SPD besetzt viele Ämter
Gibt es eine Sozialdemokratisierung des Sports?

Viele herausgehobene Positionen im deutschen Sport sind mit Sozialdemokraten besetzt. Kritiker meinen, so werde versucht über den Hebel Sport Einfluss auf gesellschaftliche Debatten zu nehmen und den Sport zu politisieren. Ist da etwas dran?

Von Mathias von Lieben | 04.11.2023
DFB-Präsident Bernd Neuendorf (l.) mit Bundeninnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei der Fußball-WM in Katar 2022. Auch Neuendordf ist SPD-Mitglied.
DFB-Präsident Bernd Neuendorf (l.) mit Bundeninnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei der Fußball-WM in Katar 2022. Auch Neuendordf ist SPD-Mitglied. (IMAGO / Sven Simon / IMAGO / Frank Hoermann / SVEN SIMON)
Gibt es eine „sozialdemokratische Hegemonie im organisierten deutschen Sport“, wie das Online-Portal „Übermedien“ kürzlich vermutete? „Die SPD versucht hier praktisch alles ein bisschen nach einer gemeinsamen Linie tanzen zu lassen. Das liegt in der Natur einer Partei“, denkt auch Thomas Kistner, Sportjournalist bei der Süddeutschen Zeitung. Er sagt zwar: Dahinter stecke zwar keine Strategie – doch würde die SPD diese Konstellation jetzt in ihrem Sinne nutzen. „Das ist immer schlecht – egal welcher Couleur eine Partei ist, wenn alles so einheitlich ist, Stichwort Einheits-Parteitag des Sports.“
Im Zentrum seiner Kritik: der DFB. Auch der konservative Verleger und Publizist Wolfram Weimer hat DFB-Präsident Bernd Neuendorf im Debatten-Magazin „The European“ gerade „linksaktivistisches Verbandsmanagement“ vorgeworfen. Einerseits mit Blick auf die Berufung des als politisch links geltenden Andreas Rettig zum neuen Geschäftsführer Sport. Und andererseits mit Blick auf die Fußball-WM in Katar: „Ich bin der Auffassung, dass es möglich sein muss für Offenheit und Vielfalt einzustehen. Und zwar offen einzustehen.“

Kistner kritisiert Faesers One-Love-Binde

Innen- und Sportministerin Nancy Faeser saß mit One-Love-Binde am Arm beim Spiel gegen Japan neben FIFA-Boss Gianni Infantino. „Wenn wir dann sehen, dass das Ganze total gegen die Wand knallt vor lauter Polarisierung eines Themas“, kritisiert Sportpolitik-Experte Kistner diese Aktion, „dass man das Fußballspielen vergisst und irgendwo ganz hinten einordnet, dann ist das sehr schlecht. Dann ist hier eine politische Linie durchgesetzt worden, wo es drum geht, Gesinnung zu zeigen, Haltung zu zeigen.“
Er vermutet, wie auch Wolfram Weimer, dass die Kommunikationsagentur BrinkertLück dahintersteckt. Die berät sowohl den DFB – aber auch die SPD und hatte schon deren erfolgreichen Bundestagswahlkampf betreut. Die Agentur sagt: mit der Aktion hatte sie nichts zu tun.
Vielmehr, betont SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, habe es damals einen breiten gesellschaftlichen Aufschrei wegen der Zustände in Katar gegeben. „Und es gab das große Bedürfnis, dass die Bundesinnenministerin als Vertreterin unseres Landes sich dort positioniert. Dass ihr das jetzt ein Jahr später als Aktivismus ausgelegt wird, das kann man glaub ich nur daher konstruieren, wenn man unbedingt der SPD was ans Zeug flicken möchte.“
DFB-Präsident Neuendorf sagte damals, die Aktion mit Faeser Armbinde sei nicht abgesprochen gewesen. Die Binde habe sie vom DFB bekommen, entgegnete Faeser. Heute spricht ihr Ministerium auf Deutschlandfunk-Anfrage jedoch von einer persönlichen Entscheidung Faesers. Auch der DFB teilt auf Anfrage mit, dass er nicht in die Aktion eingebunden gewesen sei.

