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Stammzellenforschung
Stress macht Mäusehaare grau

"Lass Dir darüber keine grauen Haare wachsen" - dieser Ratschlag aus dem Volksmund gilt offenbar auch in der Tierwelt. Stammzellenforscher an der Harvard University haben jetzt nachgewiesen, dass Stress bei Mäusen zu grauen Haaren führt.

Von Magdalena Schmude | 23.01.2020
Zwei graue Hausmäuse sitzen auf einem Seil.
Plötzlicher Stress lässt Mäuse ergrauen. Ursache ist eine Veränderung derjenigen Stammzellen, die für die Farbpigmente zuständig sind (picture alliance / dpa / ZPress)
Die Stammzellbiologin Ya-Chieh Hsu forscht am Harvard Stem Cell Institute und interessiert sich dafür, wie Stammzellen die Regeneration von Geweben steuern. Weil sie für ihre Forschung Haut und Haare als Modell nutzt, kennt auch sie viele Geschichten über den sichtbaren Einfluss von Stress.
"Jeder kennt eine Geschichte darüber, wie seine Haut oder die Haare auf Stress reagieren. Das hat mir gezeigt, wie wenig wir tatsächlich darüber wissen, welchen Einfluss Stress auf die Stammzellen hat, und besonders auf die in der Haut."
Bei Mäusen hatten Ya-Chieh Hsu und ihr Team beobachtet, dass verschiedene Reize, die bei den Tieren Stress auslösen, dazu führen, dass in ihrem Fell innerhalb weniger Tage nur noch graue Haare nachwuchsen. Egal ob die Wissenschaftler die Käfige der Tiere immer wieder überraschend in Schieflage brachten, das Licht an und ausschalteten oder ihnen eine Substanz verabreichten, die ähnlich wie Pfeffer wirkt - sobald die Mäuse gestresst waren, wurde ihre Fell an Bauch und Rücken grau. Diesen Prozess wollten die Wissenschaftler verstehen.
Stress vernichtet Stammzellen im Gewebe
Für die Farbe der Haare sind bestimmte Zellen verantwortlich, die Melanozyten genannte werden. Sie sitzen in den Haarfollikeln in der Haut, in denen auch die Haare gebildet werden. Diese Zellen produzieren Pigmente, die sich in die wachsenden Haare einlagern und sie so je nach Zusammensetzung heller oder dunkler aussehen lassen. Die Melanozyten werden immer dann neu gebildet, wenn gerade ein Haar entsteht. Dafür sind die Melanozyten-Stammzellen zuständig, die ebenfalls in den Follikeln sitzen. Sie können sich bei Bedarf teilen und so neue pigmentproduzierende Zellen liefern. Wo genau Stress in diesen mehrstufigen Prozess eingreift, mussten Ya-Chieh Hsu und ihre Team als erstes herausfinden.
"Wirkt Stress auf dem Level der Stammzellen oder auf die Melanozyten, die die Pigmente bilden? Oder stört er irgendwie die Bildung der Pigmente? Wir haben dann gemerkt, dass Stress unmittelbar auf die Stammzellen wirkt. Stress vernichtet quasi die Stammzellen in diesem Gewebe."
Normalerweise ruhen die Stammzellen in den Haarfollikeln die meiste Zeit und werden nur aktiv, wenn neue Melanozyten gebildet werden sollen. Doch unter Stress fangen die Stammzellen an, sich für kurze Zeit massiv zu teilen. Dann entwickeln sie sich selbst zu Melanozyten und wandern aus den Haarfollikeln in andere Bereiche der Haut.
"Und was bedeutet das für die Veränderung der Haarfarbe? Wenn die Stammzellen weg sind, können keine pigmentproduzierenden Melanozyten mehr gebildet werden. So lange davon noch welche da sind, hat das Haar noch seine Farbe. Aber wenn neues Haar gebildet wird, fehlen die Stammzellen, die normalerweise die Melanozyten bilden. Und dann wird der Effekt sichtbar."
Sympathische Nervensystem für Veränderung verantwortlich
Stress wird im Körper auf drei Arten vermittelt: Erstens über das Immunsystem, das bei Stress hochfährt. Zweitens auf der hormonellen Ebene, wo vor allem das Stresshormon Kortison eine Rolle spielt. Und drittens über das Nervensystem. Dabei versetzt die Aktivierung des Sympathikus-Nervs den Körper in Alarmbereitschaft, was auch als Kampf-oder-Flucht-Reaktion bezeichnet wird. Nach dem Ausschlussprinzip untersuchten Ya-Chieh Hsu und ihre Team bei Mäusen, welcher der drei Mechanismen die Melanozyten-Stammzellen negativ beeinflusst.
"Wir haben zuerst den Einfluss des Immunsystems getestet, und dann ob Kortison eine Rolle spielt. Aber es zeigte sich, dass beides nicht der Grund ist. Das sympathische Nervensystem war das letzte, an das wir gedacht haben."
Jeder Haarfollikel wird direkt von einem sympathischen Nerv angesteuert. Wird dieser aktiviert, schüttet er den Botenstoff Noradrenalin aus, der dann auf die Zellen im Follikel wirkt. Doch als die Forschenden Mäuse, bei denen der Sympathikus-Nerv dauerhaft ausgeschaltet war, ebenfalls unter Stress setzen, blieben deren Haare unverändert. Das zeigt, dass die Aktivierung des Sympathikus und die biochemischen Signale, die er anschließend abgibt, für den Verlust der Stammzellen verantwortlich sind. Für Ya-Chieh Hsu eine unerwartete Entdeckung.
"Wir sehen den Sympathikus immer als eine Art Notfall-System für die Kampf-oder-Flucht-Reaktion, die vorteilhaft für uns ist oder wenigstens vorübergehend und umkehrbar. Aber hier haben wir entdeckt, dass der Sympathikus-Nerv auch unumkehrbare Effekte haben und eine ganze Stammzell-Population für immer verschwinden lassen kann. Das war für mich eine große Überraschung."
Zweck des Ergrauens unbekannt
Welchen biologischen Nutzen der Mechanismus hat, der entfernt an den Farbwechsel von Tintenfischen bei Gefahr erinnert, ist unklar. Und auch, ob Stress beim Menschen nach dem gleichen Prinzip auf die Haare wirkt, muss erst untersucht werden. Ya-Chieh Hsu betont deshalb, dass ihre Entdeckung nicht bedeutet, dass es bald ein Mittel gegen stressbedingt ergraute Haare geben könnte, denn dafür sind noch zu viele Fragen offen. Am Besten scheint es also weiterhin zu sein, sich erst gar keine grauen Haare wachsen zu lassen.