Sonntag, 28. April 2024

Archiv

SPD-Konvent zum TTIP
"Im Zweifel Verhandlungen absagen"

Das transatlantische Handelsabkommen sorgt für Streit in der SPD. Mehr Transparenz fordern Kritiker der aktuellen TTIP-Verhandlungen wie Hilde Mattheis. Würde die Öffentlichkeit nicht mehr einbezogen, verstoße dies gegen ein Grundprinzip der SPD, sagte die Parteilinke im DLF.

Hilde Mattheis im Gespräch mit Thielko Grieß | 20.09.2014
    Im Zweifel müssten die Verhandlungen abgesagt werden, sagte Mattheis im Deutschlandfunk - selbst wenn die SPD damit einen Krach in der Großen Koalition riskiere. In Koalitionen gehe es auch darum, "bestimmte Grundprinzipien nicht zu verlassen". Ein Grundprinzip der SPD sei es, "nicht gegen die Bevölkerung zu entscheiden". Das SPD-Vorstandsmitglied forderte, "dass die Verhandlungen klar sind"; so müssten Umwelt- und Sozialstandards eingehalten werden und nichts "an den Parlamenten vorbei" beschlossen werden, Kommunen und Länder hätten bislang nicht in die Debatte eingreifen können.
    Bei einem Parteikonvent berät die SPD heute über ihre Haltung zum TTIP-Abkommen. Und offenbar stellt sich die Parteiführung hinter ihren Vorsitzenden. Wie aus Parteikreisen verlautete, soll dem Parteikonvent empfohlen werden, dass die Verhandlungen auf der Grundlage eines Papiers geführt werden sollen, das Gabriel mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund ausgearbeitet hatte. Darin waren die Vorteile durch den Wegfall von Zöllen hervorgehoben worden. Zugleich werden einer Absenkung von Standards und Sonderschiedsgerichten eine Absage erteilt.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Die SPD vor ihrem kleinen Parteitag in Berlin, Informationen waren das von Frank Capellan aus unserem Hauptstadtstudio. Mitgehört und am Telefon ist jetzt Hilde Mattheis, Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg und Vorsitzende des Forums "Demokratische Linke 21", daraus spricht schon sozusagen Mitglied, Sprecherin des linken Flügels in der SPD. Einen schönen guten Morgen, Frau Mattheis!
    Hilde Mattheis: Guten Morgen!
    Grieß: Wollen Sie Sigmar Gabriel das Leben auch noch schwer machen?
    Mattheis: Es geht nicht darum, jemandem das Leben schwerzumachen, sondern politische Entscheidungen zu treffen, die - in die Zukunft geblickt - richtige Entscheidungen sind, und da ist bei CETA und bei TTIP einiges, was wir nicht richtig finden.
    Grieß: Zum Beispiel?
    Mattheis: Wir wollen, dass die Verhandlungen nicht nur transparent sind, sondern dass klar ist, dass nicht an deutschen Gerichtsbarkeiten vorbei irgendwelche Klagemöglichkeiten existieren, wir wollen, dass unsere sozialen und auch Umweltstandards und Verbraucherschutzstandards auf jeden Fall eingehalten werden, und wir wollen natürlich auch, dass nicht verhandelt wird und beschlossen wird an Parlamenten, die gewählt sind, vorbei. Das sind, glaube ich, so Grundstandards in einem demokratischen Verfahren, die, glaube ich, zu Recht eingefordert werden. Und das ist unsere Debatte heute.
    Grieß: Greifen wir einen ersten Punkt auf, Frau Mattheis: die Transparenz. Europaabgeordnete können durchaus in Brüssel Dokumente einsehen, die verhandelt werden.
    Mattheis: Ja.
    Eine möglichst breite Zustimmung ist nötig
    Grieß: Da ist schon ein gewisses Maß an Transparenz vorhanden. Es wird immer so getan, als sei das völlig alles hinter verschlossenen Türen und keiner wisse, was da verhandelt werde.
    Mattheis: Na ja, aber es liegt ja jetzt der Vertrag CETA vor, der jetzt übersetzt werden soll in den nächsten Monaten, und deutsche Parlamente und auch Bundesländer oder Kommunen haben bislang in diese Debatte nicht eingreifen können. Ich glaube, dass Auswirkungen, die bis tief in die Kommunen hineinreichen, debattiert gehören. Das darf nicht so sein, dass sich Abgeordnete, die sich besonders dafür zuständig fühlen oder zuständig sind, anfordern, sondern diese Debatte muss klar in der Öffentlichkeit geführt werden. Deswegen haben wir auch gesagt, dass diese Zulassung für eine europäische Bürgerinitiative, diese gescheiterte Zulassung etwas ist, was das Misstrauen ja auch noch mal schürt.
