Fußball-Bundesliga
Strafbefehle gefährden Fanprojekte

Mitarbeiter des Fanprojekts Karlsruhe haben Strafbefehle bekommen, weil sie bei einem Pyro-Vorfall keine Aussage gemacht haben. Da diese als Vorstrafe zählen, wehren sie sich jetzt vor Gericht. Der Fall könnte die Arbeit aller Fanprojekte in Deutschland beeinträchtigen.

Von Thorsten Poppe |
Banner der TSG Ultras zeigt: "Ob in Sinse, in Ka (Karlsruhe) oder sonst wo, Zeugnisverweigerungsrecht fuer alle Fanprojekte jetzt"
Fußballfans fordern das Zeugnisverweigerungsrecht für alle Fanprojekte (picture alliance / Eibner-Pressefoto / Eibner-Pressefoto / Memmler)
Sophia Gerschel vom Fanprojekt Karlsruhe soll wie zwei weitere Kollegen jeweils 120 Tagessätze á 60 Euro als Strafe entrichten. So der Strafbefehl, den die Staatsanwaltschaft Karlsruhe initiiert hat. "Den haben wir bekommen wegen des Tatvorwurfs der Strafvereitelung. Der dadurch entstanden ist, dass wir unsere Zeugenaussagen verweigert haben. Was im Endeffekt bedeutet: 7.200 Euro Strafe und vorbestraft. Weil: ab 91 Tagessätzen ist man vorbestraft!"
Auslöser für die Zeugenbefragung der Sozialarbeiter durch die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ist eine Pyro-Aktion einer Ultra-Gruppierung aus dem Jahr 2022. Wegen des massiven Abbrennens von Pyrotechnik ist es zu Strafverfahren gekommen, auch weil es damals Verletzte gegeben hat.

Zeugnisverweigerungsrecht gilt nicht für Sozialarbeiter

Deshalb sei es nur logisch gewesen, auch die Sozialarbeiter dazu zu befragen, begründet Staatsanwalt Manuel Graulich im ZDF: "Den Mitarbeitern des Fanprojekts, da gibt es ja drei Sozialarbeiter, dass denen im Rahmen der weiteren Ermittlungen natürlich Fragen gestellt wurden, um diese Bezüge aufzuklären. Wer hatte beispielsweise Schlüssel für das Fanprojekt? Wer konnte sich da bewegen? Wer hatte letztlich Umgang?"
Das wollten und wollen die Sozialarbeiter nicht beantworten und verweigerten eben die Aussage. Da es allerdings kein Zeugnisverweigerungsrecht für die Berufsgruppe "Soziale Arbeit" gibt, sind Strafbefehle ausgestellt worden. Für Sophia Gerschel nicht nachvollziehbar:
"Wir werden gegen diesen Strafbefehl vorgehen, weil für uns ganz klar ist, die soziale Arbeit zu schützen, das Vertrauen zu schützen, die Beziehungsarbeit zu schützen. Und dafür werden wir auch weiter kämpfen, mit allen, die uns dabei weiter unterstützen!"

DFL und DFB: Vertrauensverhältnis zwischen Fans und Fanprojekten elementar

Im Oktober kommt es deshalb zu einer Gerichtsverhandlung über die Strafbefehle. Dabei geht es vor allem um die aufsuchende und sozialpädagogische Arbeit mit jugendlichen und heranwachsenden Fußballfans, die die Fanprojekte leisten. Rund 70 Standorte gibt es mittlerweile von der Bundesliga bis runter in die Regionalligen, unter anderem finanziert von DFL und DFB.
In einer gemeinsamen Stellungnahme letztes Jahr zeigten sich die Verbände davon überzeugt, dass Fanprojekte positiven Einfluss auf junge Fußballfans nähmen, indem sie diese auf ihrem Weg ins Erwachsenenalter begleiten würden. Dazu sei ein gutes und stabiles Vertrauensverhältnis zwischen Fans und Mitarbeitenden der Fanprojekte von elementarer Bedeutung. Wörtlich heißt es weiter:
"Die Erfahrungen zeigen: Wird dieses Verhältnis gestört, verlieren Fanprojekte das Vertrauen und ihre Arbeit nimmt gravierenden Schaden, der kaum zu reparieren ist. Dessen müssen sich alle Beteiligten bewusst sein."

Staatsanwaltschaft: Ermittlungen nur wegen Pyro-Aktion

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe macht deutlich, dass es nie darum gegangen sei, sensible Informationen über Ultragruppierungen zu bekommen, sondern ausschließlich um die Strafermittlung wegen der Pyro-Aktion: "Inhalte einer sozialarbeiterischen Tätigkeit, eben Beratungsgespräche oder sonstige Gespräche mit Fußballfans, die waren zu keinem Zeitpunkt Thema der Ermittlungen!"
Auf eine Deutschlandfunk-Anfrage stellt die Behörde klar, dass die Mitarbeiter des Fanprojekts im Rahmen ihrer Jugendsozialarbeit grundsätzlich auf einen vertraulichen Umgang angewiesen seien. Dies sei im Rahmen der Zeugenvernehmungen auch berücksichtigt worden.

Forderung nach Zeugnisverweigerungsrecht für Fanprojekt-Mitarbeiter

Für Sophia Gerschel ist die Entwicklung jedoch eine sehr belastende Situation, die mittlerweile weit über ihre eigentliche Arbeit hinausgehe: "Aus unserer Sicht fehlt einfach die Beschäftigung mit dem Thema, weswegen wir das eigentlich alles tun. Also, dass es uns nicht darum geht, Täterinnen oder Täter zu schützen, sondern er geht darum, unsere Arbeit zu schützen. Das wird mit den Strafbefehlen und dem Fortführen des Prozesses völlig außer Acht gelassen!"
Die Verbände DFB und DFL appellieren jedenfalls, dass eine Einbeziehung in Ermittlungsverfahren von Fanprojekt-Mitarbeitenden immer nur als letztes Mittel und nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit erfolgen dürfe. Darüber hinaus setzen sich mittlerweile viele aus der Sozialen Arbeit für ein Zeugnisverweigerungsrecht ein, so wie es Ärzte oder Journalisten genießen. Dafür müsste die Politik allerdings die Voraussetzungen schaffen, so Sophia Gerschel:
"Es ist ja klar, es braucht für Gesetzesänderungen oftmals Präzedenzfälle. Und wir haben uns natürlich bewusst dafür entschieden, wir müssen dieses Thema vorantreiben. Und wenn es jetzt der Moment ist, dass wir drei das sind im Fanprojekt Karlsruhe, dann gehen wir diesen Schritt. Um für die soziale Arbeit eine Veränderung zu bringen!"