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SPD-Politiker Dreßler
"Ob das ein gutes Geschäft ist, weiß ich nicht"

Die gerade abgeschlossene Sondierung sei in Teilen schon einer Koalitionsverhandlung gleichgekommen, sagte der SPD-Politiker Rudolf Dreßler im Dlf. Ein Fokus auf Europa und auf Stabilisierung des Renten- und Gesundheitssystems seien positive Signale. Abzuwarten bleibe aber, wie das Ausgehandelte konkretisiert werde.

Rudolf Dreßler im Gespräch mit Stefan Heinlein | 12.01.2018
    Der ehemalige deutsche Botschafter in Israel Rudolf Dreßler (SPD) in der ARD-Talkshow ANNE WILL am 30.07.2014 in Berlin
    SPD-Urgestein und Sozialexperte Rudolf Dreßler (imago / Müller-Stauffenberg)
    Stefan Heinlein: Über diesen weiten Weg will ich jetzt reden mit dem SPD-Politiker Rudolf Dreßler, lange Jahre zuständig für die Sozialpolitik seiner Partei. Guten Tag, Herr Dreßler.
    Rudolf Dreßler: Hallo.
    Heinlein: Erfolgreiche Sondierungen, die SPD bleibt an der Macht. Herr Dreßler, ist das ein guter Tag für die Sozialdemokraten?
    Dreßler: Ob das ein guter Tag für die Sozialdemokraten ist, weiß ich nicht, genauso wenig, ob es ein guter Tag für die CDU/CSU ist oder für Deutschland. Wir haben, um mal beim Begriff zu bleiben, jetzt die Möglichkeit, eine Sondierung, das heißt, eine Ausforschung, ein Vorfühlen, ob es denn klappen könnte, immer unter diesem Gesichtspunkt zu bewerten. Dass trotz dieser Tatsache mittlerweile in dieser Sondierung bereits eine Art Koalitionsverhandlung stattgefunden hat, das hat der Bericht, den Sie gerade selber mitgehört haben, und ich ja auch, gezeigt. Da waren schon Dinge drin, die normalerweise einer Verhandlung vorbehalten sind.
    Aber davon jetzt mal abgesehen: Ich glaube, dass diese Ergebnisse der Sondierung zwei ganz wichtige Punkte beinhalten, die zu einer wirklich positiven Strömung führen können. Ich rede jetzt in der Möglichkeitsform. Das ist das eine, sofort beginnend mit Europa, der weitere Weg zu einem Vereinigten Europa, und das ist die grundsätzliche Überwindung der gesellschaftlichen Schwierigkeiten der letzten Jahre, die ja von diesen beiden Parteien mit verursacht worden sind – in Sonderheit von der SPD.
    Ich nenne beispielsweise die paritätische Finanzierung in der Krankenversicherung. Das ist ein gesellschaftspolitischer Punkt, der gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
    Rente und Gesundheit: "Stabilisierung ganz wichtiger Beitrag"
    Heinlein: Herr Dreßler, Ihre Partei, die SPD, trägt das Soziale bereits im Namen, und viele Punkte waren ja im Vorfeld genannt worden. Nun haben wir es gerade gehört: Grundrente statt Bürgerversicherung. Ist das ein gutes Geschäft?
    Dreßler: Ob das ein Geschäft ist, ein gutes, das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass die Veränderungen in diesen beiden Punkten, Rente und Gesundheit, zur Stabilisierung der Systeme ein ganz wichtiger gesellschaftlicher Beitrag sind, der zu einer Gesellschaft gehört, die in Europa weiter eine Vereinigung anstrebt. Wenn eine zerrissene Gesellschaft in Deutschland diesen Weg begehen wollte, dann wird das ausgesprochen schwierig. Insoweit ist die Zusammenführung von gesellschaftlicher Entwicklung inländisch und dem Weg nach einem gemeinsamen Europa das Entscheidende für mich jedenfalls in dieser grundsätzlichen Übereinstimmung der Sondierungsgespräche.
    Heinlein: Was ist denn Ihr Eindruck? Sie sind ja noch recht nah bei den Genossen. Wie schwierig wird es nun für Martin Schulz, seiner Partei das Ergebnis zu verkaufen?
    Dreßler: Ich glaube, dass die Einstimmigkeit, die der Vorstand jetzt getätigt hat, ein ganz wesentlicher Punkt ist. Ich kann auch nicht erkennen, dass daraus eine Nicht-Mehrheit auf dem Parteitag erwachsen könnte. Ich rede immer in der Möglichkeitsform. So wie die Dinge gelaufen sind jetzt und bei der Vorlage dieses Ergebnisses mit diesen beiden Bündelungen Europa gesellschaftlich und Deutschland gesellschaftlich, nehme ich an, dass eine solche Mehrheit geschaffen werden kann.
