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Strafbare Cum-ex-Geschäfte
Es wird weiter gehandelt

Für Cum-cum und Cum-ex Geschäfte braucht es vermögende Privatpersonen, die ihr Geld lukrativ anlegen wollen. Und Investmentbanker, die mit einem Netzwerk aus Investoren, Banken und Beratern Briefkastenfirmen gründen, um eine Steuererstattung zu bekommen. Mit zwei Investigativ-Journalisten unterwegs.

Von Jennifer Lange | 19.10.2018
    Die Skyline des Londoner Finanzzentrums "The City" - gesehen von der Tate Modern.
    Die Recherchen von 38 Journalisten aus zwölf Ländern zeigen, dass ein Steuerraub noch immer möglich ist - in Deutschland und in ganz Europa. Im Bild: Die Skyline des Londoner Finanzzentrums "The City" (dpa)
    In der Westminster Suite im höchsten Wolkenkratzer der EU bereiten zwei Journalisten ihr Treffen vor. Christian Salewski und Oliver Schröm verstecken fünf Kameras. Eine Linse lugt unauffällig aus einem Buch, drei sind als Powerbanks getarnt und eine liegt in der Einkaufstüte einer teuren Modemarke. Das Mikrofon klebt Christian unter den Couchtisch.
    "Ich befestige hier ein Aufnahmegerät. Weil wir hier in der schönen Lage sind, in England ist es nicht illegal, Ton aufzunehmen bei versteckten Drehs. Und das nutzen wir natürlich aus... So, ob man das jetzt sieht?"
    Er läuft zur Tür, kontrolliert, ob man das klobige Gerät vom Eingang aus, sehen kann. "Sieht man nicht. Ne. Kommt man da mit dem Fuß gegen? Auch nicht. Gut, gut."
    Bereicherung auf Kosten von Staat und Steuerzahler
    Ein halbes Jahr haben sie auf dieses Treffen hingearbeitet, haben Offshore-Firmen genutzt und Vermittler in Dubai. Haben sich extra schicke Klamotten gekauft. Heute geben sie sich als Sprösslinge einer deutschen Milliardärs-Familie aus, die ihr Geld ganz dringend in lukrative Steuer-Geschäfte in Europa anlegen wollen.
    Nervös sitzen sie auf dem Sofa, warten die letzten Minuten auf einen Londoner Investmentbanker.
    "Wir müssen dieses Wahnsinns-Setting wählen, damit unsere Legende halbwegs glaubwürdig ist. Also die Legende ist: Wir sind jetzt gerade mit einem Privatjet eingeflogen und machen hier kurzen Stop-over, haben hier ganz viele Termine, es geht nur um Investments, und er ist jetzt einer, der einen kleinen Slot kriegt, um sozusagen seine Geschäftsidee bei uns zu pitchen. Und seine Geschäftsidee klingt sehr nach Geschäften, wo die ganze Rendite aus dem Steuersäckel kommt. Und da wir davon ausgingen bisher, dass das eigentlich vorbei sei, mit Cum-Ex und ähnlichen Geschäften, ist das halt sehr, sehr spannend."
    Im Jahr 2012 ist in Deutschland ein Gesetz in Kraft getreten, dass klassische Cum-Ex-Geschäfte unmöglich gemacht hat. 2016 folgte eine Gesetzesänderung, die Cum-Cum Geschäften ein Ende bereiten sollte. Egal, wie man die Deals nennt, ob Cum-Ex, Cum-Cum oder Looping, es geht immer um steuergetriebene Geschäfte mit Dividenden, und zwar durch den sehr schnellen Kauf und Verkauf von Aktienpaketen. Das Ziel: Sich vom Finanzamt Steuergeld erstatten zu lassen, das einem eigentlich nicht zusteht. Und diese Erstattung passiert einmal, zweimal, teils beliebig oft. Auf diese Weise bereichern sich einige tausend Menschen auf Kosten des Staates. Sie greifen in die Kasse, in die ehrliche Steuerzahler zuvor eingezahlt haben. Und dieses Geld fehlt – für den Bau von Straßen, Brücken oder Kindergärten.
    Steuerkassen werden weiter systematisch geplündert
    Es ist 14 Uhr. Der Investmentbanker betritt das Hotelzimmer. Er hat ein offenes, sympathisches Gesicht, trägt ein weißes Hemd mit Manschettenknöpfen und einen dunkelbauen Anzug. Christian tut so als würde er telefonieren. Wichtige Geschäfte. Dem Investmentbanker nickt er nur kurz zu. Er will klarmachen, wer hier der Chef ist und wer hier wessen Geld will. Nur keine Nervosität anmerken lassen. Der Investmentbanker packt seine Tasche aus, legt eine gebundene Präsentation auf den Couchtisch. Oliver greift nach dem Heft. Christian startet das Gespräch.
