Samstag, 27. April 2024

WM 2006
Worum es im Sommermärchen-Prozess geht

Seit fast zehn Jahren geht es in der Sommermärchen-Affäre um die Frage, ob für die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland Stimmen gekauft wurden. Nun hat vor dem Frankfurter Landgericht der vielleicht finale Akt begonnen: Der Prozess gegen drei ehemalige DFB-Funktionäre.

Von Victoria Reith, Raphael Späth und Julian Tilders | 07.03.2024
    Die Angeklagten Theo Zwanziger (l), ehemaliger Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Wolfgang Niersbach (2.v.l., hinten), ehemaliger DFB-Präsident, und Horst R. Schmidt (r), ehemaliger DFB-Generalsekretär, erheben sich zum Auftakt des "Sommermärchen-Prozesses" im Verhandlungssaal am Landgericht Frankfurt.
    Prozess-Auftakt in der Sommermärchen-Affäre. (picture alliance / dpa / dpa-Pool / Boris Roessler)
    Worum geht es in diesem Prozess?
    Welche Bedeutung hat der Prozess bei der Aufdeckung des Sommermärchen-Skandals?
    Was sagen die Angeklagten?
    Wer könnte als Zeuge Licht ins Dunkel bringen?
    Was bedeutet das Verfahren für den DFB?

    Worum geht es in diesem Prozess?

    Angeklagt sind die beiden ehemaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger und Wolfgang Niersbach sowie der ehemalige Generalsekretär des DFB, Horst R. Schmidt. Konkret geht es um eine Zahlung über 6,7 Millionen Euro, die im Jahr 2005, also ein Jahr vor der Heim-WM vom deutschen WM-Organisationskomitee über die FIFA mutmaßlich an den früheren "adidas"-Chef Louis-Dreyfus überwiesen worden. Exakt diese Summe war drei Jahre zuvor offenkundig in Form von Vorleistungen von Beckenbauer und Louis-Dreyfus an den früheren FIFA-Funktionär Mohamed bin Hammam nach Katar geflossen.
    Um eine mögliche Bestechung oder den Kauf des Sommermärchens geht es in dem Prozess nicht. Es geht vielmehr darum, dass der DFB die 6,7 Millionen Jahresabschluss 2005 als Betriebsausgabe geltend gemacht hat – für eine WM-Gala, die aber tatsächlich nie stattfand. Es geht im Prozess deshalb um Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall.

    Welche Bedeutung hat der Prozess bei der Aufdeckung des Sommermärchen-Skandals?

    Er könnte zu einem Schlusspunkt in der Affäre werden. Dass im Rahmen des Ganzen auch mehr über den Verwendungszweck der 6,7 Millionen Euro herauskommt, ist nicht allzu wahrscheinlich, liegt aber durchaus im Bereich des Möglichen. Das Gericht um die Vorsitzende Richterin Eva-Marie Distler hat am zweiten Verhandlungstag (07.03.2024) durchblicken lassen, Licht ins Dunkel bringen zu wollen.
    Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten vor, dass die Zahlung des DFB 2005 der Rückführung des Darlehens des Adidas-Chefs Louis-Dreyfus gedient habe und daher nicht steuermindernd hätte verbucht werden dürfen. Der Prozess darüber, ob durch dieses Geld tatsächlich Stimmen gekauft wurden, wurde vor fast drei Jahren in der Schweiz eingestellt, weil die Vorwürfe verjährt waren.
    Der strafrechtliche Nachweis wird auch dadurch erschwert, dass diejenigen, die damals direkt beteiligt waren, also Beckenbauer und Louis-Dreyfus, inzwischen bereits verstorben sind.

    Was sagen die Angeklagten?

    Die Anwälte von Niersbach und Schmidt haben die Verfahrens-Einstellung beantragt. Auch die Staatsanwaltschaft hat sich offen für eine außergerichtliche Einigung gezeigt. Die Richterin hatte zum Auftakt zu Protokoll gegeben, dass sie sich einem vorzeitigen Prozess-Ende "nicht verschließe", der "richtige Zeitpunkt" dafür aber noch nicht gekommen sei.
    Zwanziger will keine außergerichtliche Einigung. Er sagte in Frankfurt nach dem ersten Prozesstag, er habe den Eindruck, dass die Vertreter der Anklage sehr wohl wüssten, dass sie auf sehr dünnem Eis stünden und es für alle drei Angeklagten einen Freispruch geben könne. Deshalb sei es ihm und seinem Rechtsbeistand sehr viel sympathischer, wenn es zu der vom Gericht angekündigten Beweisaufnahme komme. Bis Oktober sind insgesamt 24 Verhandlungstage angesetzt.
    Sportjournalist Thomas Kistner erklärte im Dlf, dass die Millionenzahlung vor neun Jahren bereits hätte aufgeklärt werden können, jedoch sei das am mangelnden Interesse der Beteiligten daran gescheitert. Er kritisierte: „Das Funktionärsgeflecht wirft seit neun Jahren Nebelkerzen.“
    Die Einlassungen der Angeklagten brachten bisher keinen weiteren Aufschluss über den Hintergrund der Zahlung und lediglich Andeutungen hervor. Schmidt erklärte, zusammen mit Zwanziger bei Louis-Dreyfus vorstellig geworden zu sein, der habe aber "nichts sagen" wollen.
    Niersbach habe erst im Sommer 2015 von der Zahlung erfahren, wobei er allerdings schon früher "vage Gerüchte über eine Gegenleistung" gehört habe, in deren Zusammenhang der Name Bin Hammam eine Rolle gespielt habe.

