Donnerstag, 02. Mai 2024

Hockey-Bundestrainer Henning
„Die Fehler im Sport-System werden durch Scheindebatten überdeckt“

Braucht es mehr Druck auf Kinder, damit Deutschland wieder leistungsstärker wird? Diese Art der Debatte hat Hockey-Bundestrainer Andre Henning „sehr irritiert“, so der Weltmeister-Coach. Für 2024 hat er einen Wunsch an Olaf Scholz.

André Henning im Gespräch mit Maximilian Rieger | 30.12.2023
Hockey-Bundestrainer André Henning steht am Seitenrand eines Länderspiels.
Blickt skeptisch auf die Debatte im Jugendsport: Hockey-Bundestrainer André Henning. (IMAGO / Ostseephoto / IMAGO)
Auf dem Weg zum WM-Triumph musste die Hockey-Nationalmannschaft einige Rückschläge wegstecken. Im Viertel- und Halbfinale sowie auch im Endspiel liegt man jeweils mit 0:2 zurück und geht doch schlussendlich siegreich vom Platz. Nach einem Sieg gegen Belgien im Penalty-Schießen ist Deutschland zum dritten Mal nach 2002 und 2006 Hockey-Weltmeister.
„Ich weiß, wie lange die Jungs diesen Erfolg gesucht und ihm hinterhergelaufen sind – er war besonders schön“, erinnert sich Nationaltrainer André Henning im Dlf zurück. Die vielen Rückstände und Tore in letzter Minute machen für den Weltmeister-Coach „die Geschichte noch runder und noch schöner“.

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Denn im sportlichen Auf und Ab kam es nicht selten auch auf die mentale Stärke an: „Und das ist tatsächlich etwas, woran wir viel gearbeitet haben. Mental stabil zu sein, gerade dann, wenn es darauf ankommt.“

Empowerment als Schlüssel zum Erfolg

Laut dem 39-Jährigen sei Teil des Erfolgs gewesen, der Mannschaft als eigenständige Instanz Verantwortung zu übertragen – auf und neben dem Platz:
„Ich als Trainer berühre am Ende keinen Ball, alle Entscheidungen auf dem Platz trifft die Mannschaft. Dann muss sie natürlich auch bei Entscheidungsprozessen neben dem Platz viel eingebunden werden“, schildert Henning und schiebt nach: „Wir haben die ganze Intelligenz der Mannschaft nicht nur auf Hockey-Ebene, sondern in allen möglichen Organisationsebenen genutzt. Und da hat sich diese Truppe auch wirklich unglaublich eingebracht.“
Diese persönliche Entfaltung und die Führungskompetenz gilt es nach Meinung des Bundestrainers altersunabhängig zu fördern: „Bestenfalls fangen wir besonders früh damit an, damit wir genau diese Spielerpersönlichkeiten in solche Situationen heranführen.“ Diese Herangehensweise empfehle sich nicht nur im sportlichen Kontext:
„Es ist immer eine Frage als Führungskraft – nicht nur im Sport – wie ich zu meinen Leuten stehe und ob ich denen etwas zutraue und ob ich eben auch in der Lage bin, Verantwortung abzugeben, um dann im Gegenzug viel mehr Verantwortung wiederzukriegen.“

Diskussionen im Jugendsport: „Durch Scheindebatten überdeckt“

Die in diesem Jahr entbrannte Diskussion um neue Strategien im Jugendsport verfehlten derweil den ausschlaggebenden Punkt, so Henning: „Ich hatte schon den Eindruck, dass die Fehler, die im deutschen Sportsystem liegen, da durch Scheindebatten überdeckt wurden.“ Das schlechte deutsche Abschneiden bei der Leichtathletik-WM sowie der vorherrschende Eindruck einer enttäuschenden Fußball-Nationalmannschaft hatte die bundesweiten Rufe nach Veränderungen laut werden lassen.
„Es gibt eben zu wenig systematische Förderung. Da taten mir die Kinder und die armen Bundesjugendspiele Leid, die da als symbolhafte Diskussion herhalten mussten“, bilanzierte der Bundestrainer, der zugab: „Die Diskussion hat mich sehr irritiert, um ehrlich zu sein.“

„Mehr Menschen in der Breite für Sport begeistern“

Die Debatte um ausbleibende Erfolge und fehlende Leistungsbereitschaft hält der 39-Jährige für zu undifferenziert:
„Wenn ich mich richtig erinnere, ging es ja darum: Wie kann es sein, dass ein Leichtathletik-Team von einem großen Event ohne Medaille wieder zurückkommt? Und was ist mit unseren Mannschaftssportarten los? Das widerspricht sich ja zum Teil. Wir beim Hockey sind gerade mit den Männern Weltmeister. Unser U21 ist Weltmeister geworden und unsere U18 – männlich wie weiblich – sind Europameister.“ 

Henning wünscht sich den Bundeskanzler als Olympia-Gast

Stattdessen empfiehlt Henning, den Blick auf die Breite zu richten: „Vielleicht schauen wir auch mal, wie viele Sportstunden finden in Schulen tatsächlich pro Woche statt? Was können wir eigentlich den Sportverein Gutes tun? Und wie können wir sie unterstützen, um zum Beispiel mehr Hallenzeiten bekommen. Und ich glaube, da setzt man an, um mehr Menschen in der Breite für Sport zu begeistern.“
Notwendig sei dafür politische Rückendeckung. Daher wünscht sich Henning, dass Bundeskanzler Olaf Scholz bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris vor Ort zu Gast ist.
Olympia ist auch das nächste große Ziel für die Hockey-Nationalmannschaft. Um das Ticket nach Paris spielt das Team im Januar bei einem Turnier im Oman.