Kühnert: "Verschwörungstheoretische Züge"

„Also manches kann ich nicht anders bezeichnen, als dass das wirklich verschwörungstheoretische Züge hat", wird Kühnert, der im SPD-Parteivorstand auch für Sport zuständig ist, deutlich. Auch die Kritik daran, dass derzeit so viele prominente Ämter in der Sportpolitik und den Verbänden mit SPD-Leuten besetzt sind, kann er nicht nachvollziehen. Die Vorsitzenden der Sportfachverbände seien in internen Abstimmungen demokratisch gewählt worden – und nicht vom SPD-Parteivorstand oder vom Bundeskanzleramt. Sind es Sozialdemokraten wie Bernd Neuendorf beim DFB, lege der ja sein Wertefundament nicht gleich beiseite. „Aber das steht ja in aller Regel nicht im Widerspruch mit den Linien ihrer Verbände. Das ist die gute alte Verwechslung, auf die wir auch jetzt wieder treffen. Dass Verbände zwar überparteilich zu sein haben. Aber Überparteilichkeit heißt nicht unpolitisch zu sein.“
Generell, teilt auch der DFB mit, würden Positionen auch nicht nach Parteibuch besetzt. Bernd Neuendorf ist der erste DFB-Präsident aus der SPD überhaupt, vor ihm waren es häufig Männer mit CDU-Parteibuch, unter anderem Gerhard Mayer-Vorfelder oder Reinhard Grindel.

Kühnert: Haltung des DFB-Präsidenten nicht von Parteimitgliedschaft abhängig

Die Haltung des DFB dürfe ohnehin nicht von der Parteimitgliedschaft des Präsidenten abhängig sein, findet Kevin Kühnert: „Der Fußball soll und muss eine Haltung vertreten. Das tut der DFB auch in seinen Statuten und seit vielen Jahren in seinen Beschlüssen. Er tritt gegen Rassismus, gegen Antisemitismus, gegen Ausgrenzung ein. Das zu tun, ist sich politisch zu positionieren. Das ist auch keine rot-grüne Agenda, sondern das sollte breiter Konsens in der Mitte unserer demokratischen Mehrheitsgesellschaft sein.“
„Natürlich gibt es parteipolitische Unterschiede im Sport. Aber die sind bei weitem nicht so stark ausgeprägt wie sie in anderen Politikfeldern ausgeprägt sind.“ Jürgen Mittag ist Professor für Sportpolitik an der Sporthochschule Köln. Mittag ist selbst auch SPD-nah, setzt sich mit der Partei und deren Sportpolitik aber kritisch auseinander. „Was wir viel häufiger in der Sportpolitik erleben ist, dass es viel häufiger um die Fragen geht, welche Positionen bezieht der Sport als Ganzes gegenüber anderen Bereichen.“
Mittag sagt weiter: Im Sport gebe es zwar sehr viele personelle Netzwerke und oft auch Gelegenheit sich auszutauschen. Das bestätigt Verena Bentele im Gespräch mit dem Deutschlandfunk: „Jeder von uns, der politische Kontakte hat, nutzt sie natürlich auch, um den Sport in die Politik reinzutragen. Aber das machen wir wirklich bei allen, die in verantwortlichen Positionen sind.“

Auch DOSB-Spitze Mitglied der SPD

Bentele, mehrfache Paralympicssiegerin, ist DOSB-Vizepräsidentin und Präsidentin des Sozialverbands VdK. Auch sie ist wie DOSB-Chef Thomas Weikert SPD-Mitglied. Der Dachverband versucht aktuell noch einmal den Weg für eine deutsche Olympiabewerbung zu bereiten. "Und dass wir das jetzt eben noch mal probieren, ist eben als neu gewähltes Präsidium für uns jetzt noch mal eine große Möglichkeit dem deutschen Sport was zurückzugeben und für den deutschen Sport durch die Spiele Strukturen zu verfestigen.“
"Da wird jetzt aus meiner Sicht versucht eine wie immer völlig aussichtslose Olympia-Bewerbung auf die Beine zu stellen", kritisiert SZ-Journalist Kistner, der sich vor allem daran stört, dass aus dem SPD-geführten Sportministerium heraus eine deutsche Bewerbung für die Olympischen Spiele 2036 initiiert worden sei, die nun mithilfe des ebenfalls SPD-geführten DOSB durchgezogen werde:  "Mit den üblichen Gedanken natürlich: Dass man hier wieder versucht eine Einheit in einer erkennbar schon gespaltenen Gesellschaft herbeizuführen. Also das sind politische Linien, die auf dem Feld des Sports ausgetragen werden. Und das ist nicht gut."
Die Menschen hätten aber aktuell ganz andere Sorgen als schöne Gemeinschaftsprojekte wie Olympische Spiele. Für mich ist das Wichtigste wirklich, dass wir uns alle positionieren müssen, wie gehen wir zum Beispiel mit Konflikten auf der Welt um, wenn zum Beispiel Sportlerinnen und Sportler aus Ländern kommen, die gerade in einer kriegerischen Auseinandersetzung sind. Das sind Themen, mit denen wir uns ethisch und menschenrechtlich auseinandersetzen müssen", verteidigt sich DOSB-Vizepräsidentin Bentele. „Und das hat nichts damit zu tun welcher Partei man gehört, sondern eher, wie man sich hier positioniert als deutscher Sport. Wie viel Politik ist im Sport? Wie viel Sport ist im Sport? Das sind eher die spannenden Fragen gerade.“