    Wer könnte als Zeuge zur Aufklärung beitragen?

    Es sind teils prominente Zeugen vorgeladen. Der Schweizer Urs Linsi war einst FIFA-Generalsekretär und soll damals zwischen DFB und FIFA vermittelt haben, als es darum ging, ein Darlehen zurückzuzahlen, das der schon verstorbene Louis-Dreyfus dem ebenfalls verstorbenen Franz Beckenbauer gewährt hatte.
    Das Verfahren gegen ihn wegen Beihilfe zur schweren Steuerhinterziehung wurde zuletzt nach einer Zahlung von 150.000 Euro eingestellt. Er wurde nun als Zeuge geladen, doch Linsi lehnte eine Aussage in Frankfurt ab.
    Ebenfalls als Zeuge geladen ist Uli Hoeneß, Ehrenpräsident des FC Bayern München. Er soll am 15. April aussagen. Das Gericht begründete dies damit, dass der mittlerweile 72-Jährige mehrfach öffentlich angedeutet hat, er wisse über den Zweck der Millionenzahlung Bescheid – etwa im Rahmen eines Auftritts im "Sport1-Doppelpass" (2020) sowie im Interview für den Podcast "11 Leben" (2021). "Wenn man sich so prominent einlässt, muss man das vielleicht auch vor Gericht erläutern", erklärte die Vorsitzende Richterin Distler.
    Zwanziger plädiert nach der Ladung von Uli Hoeneß für einen weiteren prominenten Zeugen. "Ich werde als Nächstes den Lothar Matthäus vorschlagen. Der ist etwas enger an dem Franz Beckenbauer dran gewesen. Bei Lothar Matthäus kann man sich drauf verlassen, dass er auch was sagt", sagte Zwanziger nach dem zweiten Verhandlungstag.

    Was bedeutet das Verfahren für den DFB?

    Für das Image des DFB ist der Prozess wichtig. Doch viel wichtiger sind die finanziellen Hintergründe: Dem DFB wurde wegen der Millionen-Zahlung, die nach Ansicht der Staatsanwaltschaft zu Unrecht als Betriebsausgabe verbucht wurde, für das Jahr 2006 die Gemeinnützigkeit aberkannt. Deshalb musste der DFB insgesamt 22 Millionen Euro zurückzahlen – eine enorme Summe für den ohnehin finanziell angeschlagenen Verband.
    Sollten die drei angeklagten Ex-Funktionäre freigesprochen werden, wäre ja strafrechtlich nachgewiesen, dass diese Zahlung vom DFB damals tatsächlich als Betriebsausgabe geltend gemacht werden durfte und eben keine Steuerhinterziehung vorliegt. Dann hätte der DFB allen Grund, diese Aberkennung der Gemeinnützigkeit anzufechten und die 22 Millionen vor dem Finanzgericht in Kassel mit Zinsen zurückzufordern.
    Sollte es eine außergerichtliche Einigung geben, ist eine nachträgliche Wiederherstellung der Gemeinnützigkeit nach Experten-Meinung unwahrscheinlich bis ausgeschlossen.
    Etwas absurd: Auch wenn der Prozess ergeben sollte, dass das Geld für Stimmenkauf bei der WM-Vergabe der WM 2006 bestimmt gewesen ist, könnte das gut für den DFB sein. Denn Korruptionszahlungen im Ausland waren 2002 nicht strafbar, sondern als Betriebsausgaben absetzbar gewesen. Auch dann könnte der DFB seine Gemeinnützigkeit – und seine Millionen – zurückerhalten. Diese Variante sei aber wohl nicht mehr nachweisbar, erklärt der sportpolitische SZ-Experte Thomas Kistner im DLF.