    "Also, was können Sie uns anbieten?"
    "Was ich Ihnen anbieten kann, ist eine solide Infrastruktur. Das gibt Ihnen die Basis, das Geschäft weiterzuentwickeln. In Bezug auf die Märkte, wie Sie hier sehen können, haben wir Frankreich, Italien, Spanien als die drei Hauptmärkte. Norwegen und Finnland sind gerade am Kommen. Deutschland fassen wir gerade eher nicht an. Ich denke, aus meiner Perspektive, also, so wie die Situation in Deutschland gerade ist, würde ich dem Land noch mindestens, ich sage mal, ein Jahr Zeit geben, bevor wir wieder in den Markt hineingehen. Es gibt Leute, die Deutschland handeln, verstehen Sie mich nicht falsch. Wenn Sie daran Interesse haben, können wir das weiter untersuchen."
    Die Steuerräuber scheinen also noch in Deutschland aktiv zu sein. Und sie haben dort nicht halt gemacht. Sie sind weitergezogen. In andere europäische Länder.
    Ein Schaden von mindestens 55 Milliarden Euro
    Die Recherchen von 38 Journalisten aus halb Europa zeigen, dass die Steuerkassen bis heute systematisch geplündert werden. Betroffen sind neben Deutschland mindestens zehn weitere europäische Länder. Der Schaden beläuft sich auf mindestens 55 Milliarden Euro. Die Berechnung beruht auf Auskünften von Steuerbehörden sowie Analysen von Marktdaten.
    Möglich wurde dieser Betrug auch dadurch, dass ein Informationsaustausch zwischen den Behörden über die Aktiengeschäfte innerhalb Europas kaum stattgefunden hat.
    Im Hotelzimmer hören Christian und Oliver dem Investmentbanker interessiert zu. Sie halten inzwischen ein Angebot in den Händen. Darin geht es um Steuergeschäfte in sieben Ländern, darunter Frankreich, Italien und Spanien. Der Investmentbanker will 20 Prozent des Gewinns. Das Geschäft würde über eine große japanische Bank abgewickelt werden. Die Bank würde für die beiden alle Formalitäten mit den Steuerbehörden in den betreffenden Ländern klären. Das heißt, kein Risiko, aber Steuergeld en masse.
    Mit Cum-Ex habe das Geschäft nichts zu tun, sagt der Investmentbanker. Oliver hakt nach.
    "Gibt es dann einen neuen Titel? Oder wie würden Sie das Geschäft heute nennen? Wenn es nicht Cum-Ex ist?"
    "Ich würde es Ereignis-getrieben nennen", antwortet der Banker.
    "Event-driven" oder "Ereignis-getrieben" ist ein anderer Ausdruck für "Handeln rund um den Dividendenstichtag", also rund um die Hauptversammlung, zu der die Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet wird. Oliver hakt weiter nach:
    "Aber, komm schon, wir müssen hier nicht um den heißen Brei herumreden, das Geld kommt von der Steuer. Auch hier."
    "Natürlich", antwortet der Banker.
    Kleine Schweißperlen auf der Stirn des Bankers
    Also, auch wenn er es nicht Cum-Cum oder Cum-Ex nennen will: Es ist eine verwandte Form davon. Und um die Maschinerie in Gang zu setzen, braucht er vermögende Privatpersonen, wie Christian und Oliver. Der Investmentbanker baut also ein Netzwerk aus Investoren, Banken und Beratern, muss Briefkastenfirmen gründen, nur um eine Steuererstattung zu bekommen. Die eigentlich weder ihm, noch den anderen Beteiligten im Netzwerk zusteht.
    Die drei schütteln sich zum Abschied die Hände. Auf der Stirn des Bankers haben sich kleine Schweißperlen gebildet.
    "Vielen Dank, Gentlemen. Was auch immer Sie brauchen, wenn Sie irgendwelche Fragen haben, fragen Sie. Ich werde mein Bestes geben, alles wie gewünscht zu beantworten."
    "Danke."
    Christian und Oliver schauen sich ungläubig an. Es hat tatsächlich geklappt. Er hat ihnen ihre Geschichte geglaubt. Jetzt haben die beiden Journalisten einen Beleg, schwarz auf weiß. Steuergetriebene Geschäfte sind demnach weiter möglich. In Europa, aber offensichtlich auch in Deutschland. Oliver lässt sich zurück auf die Couch fallen.
    "Ich hätte nicht gedacht, dass er so deutlich wird. So deutlich sagt, wo es geht. Und dass es einfach Steuergelder sind, die geklaut werden. Eigentlich hat er schamlos erzählt wie es läuft."