefährden. "Wir arbeiten schon in der Sache ganz ordentlich", sagte er im Dlf. In Deutschlands Innenpolitik heiße das Problem in erster Linie Horst Seehofer.

Karl Lauterbach im Gespräch mit Christoph Heinemann | 21.09.2018
    SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach am 21.01.2018 auf dem Podium des SPD-Sonderparteitags in Bonn (Nordrhein-Westfalen) .
    "Die Koalition ist in der Sacharbeit weitergekommen", sagt der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Karl Lauterbach (PA/dpa/Kay Nietfeld)
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist Karl Lauterbach, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, Wahlkreis Leverkusen-Köln vier. Guten Morgen.
    Karl Lauterbach: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr Lauterbach, sehnen Sie den 15. Oktober [den Tag nach der Landtagswahl in Bayern] herbei?
    Lauterbach: Nein, ehrlich gesagt nicht. Ich würde es auch nicht so taktisch oder strategisch sehen. Zunächst einmal: Dass wir diese breite Diskussion, auch die Empörung in der Partei haben, zeigt, dass in der SPD die moralischen Standards an solche Entscheidungen höher sind als bei anderen Parteien.
    "Frau Nahles hat sich das sehr, sehr schwer gemacht"
    Heinemann: Offenbar nicht bei Frau Nahles!
    Lauterbach: Doch! Wir diskutieren das, und Frau Nahles hat sich das sehr, sehr schwer gemacht. Horst Seehofer hat uns ja im Prinzip vor die Frage gestellt, ob wir bei dieser, sagen wir mal, Herausbeförderung mitmachen oder ob wir die Koalition platzen lassen. Da hat sie sich entschieden, dass wir die Koalition daran nicht zerbrechen lassen sollten.
    Es ist auch nicht richtig zu sagen, dass wir uns einen Koalitionsbruch nicht leisten können. Aber die Frage ist, ob wir uns das leisten sollten, anlässlich der aus meiner Sicht falschen Berufung von Herrn Maaßen zum Staatssekretär.
    Heinemann: Die Frage ist vor allem, Herr Lauterbach, Entschuldigung, ob Sie sich das leisten können.
    Lauterbach: Ja, wir könnten uns das leisten, aber es muss gut begründet sein, und diese Begründung reicht nicht. Wir können nicht sagen, in einer Situation, wo Europa im Umbruch ist, wo es die Frage gibt, gibt es einen Bundeswehreinsatz in Syrien, der Handelskrieg zwischen China und den Vereinigten Staaten, die ganze Welt hat Riesenprobleme und wir lassen eine der wenigen stabilen Regierungen hier kippen wegen der Beförderung eines wenig geeigneten Staatssekretärs. Das würde die Politikverdrossenheit im Land zu Recht weiter erhöhen und würde tatsächlich auch den radikalen Parteien, insbesondere der AfD, helfen.
    "Koalition ist in der Sacharbeit weitergekommen"
    Heinemann: Was meinen Sie mit stabiler Regierung?
    Lauterbach: Na ja, wir arbeiten schon in der Sache ganz ordentlich. Wenn Sie schauen, welche Gesetze jetzt zum Beispiel vor dem Abschluss sind: Wir werden die Parität in der Krankenversicherung wieder einführen. Wir werden 13.000 Pflegekräfte in der Altenpflege für die medizinische Behandlungspflege einführen. Wir haben heute den Wohngipfel, von dem sehr viel abhängt im Übrigen.
    Das werden wir auch gut weitermachen, selbst dann, wenn der sehr kompetente Staatssekretär in diesem Bereich ausfällt. Aber es ist tatsächlich so: Die Koalition ist in der Sacharbeit weitergekommen. Die Störmanöver gehen – das muss man ja auch der Ehrlichkeit halber sagen – fast ausschließlich immer wieder von Horst Seehofer aus.
    Heinemann: Der bleibt in der Regierung, und deshalb sagte Ihre Parteifreundin Hilde Mattheis gestern bei uns im Deutschlandfunk:
    O-Ton Hilde Mattheis: "Das muss die SPD für sich beantworten. Ist sie bereit, sich im Prinzip von einem kleinen Koalitionspartner wie der CSU und dem Vorsitzenden der CSU ständig vor einen Flaschenhals ziehen zu lassen."
    "Wir werden hier nicht vor den Flaschenhals gezogen"
    Heinemann: Herr Lauterbach, ja oder nein?
    Lauterbach: Ich stimme Frau Mattheis überhaupt nicht zu. Wir bekommen auch viele von den Projekten derzeit umgesetzt, für die Frau Mattheis, die ja gesundheitspolitische Sprecherin war, selbst gekämpft hat – zum Beispiel die Parität, aber auch viele andere Dinge. Und ich glaube nicht, dass wir hier vor einen Flaschenhals gezogen werden.
    Es ist richtig, ich sage es einmal so: Wenn Herr Seehofer nach einer verlorenen Bayernwahl ausscheiden würde, würden von uns die wenigsten ihn vermissen. Das sage ich als jemand, der ihn persönlich sehr schätzt, aber ich glaube, dass er sich selbst und auch seiner Partei, genauso wie uns in den letzten Monaten durch sein erratisches Handeln nicht gerade einen Gefallen getan hat.
    Nichtsdestotrotz: Wir werden hier nicht vor einen Flaschenhals gezogen, um diese schiefe Metapher zu verwenden, sondern wir haben es schwer mit ihm, und das gilt für alle Beteiligten. Er führt immer wieder in Situationen, wo alle Seiten vermeintlich verlieren.