    Grieß: Also Sie wollen eine deutsche Ausgabe des CETA-Abkommens, das ist nur kurz zur Erklärung, das Freihandelsabkommen, das die Europäische Union mit Kanada schließen will, sie wollen eine deutsche Übersetzung auf dem Tisch jedes Abgeordneten des Deutschen Bundestages und dann eine Debatte darüber?
    Mattheis: Selbstverständlich, aber selbstverständlich! Und dann müssen die Parlamente, auch die Länderparlamente die Möglichkeit haben, zu sagen: Nein.
    Grieß: Das gibt eine Menge Möglichkeiten und eine Menge Chance zur Blockade. Dann wird aus diesem Freihandelsabkommen vermutlich nichts.
    Mattheis: Ich bitte Sie - etwas, was so tief auch in die Bürgerrechte eingreifen soll, so tief auch in die Kommunen eingreifen soll, das muss doch bitte schön auch mit einer möglichst breiten Zustimmung versehen sein! Sonst ist das ja etwas, was übergestülpt ist über die Menschen, und ich glaube nicht, dass das unserer Demokratie guttut.
    Grieß: Sprechen wir über einen zweiten Punkt, Frau Mattheis, den Sie angesprochen haben: den Investitionsschutz, die Möglichkeit für Konzerne, vor Gericht zu ziehen, wenn sie Investitionsentscheidungen getroffen haben und Staaten später politische Entscheidungen treffen, die diese Investitionen schmälern oder behindern oder zumindest einschränken.
    Mattheis: Ja.
    Millionen werden für die Klageverfahren eingesetzt
    Grieß: Es ist ja ein Teil des CETA-Abkommens, des Abkommens mit Kanada, in der Öffentlichkeit schon bekannt geworden, ein Entwurf, der ist gelegt worden, und dieser Investitionsschutz, der steht da nun drin. Das heißt, dieses Abkommen wird Ihre Zustimmung so nicht finden?
    Mattheis: Das ist richtig, weil an deutschen, ganz normalen Gerichtsbarkeiten vorbei ... Dass jemand vor einem privaten Schiedsgericht klagen kann gegen den Bund, gegen die Bundesländer und gegen Kommunen, das ist doch etwas, was völlig außerhalb unserer Vorstellung ist. Jetzt stellen Sie sich vor, ein Unternehmen möchte gerne in einer kleinen Stadt in Baden-Württemberg sich niederlassen und die Kommune sagt, Nein, wir wollen das der öffentlichen Daseinsvorsorge halber einem, ja, vielleicht kirchlichen oder einem sonstigen Träger übertragen - und dann kommt ein Investor und sagt, Nein, wir haben da von dieser Ausschreibung nichts gehört, wir klagen dagegen. Und womöglich ist das eine Chance, dass dieser Private gegen den Willen von Kommunen dort investieren kann. Das ist eine Vorstellung, die für uns nicht tragbar ist.
    Grieß: Nun gibt es allerdings schon eine ganze Reihe von Freihandelsabkommen, in denen eine ganz ähnliche Klausel steht, und wir können feststellen: Deutschland wird nicht gerade mit Milliardenklagen überzogen.
    Mattheis: Das ist richtig, aber es gibt etliche Klagen, und wir sehen ja auch, dass im Bundeshaushalt etliche Millionen immer eingesetzt werden. Um diese Klagen abzuwehren beziehungsweise sich da in diesen Klagen überhaupt positionieren zu können, muss man im Bundeshaushalt nachschauen, dass da ständig Millionen eingesetzt werden für diese Klageverfahren. Und ich glaube, dass, je stärker auch der Handelsraum ausgedehnt ist - und Sie haben in Ihrem Antext ja auch davon gesprochen, dass es sich um einen Wirtschaftsraum unglaublicher Dimension handelt -, dass wir damit im Prinzip auch noch mal, ja, nicht gerade eine Explosion, aber eine starke Ausweitung solcher Klagen bekommen werden. Und da möchte ich nicht, dass die Daseinsvorsorge zum Beispiel im Gesundheits- oder Bildungsbereich oder anderen sozialen Bereichen oder denken wir mal an die Kunst, dass das im Prinzip möglichst für Private aufgemacht wird.
