Mittwoch, 24. April 2024

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SPD-Pläne zum Bürgergeld
Sozialwissenschaftler: Für viele Arbeitslose ändert sich nichts

Der Koblenzer Sozialwissenschaftler Stefan Sell sieht die arbeitsmarktpolitischen Teile im SPD-Sozialstaatskonzept kritisch. Das Bürgergeld sei lediglich eine semantische Neu-Etikettierung, sagte er im Dlf. Davon profitierten vor allem ältere Arbeitslose - für alle anderen ändere sich nichts.

Stefan Sell im Gespräch mit Birgid Becker | 11.02.2019
    Stempel mit der Aufschrift "Hartz IV"
    Weg vom umstrittenen Hartz IV-System: Das Sozialstaats-Konzept der SPD sieht ein neues Bürgergeld vor (dpa / picture alliance / chromorange)
    Mit der geplanten Verlängerung des Arbeitslosengeldes I adressiere die SPD zwar Fairness-Vorstellungen, gestand der Sozialwissenschaftler Stefan Sell zu. So werde es als ungerecht empfunden, wenn ein Arbeitsloser, der zuvor lange beitragspflichtig gearbeitet hat, genauso gestellt wird wie jemand, der wenig oder gar nicht gearbeitet hat. Vom geplanten Bürgergeld profitierten vor allem ältere Arbeitslose, betonte Sell. Für alle anderen aber ändere das neue SPD-Konzept nichts.
    Jeder vierte Arbeitslose rutscht in Hartz IV
    Auch die geplante zweijährige Schonfrist für die Anrechnung von Vermögen und die Wohnraumüberprüfung für Arbeitslose, die vom ALG1-Bezug ins Hartz-IV-System rutschen, bevorzuge nur diejenigen Arbeitslosen, die zuvor eine gewissen Zeit lang beitragspflichtig beschäftigt waren. Sell wies aber darauf hin, dass jeder vierte Arbeitslose direkt zum Hartz-IV-Bezieher werde. Für diese Gruppe verbessere sich nach den SPD-Plänen nichts, erklärte der Sozialexperte. Durch das Bürgergeld der SPD werde die Situation nur "semantisch neu etikettiert".
    Für die Betroffenen sei es zwar ein Vorteil, wenn die Schutzfunktion der klassischen Arbeitslosenversicherung gestärkt werde. Aber außer der besser gestellten Teilgruppe ändere sich für alle anderen im Hartz-IV-System nichts. Keine Erhöhung der Leistungen, keine Änderungen bei Bedürftigkeitsprüfung oder Vermögensanrechnung, zählte der Sozialexperte auf. Mit den angekündigten Milderungen bei den Sanktionen komme die Politik nur einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zuvor, das "mit hoher Wahrscheinlichkeit" derartige Änderungen verlangen werde.
    Alleinerziehende und pflegende Angehörige vergessen
    Bei der Debatte dürfe nicht vergessen werden, mahnte Sell, dass von sechs Millionen Menschen im Hartz-Vier-System lediglich 1,5 Millionen als Arbeitslose bei den Jobcentern registriert seien. Viele andere – Alleinerziehende, pflegende Angehörige – blieben weiterhin unverändert im "netter formuliert Bürgergeld genannten System".
    Die vorgeschlagene Kindergrundsicherung sowie mehr Anstrengungen zur Qualifizierung begrüßte der Koblenzer Sozialwissenschaftler. Allerdings gehöre "zur Ehrlichkeit dazu", dass damit sowohl Mehraufgaben als auch finanzieller Mehraufwand erforderlich seien.