    "Wenn das Vertrauen sich in der Tat zeigt"
    Heinlein: Werden Sie denn persönlich für die Neuauflage der Großen Koalition stimmen? Sie werden ja noch gefragt als Parteimitglied.
    Dreßler: Wenn das, was ich jetzt im Augenblick zur Kenntnis genommen habe, sich bestätigt, dann lohnt es sich, diesen Weg eventuell zu gehen, zumal die Partei bessere Ergebnisse mit keinem anderen Koalitionspartner finden könnte. Insoweit hätte es sich dann zum Schluss gelohnt. Das muss man so sagen, immer unter dem Gesichtspunkt, der Eindruck dieser ersten Stunde nach den Ergebnissen bestätigt sich.
    Heinlein: Sie haben ja viel Erfahrung, Herr Dreßler, mit der Politik, auch mit Koalitionsverhandlungen. Aufgrund Ihrer Erfahrungen, wie bindend ist denn so ein Sondierungsergebnis oder später so ein Koalitionsvertrag? Wie viel Freiheit hat man denn noch als Regierung in den kommenden Jahren, dort zu gestalten, vielleicht auch außerhalb oder am Rande eines solchen Koalitionsvertrages?
    Dreßler: Das ist der entscheidende Punkt, den Sie gerade formuliert haben. Wir haben in den letzten Großen Koalitionsjahren festgestellt, dass die CDU eiskalt definitiv übereinstimmende Vereinbarungen schlicht und ergreifend ignoriert hat. Wenn das erneut passieren sollte bei diesen großen gesellschaftlichen Ergebnislagen, dann sehe ich schwarz. Wenn das aber hält, wenn das Vertrauen, das man jetzt verbal geäußert hat, sich in der Tat zeigt, dann könnte es zu einer Großen Koalition kommen, die die letzten vier Jahre Große Koalition vergessen lassen kann.
    Heinlein: Sehen Sie denn Anzeichen dafür, dass Martin Schulz sich besser durchsetzen wird, mehr Profil zeigen wird in der Großen Koalition in den kommenden Jahren als seine Vorgänger?
    Dreßler: Ich weiß ja nicht, welche Rolle er da spielen will, die des Parteivorsitzenden, die des Fraktionsvorsitzenden, die eines Bundesministers. Da habe ich keine Ahnung. Das wird man sehen müssen. In jedem Falle wird er als Parteivorsitzender bei allen, im Streit befindlichen Fragen entscheidende Rollen spielen. Ob er das will oder nicht, das ist sein Job, den er dann zu erledigen hat.
    Papier oder Wirklichkeit – das bleibt die Frage
    Heinlein: Aber das Grundproblem für die SPD bleibt: Man kann nicht gleichzeitig Opposition sein und gleichzeitig Regierungspartei.
    Dreßler: Das ist völlig richtig. Und dabei sind die entscheidenden Fragen, die jetzt in den kommenden Monaten zu lösen sind: Was ist zum Beispiel eine nationale Weiterbildungsstrategie? Das ist ja Feuilleton. Was ist ein gezielter Abbau struktureller Ungleichgewichte von Frauen am Arbeitsmarkt? Was verbirgt sich dahinter? Wie konkret wird das? Wird die Mütterrente, die beschlossen worden ist, steuerfinanziert, oder wird sie durch Beiträge der Krankenversicherung wie in den letzten vier Jahren finanziert? All diese Punkte, die stehen und fallen mit einem Parteivorsitzenden, und wenn der Schulz heißt, dann mit ihm.
    Heinlein: Was halten Sie denn von der Kritik der Jusos, von Kevin Kühnert und anderen GroKo-Kritikern, dass es keine inhaltliche Neubesinnung, keine inhaltliche Neuaufstellung der Sozialdemokraten in der Regierung geben kann?
    Dreßler: Ich kann das nur so werten, dass die Jusos skeptisch sind, dass das auf dem Papier jetzt befindliche Sondierungsergebnis sich auch in Wirklichkeit niederschlägt. Wenn es das täte, dann könnte ich die Jusos nicht mehr verstehen. Sollte aber ihre Skepsis recht behalten und man wird sich in diesen vier Jahren an die konkret formulierten Dinge dann nicht mehr erinnern, dann sieht es nicht nur so aus, dass die Jusos recht behalten haben, sondern dann würde die SPD einen weiteren Weg unter die 20-Prozent-Marke im Wahlergebnis gehen.
    Heinlein: Der SPD-Politiker Rudolf Dreßler, lange Jahre zuständig für die Sozialpolitik seiner Partei. Herr Dreßler, ganz herzlichen Dank für diese Einschätzungen.
    Dreßler: Bitte schön! – Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.