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Stoke-on-Trent
Brexit sorgt für vergiftetes Klima

Der erbitterte Streit über den Brexit hat die britische Gesellschaft tief gespalten. Die Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber - Hass und Hetze gedeihen. Nicht zuletzt viele Ausländer leiden unter einer zunehmend feindseligen Stimmung.

Von Christoph Heinzle |
Geschlossene Geschäfte in Stoke-on-Trent.
Geschlossene Geschäfte in Stoke-on-Trent. (dpa / Silvia Kusidlo)
Niedergang der Industrie, hohe Arbeitslosigkeit, Armut, soziale Probleme. Die Folgen sind in der Großstadt Stoke-on-Trent zwischen Birmingham und Manchester deutlich zu sehen. Sichtbar auch: der hohe Anteil von Migranten. Vor allem Menschen mit pakistanischem Hintergrund trifft man hier im Stadtteil Shelton - aber auch Europäer.
Seit in Stoke knapp 70 Prozent für den Austritt Großbritanniens aus der EU gestimmt haben, ist das Klima für sie rauer geworden, erzählt der Portugiese Rui, der gerade seine Tochter aus dem Kindergarten abholt:
"Die Brexit-Befürworter schikanieren Ausländer. Deshalb wollen sie den Brexit ja. Das Referendum basierte auf der Lüge, nach dem Brexit wäre man die Ausländer los und niemand würde mehr kommen."
Politiker setzen den Ton
Das schlägt sich auch in Statistiken nieder: Hasskriminalität - und dabei vor allem rassistische Attacken - haben in Stoke-on-Trent seit der Volksabstimmung stark zugenommen. Oft sind es Pöbeleien, manchmal aber auch tätliche Angriffe.
Simon Harris leitet das Bürgerberatungsbüro in Stoke und stellte fest, dass sich die Zahl der "hate crimes" in wichtigen Phasen der Brexit-Debatte viervierfacht hat.
"Die Leute fühlen sich wegen des Tons der öffentlichen Diskussion darin bestärkt, ihren Hass zu äußern", so Harris. "Politiker müssen vorsichtig bei ihrer Wortwahl sein. Oft waren sie ziemlich zynisch und haben Unruhe verursacht.
Die Dunkelziffer ist hoch. Betroffenen fällt es oft schwer, Vorfälle zu melden. Und erst recht, öffentlich darüber zu sprechen. Der BBC erzählte Edyta Kastelik aus der Nähe von Birmingham, sie und ihre Freunde müssten sich oft Dinge anhören wie: "Ihr nehmt uns die Jobs weg, geht zurück nach Polen." Nach dem Brexit-Referendum habe das zugenommen.
Shazia Nasreen wurde sogar mit einem Stein beworfen und als "Paki" beschimpft. Die Angreifer forderten sie auf, Großbritannien zu verlassen. Sie sei hier nicht willkommen. "Ich hatte wirklich Angst", sagt Nasreen.
Minderheiten im Fokus
Und längst geht es nicht mehr nur gegen Ausländer und Migranten. Auch Angriffe etwa auf Homosexuelle hätten zugenommen, berichtet die Wissenschaftlerin Kate Ferguson. "Wenn Gewalt gegen eine Gruppe zunimmt, dann nimmt auch Gewalt gegen andere Gruppen zu", sagt sie.
Durch die britische Gesellschaft geht ein Riss, der nicht so leicht zu kitten ist, meint Bürgerberater Harris.
"Wir müssen mit den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen arbeiten und verdeutlichen, dass es mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes gibt. Und die Menschen müssen sich wieder sicherer fühlen, zuversichtlicher mit Blick auf ihre Zukunft. Dann bräuchten sie weniger ein Ventil um Frust, Wut und Angst abzulassen."
Zerstört sei der Zusammenhalt der Gesellschaft schnell, der Aufbau dauere viel länger, sagt Kate Ferguson von der Organisation "Protection Approaches". Selbst wenn die Neuwahl im Dezember eine Lösung für den Brexit brächte, könnte der Hass ihrer Meinung nach noch zunehmen.
"Egal wie es ausgeht, wird eine große Minderheit das Gefühl haben, dass ihre Identität betroffen ist. Wir haben also noch einige schwere Jahre vor uns."