
"Die Anderen haben Fernseh- und Radiosender, Zeitungen, Banken, Kooperativen und Geld. Wir haben euch, wir haben das Netz, solange es noch frei bleibt."
So wirbt der ehemalige Journalist und Lega-Parteichef Matteo Salvini in einem millionenfach aufgerufenen Video um Follower für seine sozialen Medien. Eine Strategie, die scheinbar aufgegangen ist. Im Jahr 2014 hatte er knapp 60.000 Follower auf Facebook, heute sind es über 4.600.000. Hinter diesem Erfolg steht der Spindoctor und Kommunikations-Manager Luca Morisi.
"Er ist ein Marketing-Genie. Bereits 2004 experimentierte er mit den neuen Technologien und versuchte an Silvio Berlusconi heranzukommen, aber Berlusconi beachtete ihn nicht, weil er auf seine Fernsehsender konzentriert war und nicht an soziale Medien glaubte", sagt Alex Orlowski, Spindoctor und Social-Media-Experte über "la bestia" - "die Bestie" -, wie das komplexe Kommunikationssystem von Morisi genannt wird.
Einfache Botschaften mit einem spaltenden Thema
"Dann traf Morisi Matteo Salvini und erkannte, dass er die perfekte Person für dieses politische Online-Propagandaprojekt ist, ein Projekt, bei dem Morisi Techniken einsetzte, die heute als 'Growth Hacking' bekannt sind. Das sind Techniken, die auch Airbnb oder Hotmail verwendet haben: Ich gewähre dir einen kostenlosen E-Mail-Zugang, du lädst zehn Freunde ein, oder jedes Mal, wenn du einen Online-Shop betrittst, erhältst du eine Nachricht mit einem neuen Angebot für ein ähnliches Produkt."

Der Köder für die "Kunden" von la bestia ist aber kein Produkt, sondern sind gezielte Nachrichten und Posts, die ein Team von 35 Digitalexperten verbreitet. Einfache Botschaften mit einem spaltenden Thema, zum Beispiel Flüchtlinge, Slogans, die zum Mitmachen motivieren, "Holen wir uns unser Italien wieder zurück! Bist du dabei?", Angriffe gegen Feinde, aber auch Momentaufnahmen aus dem Privatleben von Salvini als "Mann von nebenan".
Tausend treue Follower werden aufgerufen, die Botschaften auf allen Kanälen weiter zu verbreiten. Der Wettbewerb "Vinci Salvini" - "Gewinne Salvini mit deinen Likes" - sorgt dafür, dass die Zahl der Likes sehr schnell steigt und der Post im Ranking auf Facebook nach oben rutscht. Das Team erstellt ein Profil der Anhänger und lässt ihnen gezielte Nachrichten zukommen. Umfragen werden genutzt, um Strategien in den sozialen Medien zu entwickeln.
Alex Orlowski: "Tausend Menschen sollten zum Beispiel in einer geheim gehaltenen Umfrage beantworten, was sie über Nationalsozialismus und Faschismus denken, ob der Nationalsozialismus mehr zu verurteilen sei als der Faschismus. In einigen Posts lehnt sich das Team von Salvini augenzwinkernd an die Sprache faschistischer italienischer Slogans an. Dies ist wahrscheinlich auf die Umfragen zurückzuführen, in denen offenbar die Lega-Wähler sagten, dass der Nationalsozialismus zu verurteilen sei, der Faschismus jedoch nicht so sehr."
"Verschiebung dessen, was sozial als akzeptabel angesehen wird"
Stefano Epifani, Professor für Internet- und Social-Media-Studien an der Universität La Sapienza in Rom, beobachtet die Strategie der Kommunikationsmaschine "la bestia" mit Besorgnis.
"In den Händen dieses Kommunikationssystems liegt die enorme Macht, die Trends einer ganz bestimmten Zielgruppe zu interpretieren und sie an diese Zielgruppe zurückzugeben. Es entsteht eine Art Teufelskreis, ein System, das auf der Übertreibung dieser Positionen basiert. Technisch nennen wir es 'Overton-Fenster': Das heißt, die Kommunikation der 'Bestie' basiert auf der schrittweisen Verschiebung dessen, was sozial als akzeptabel angesehen wird. Wenn ich am Anfang sage: 'Diese Person ist nicht meiner Meinung', werde ich am Ende zu der Person sagen: 'Diese verdammte Zigeunerin'. In einer Reihe von schrittweisen Verschiebungen erscheint der Ausdruck akzeptabel."
Inhalte oder Worte, die auf Skandale hinweisen, die mit der Lega zu tun haben, sind in der Community verboten. Auch die Prozesse gegen Salvini wegen Amtsmissbrauchs und Freiheitsberaubung – zum Beispiel im Fall des Rettungsschiffs "Open Arms" -werden von "la bestia" strategisch begleitet.
Epifani: "In diesem Fall besteht der Mechanismus darin, die Wirkung der Filterblase zu verstärken und dann einerseits Salvini als Opfer darzustellen, als missverstandenen Helden, und andererseits Salvinis Wählern das Gefühl zu geben, dass die ganze Welt genauso denkt wie sie und sie sich folglich geschlossen gegen eine Opposition aufstellen, die ihnen schwächer erscheint, als sie in Wirklichkeit ist."
Die Zielgruppe der Kommunikationsmaschine "la bestia" ist dann schlussendlich die breite Bevölkerung. Alex Orlowski: "Soziale Medien, die auf diese Weise genutzt werden, sind sehr nützlich, um in die traditionellen Medien, also Radio, Fernsehen und Presse, zu gelangen und dadurch die Menschen glauben zu lassen, dass der Protest viel größer ist als er tatsächlich ist."