    "Im Vergleich zu Seehofer ist Maaßen das kleinere Problem"
    Heinemann: Bleibt die Sachfrage. Wie wollen Sie Ihren Parteimitgliedern Hans-Georg Maaßens Beförderung vermitteln?
    Lauterbach: Man muss klären! Ich werde auch am Montag dabei sein. Wir müssen einfach ganz offen sagen, ist euch die Personalie Maaßen nicht als Verfassungsschützer, sondern als einer von neun Staatssekretären im Ministerium Seehofer, ist es euch das wert, dass wir im Chaos die Große Koalition verlassen? Oder wollen wir es nicht so machen, dass wir die Arbeit zunächst einmal fortsetzen, die wichtigen Projekte zu Ende bringen, und dann zur Mitte der Regierung darüber entscheiden, machen wir weiter oder nicht, wie wir es ja auch vereinbart haben.
    Heinemann: Die Personalie Maaßen hat ja auch Folgen. Können die Landesinnenminister der SPD mit einem Staatssekretär Hans-Georg Maaßen vertrauensvoll und vertraulich zusammenarbeiten?
    Lauterbach: Man muss ja ganz offen sagen: Die Personalie eines Staatssekretärs ist sehr bedeutsam. Das ist ganz klar. Aber in erster Linie ist hier die Zusammenarbeit mit Horst Seehofer das Problem, auch für die Innenminister. Die Innenminister arbeiten sich im Moment eher an den problematischen Einlassungen und auch sehr regelmäßig kommenden neuen Ideen von Horst Seehofer ab.
    Im Vergleich zu Seehofer, das muss man sagen, ist der Staatssekretär Maaßen das kleinere Problem. Beim Verfassungsschutz als Hüter unserer Verfassung war er völlig untragbar natürlich.
    "Minister bestellen ihre Staatssekretäre. Das ist so üblich."
    Heinemann: Sie gehen von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit aus?
    Lauterbach: Das werden wir sehen. Ich glaube, dass auch die Union ein großes Interesse daran hat. Die Union ist ja mehr als Horst Seehofer. Aber wenn die Innenpolitik tatsächlich nicht klappen würde, weil Maaßen im Amt, sagen wir mal, nicht klarkommt, um es sehr vorsichtig auszudrücken, dann haben wir alle ein Problem. Dann müssen wir darüber reden. Das ist dann aber eine sachlich begründete Diskussion.
    Jetzt ist es tatsächlich so: Die Minister bestellen immer ihre eigenen beamteten Staatssekretäre. Das ist tatsächlich in Berlin so üblich. Darüber stimmen zwar die Minister im Kabinett formal ab, aber wir mischen uns nie ein, weil das eine Vertrauensentscheidung des jeweiligen Ministers ist.
    Heinemann: Wobei Andrea Nahles in diesem Fall ja zugestimmt hat, und das wirft ein Licht aufs Verfahren. Frau Nahles hätte ja Bedingungen stellen können. Sie hätte einfach sagen können, Maaßen muss weg, und dessen Abberufung dann Angela Merkel und Horst Seehofer überlassen können. Dann hätte sie auch dieser Beförderung nicht zustimmen müssen. War das ein handwerklicher Fehler der SPD-Vorsitzenden?
    Lauterbach: Das wäre gar nicht möglich gewesen. Es ist immer so, dass formal im Kabinett über die Staatssekretäre abgestimmt wird. Es ist aber genauso faktisch so, dass immer der Minister seine Staatssekretäre bestimmt. Daher kann man auf Seehofer einwirken, um diese Situation auch sich zu ersparen, weil es ist eine Situation, die ihm schadet, der CDU schadet, der CSU schadet und uns schadet. Er ist aber stur geblieben und dann müssen wir entscheiden, ist uns das die Aufkündigung der Großen Koalition wert, mit allem, was daran hängt.
    "Wir werden am Montag gemeinsam eine Linie finden"
    Heinemann: Was heißt das jetzt für die Abstimmung in der Bundesregierung? Wie sollen sich die SPD-Minister verhalten, wenn jetzt über den Neuzuschnitt der Verantwortlichkeiten im Innenministerium beraten wird?
    Lauterbach: Darüber werden wir am Montag diskutieren. Das ist tatsächlich eine Empfehlung, die der Parteivorstand dann aussprechen wird. Wir werden am Wochenende auch darüber noch einmal nachdenken. Wir sind ja gestern auch in München gewesen, haben mit Natascha Kohnen gesprochen. Wir werden am Montag da zu einer Entscheidung kommen.
    Grundsätzlich ist es so: Hier ist tatsächlich Not am Mann, wenn man so will, und wir werden am Montag in den Gremien, die dafür auch tatsächlich zuständig sind, gemeinsam eine Linie finden.
    Heinemann: Kann es sein, dass die SPD-Minister zustimmen, dass es ein zweites Ja der SPD zu Hans-Georg Maaßen im Innenministerium geben wird?
    Lauterbach: Darüber jetzt zu spekulieren, fände ich weder fair dem Parteivorstand gegenüber, der am Montag zusammenkommt, noch den Ministern gegenüber. Wir werden das gemeinsam entscheiden. Ich bitte da einfach um diese Geduld. Wir haben schon zu viele Spekulationen gehört, auch der eine oder andere Genosse, der uns hier Ratschläge von außen gibt. In den Gremien werden wir die Gelegenheit haben.
    Wir sollten in den Gremien tatsächlich auch hart miteinander diskutieren, aber wir müssen nach außen fair bleiben.
    Heinemann: Karl Lauterbach, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Lauterbach: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.