Donnerstag, 25. April 2024

Fußball-Bundesliga
Fanprojekte fordern Zeugnisverweigerungsrecht

Eine staatsanwaltschaftliche Vorladung für Fanprojekt-Mitarbeiter löst eine Debatte um ein Zeugnisverweigerungsrecht aus. Das Vertrauen jugendlicher Fußballfans ist für Sozialarbeit Grundvoraussetzung, doch vor diesem Hintergrund kaum zu erreichen.

Von Thorsten Poppe | 06.05.2023
Fans von Schalke 04 fordern ein Zeugnisverweigerungsrecht für Fanprojekte.
Fans von Schalke 04 fordern ein Zeugnisverweigerungsrecht für Fanprojekte. (IMAGO / RHR-Foto / IMAGO / RHR-FOTO)
Als sich am 17. Spieltag der 2. Bundesliga Karlsruhe und St. Pauli ein spektakuläres 4:4 liefern, muss das Spiel 15 Minuten später angepfiffen werden. Eine Karlsruher Ultra-Gruppe feiert ihren Geburtstag mit einer ausgiebigen Pyro-Show. Mehr als zehn Menschen werden durch den dichten Rauch verletzt. Die Polizei nimmt Ermittlungen auf. Jetzt sollen auch drei Mitarbeiter des Karlsruher Fanprojektes als Zeugen vorgeladen werden – ein Vorgehen, das bundesweit in den Fankurven für Verunsicherung sorgt.
Denn Fanprojekte leisten laut eigener Definition präventive, aufsuchende und sozialpädagogische Arbeit mit jugendlichen und heranwachsenden Fußballfans. Die Grundlage hierfür: Vertrauen.

Redaktionell empfohlener externer Inhalt

Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

Doch mit der Vorladung könnten die Mitarbeiter jetzt gezwungen sein, über vertrauliche Gespräche mit den Ultras auszusagen, befürchtet der Träger des Fanprojekts.

Kein Zeugnisverweigerungsrecht für Mitarbeiter von Fanprojekten

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe macht allerdings auf Deutschlandfunk-Anfrage klar: Ein Zeugnisverweigerungsrecht für Mitarbeiter von Fanprojekten gibt es nicht: „Die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, Straftaten aufzuklären und sich hierzu aller in Betracht kommenden Beweismittel zu bedienen. Dass die Mitarbeiter des Fanprojekts im Rahmen ihrer Jugendsozialarbeit grundsätzlich auf einen auch vertraulichen Umgang angewiesen sind, ist der Staatsanwaltschaft bewusst und wird im Rahmen der Zeugenvernehmungen berücksichtigt."
Zudem gehe es in keiner Weise darum, Erkenntnisse über die internen Strukturen und Verflechtungen der organisierten Fanszene zu erhalten, so die Staatsanwaltschaft Karlsruhe weiter.
Das Vorgehen sorgt bei den Fanprojekten trotzdem für Kritik.
„Die Mitarbeiter:innen der Fanprojekte machen an einigen Stellen aktuell die Erfahrung, dass die soziale Arbeit von der Polizei untergraben wird, angegriffen wird, und zum Teil auch unmöglich gemacht wird!“ sagt Sophia Gerschel. Sie ist Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte, und gibt im Gespräch mit dem Deutschlandfunk an, dass Sozialarbeit im Fußball von den Sicherheitsbehörden verstärkt ins Visier genommen würde: „Das geht von Personalienaufnahmen in polizeilichen Maßnahmen, über vermehrte Zeuginnenvorladungen von Staatsanwaltschaft oder Polizei. Auch körperliche Angriffe im Rahmen von Spieltagsbegleitung und das sind nur beispielhafte Situationen, die auf Fanprojekt-Mitarbeitende zum Teil zukommen in der Begegnung mit Polizei. Was die Kommunikation mit der Polizei absolut erschwert, oder zum Teil auch unmöglich macht.“
Konkret überprüfen lassen sich diese Aussagen nicht, es gibt aber immer wieder Einzelfälle.

Auch Dresdner Fanprojekt-Mitarbeitende vorgeladen

Auch der Fanprojektleiter Dresden, Ronald Beć, hat eine ähnliche Erfahrung Anfang des Jahres auf einer Veranstaltung öffentlich gemacht: „Da gab es das Aufstiegsspiel von Dynamo Dresden in Magdeburg und auf der Rückfahrt von diesem Spiel kam es zu Sachbeschädigungen in dem Zug. Im Nachgang sind dann die zwei Kolleginnen, die dort vom Fanprojekt Dresden mitgereist sind, von der Bundespolizei vorgeladen worden zu diesen Sachbeschädigungen.“
Die Konsequenzen daraus seien für die Sozialarbeit immens gewesen, so Beć weiter: „Seit diesem Moment haben wir keine Züge mehr begleitet. Das ist für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die aufsuchende Arbeit machen, total blöd, keine aufsuchende Arbeit zu machen!“
Deshalb fordert ein Aktionsbündnis aus der sozialen Arbeit, dass auch Sozialarbeiter ein Zeugnisverweigerungsrecht erhalten. Bisher dürfen zum Beispiel Pfarrer oder Ärzte vor Gericht die Aussage verweigern, aber auch wer zum Beispiel Schwangerschaftsberatungen macht. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Fanprojekten haben dieses Recht nicht.

Rechtsgutachten bestätigt Bedarf für Zeugnisverweigerungsrecht

Das habe Einfluss auf das Vertrauensverhältnis zu den Anhängern, das damit erheblich gestört werde, so Sophia Gerschel von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte: „Dieses Vertrauen gilt es zu schützen von der Politik und allen anderen, damit diese soziale Arbeit auch funktionieren kann. Das gilt es zum einen zu schützen durch ein Zeugnisverweigerungsrecht. Zum anderen aber auch durch ein Verständnis und eine Wertschätzung der sozialen Arbeit und der Fansozialarbeit.“
Ein erstes wissenschaftliches Rechtsgutachten, beauftragt aus der Sozialarbeit, konstatiert gerade für Fanprojektmitarbeiter einen konkreten Bedarf für ein solches Zeugnisverweigerungsrecht. Bisher gibt es allerdings keine Pläne aus der Politik, so etwas zum Beispiel im Fußball zu etablieren.