    Grieß: Kulturförderung ist ja auf Bestreben Frankreichs zumindest beim TTIP, beim Freihandelsabkommen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten, ausgeklammert. Frau Mattheis, unterm Strich: Fordern Sie einen Stopp dieser Verhandlungen?
    Mattheis: Wir fordern einen Stopp der Verhandlungen, wenn unsere Forderungen nicht umgesetzt werden.
    Eine breite öffentliche Debatte ist nötig
    Grieß: Also bei CETA sieht es ja zumindest überhaupt nicht danach aus.
    Mattheis: Ja, aber die Möglichkeit ist schon noch gegeben. Wir haben jetzt ... Am 25.09, glaube ich, wird es dieses Treffen geben in Kanada, dann wird es die Übersetzungsphase geben, das dauert ungefähr so sechs Monate oder acht Monate, und dann hat man innerhalb dieses Verfahrens doch noch mal die Möglichkeit, wenn der übersetzte Text vorliegt, zu sagen: Nein, wird nicht unterschrieben und wir werden dem nicht zustimmen.
    Grieß: Ich wollte kurz erklären: In Kanada wird es ein Treffen geben zwischen dem kanadischen Ministerpräsidenten, Bundespräsident Gauck ist, glaube ich, auch da und der scheidende EU-Kommissionspräsident Barroso, und alle Seiten wollen sich bekennen zu diesem Freihandelsabkommen.
    Mattheis: Es ist ein Bekenntnis, das haben Sie zu Recht gesagt. Aber es ist nicht die Unterschriftenlieferung. Das ist ein Unterschied. Und bei TTIP haben wir ja noch eine weitere Phase der Verhandlungen. Da ist es ja auch ... Auf längere Sicht werden ja noch weitere Treffen stattfinden, es haben bisher, ich glaube, fünf oder sechs Treffen stattgefunden. Da liegt der Text ja nicht vor, sondern da hat man in den nächsten ein, zwei Jahren sicherlich noch die Zeit. Deshalb glaube ich, dass nur eine breite öffentliche Debatte diesen Prozess begleiten kann und begleiten muss.
    Grieß: Steht denn, Frau Mattheis, Ihr Parteichef Sigmar Gabriel an Ihrer Seite?
    Mattheis: Das werden wir heute sehen. Ich glaube, es ist ihm auch ein Anliegen, dass diese Transparenz hergestellt wird, ich glaube, es ist ihm auch ein Anliegen, dass es nicht sein kann, dass vor privaten Schiedsgerichten etwas gegen Staaten entschieden wird. Das glaube ich schon. Wir werden aushandeln müssen heute, wie weit da im Prinzip auch die Neigung ist, zu sagen: Nein, dann ist es eben ... Dann werden wir die Verhandlungen nicht unterbrechen, sondern absagen im Prinzip. Und das wird im Prinzip die Herausforderung sein, Bedingungen zu knüpfen an Verhandlungen.
    Es geht darum, zum Wohle der Bevölkerung zu entscheiden
    Grieß: Es wird auch eine Herausforderung sein, den größten ... Also das wäre nicht nur eine Herausforderung, sondern womöglich der größte Krach in der schwarz-roten Koalition.
    Mattheis: Nun ja, man muss natürlich auch immer wissen, dass in Koalitionen es auch drum geht, bestimmte Dinge nicht so verlassen, die man als Grundprinzip für sich und in der Partei miteinander ausgehandelt hat. Und da ist dieses Freihandelsabkommen TTIP eine, wo wir sagen: Es geht darum, dass immer zum Wohle der Bevölkerung entschieden wird und nicht gegen Bevölkerung. Und ich glaube, das ist ein Grundprinzip in meiner Partei, in unserer Partei, das wir auch bei diesem Thema nicht verlassen sollten und verlassen werden.
    Grieß: Die Parteilinke Hilde Mattheis fordert Bedingungen für die Freihandelsabkommen mit Kanada und den Vereinigten Staaten und zunächst einmal auch einen Stopp der Verhandlungen. Frau Mattheis, danke schön für das Gespräch und einen schönen Tag nach Berlin!
    Mattheis: Das wünsche ich Ihnen auch, danke schön!
    Grieß: Danke! Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.