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Streit um Grundrente
"Untere Einkommenssteuer-Gruppen entlasten"

Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet hätten, sollte am Ende auch Respekt gezollt werden, sagte die SPD-Finanzpolitikerin Wiebke Esdar im Dlf. Eine Entlastung der unteren Einkommenssteuer-Klassen stärke die Binnennachfrage. Darum sei die Finanzierung der Grundrente auch ökonomisch sinnvoll.

Wiebke Esdar im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
Wiebke Esdar (SPD) spricht in der Plenarsitzung im Deutschen Bundestag.
SPD-Finanzpolitikerin Wiebke Esdar sagte im Dlf, sie sei für eine Grundsatz-Diskussion zum Thema Rente (Bernd von Jutrczenka/dpa)
Tobias Armbrüster: Es war eine Situation, um die uns viele unserer Nachbarländer beneidet haben. Jahrelang hatte die Bundesregierung eine prall gefüllte Haushaltskasse, genug Geld für jede Menge zusätzliche Projekte. Aber diese Zeiten scheinen erst mal vorbei: Seit gestern ist bekannt, die Steuereinnahmen bei uns werden schon bald nicht mehr so üppig fließen wie in den vergangenen Jahren. Auf einmal ist Sparen angesagt, Ausgabenlisten müssen zusammengestrichen werden. Das sorgt natürlich für Unruhe in der Großen Koalition.
Am Telefon ist jetzt Wiebke Esdar. Sie sitzt für die SPD im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages und sie ist außerdem Mitglied in der parlamentarischen Linken ihrer Fraktion. Schönen guten Tag, Frau Esdar.
Wiebke Esdar: Guten Tag.
Armbrüster: Frau Esdar, muss die Bundesregierung den Gürtel jetzt enger schnallen?
Esdar: Die Bundesregierung verzeichnet mit den Prognosen, die wir für den Haushalt haben, immer noch ein Wachstum. Die Gelder, die zur Verfügung stehen, werden ansteigen. Aber sie werden nicht mehr so steil ansteigen, wie wir das in den letzten Jahren gehabt haben, und darauf müssen wir uns neu einstellen.
"Was ist wirklich finanzierbar?"
Armbrüster: Neu einstellen heißt, es muss gespart werden?
Esdar: Neu einstellen heißt, dass wir bei den Fragen der Ausgabenwünsche und der Vorstellungen dessen, was wir finanzieren wollen, noch ein Stückchen mehr gucken müssen, was davon wirklich finanzierbar ist und was Prioritäten bei uns hat. Aber letztlich ist das ja auch ein Prozess, den wir in jeder Haushaltsaufstellung haben, denn wir hätten auch in diesem und in all den letzten Jahren noch viel mehr Sachen, auch sinnvolle Sachen finanzieren können, wenn es nur nach den Vorstellungen gegangen wäre. Von daher bin ich da, ehrlich gesagt, nicht allzu sehr alarmistisch unterwegs, nicht so alarmiert, finde es aber gut, dass wir natürlich darüber sprechen, was wir jetzt machen wollen.
Armbrüster: Dann lassen Sie uns darüber sprechen, auch ohne jeden Alarmismus. Wo würden Sie denn anfangen mit dem Sparen? Was steht da bei Ihnen oben auf der Liste?
Esdar: Was für uns klar ist – das ist aber eine Position, die wir auch schon lange vorher gehabt haben: Wir finden es richtig, den Solidaritätszuschlag für die unteren 90 Prozent der Beitragszahlenden abzuschaffen, sehen aber wenig Spielraum. Aber wir sehen vor allem auch wenig Sinn darin, ihn für die oberen zehn Prozent abzuschaffen. Das ist ja ein Vorschlag, der aus der Union immer wieder kommt. Das haben wir im Koalitionsvertrag zum Glück anders vereinbart. Das ist ein Punkt, wo relativ klar ist, dass wir da hart bleiben.
"In der Koalition auf eine ausgewogene Lösung einigen"
Armbrüster: Das ist jetzt aber keine Einsparung; das ist zunächst mal eine Entlastung für viele Bürger. Wir haben jetzt gerade im Beitrag von Volker Finthammer gehört, dass laut Olaf Scholz eine Auswirkung dieser neuen Zahlen wohl sein wird, dass der Entwicklungsetat zusammengestrichen wird, und das hat ja der Entwicklungsminister Gerd Müller deutlich kritisiert. Ist die SPD tatsächlich dafür, gerade hier an dieser Position den Rotstift anzusetzen, bei den internationalen Verpflichtungen für die ärmeren Länder?
Esdar: Nein, da sind wir ganz entschieden nicht dafür. Und es ist ja auch bekannt – auch das haben Sie in dem Beitrag angesprochen -, dass es ein zähes Ringen ist um die Frage, wie wir den Wehretat im Verhältnis zum Entwicklungsetat anheben. Aber auch da will ich noch mal deutlich machen: Es gibt keine Kürzung gegenüber dem, was bisher an Mitteln besteht, sondern die Frage ist, wie hoch der Anstieg sein wird, und da müssen wir uns natürlich dann in der Koalition auf eine ausgewogene Lösung einigen und die sollte meines Erachtens nicht beim Entwicklungsministerium den Rückgang des Aufstiegs besonders stark zum Ausdruck bringen.
Armbrüster: Die Gelder sollen eingefroren werden. Das ist der Stand jetzt.
Esdar: Ja, aber keine Kürzung ist an der Stelle dann.
"Dem Abflachen der Konjunktur entgegenwirken"
Armbrüster: Zumindest kein Anstieg mehr?
Esdar: Ja. – Aber da sind wir im Prinzip ja eigentlich auch schon bei dem Kern der Debatte. Die Frage, die wir meines Erachtens uns stellen sollten, ist die Frage, was sind die wichtigen Sachen, die wir finanzieren wollen. Da ist ein weiterer Punkt, der gerade groß in der Diskussion ist, die Frage der Grundrente und wie sie ausgestaltet werden soll. Ich bin immer schon ein Freund gewesen davon, dass wir bei der Finanzpolitik erst einmal sagen, was sind denn die Sachen, die wir finanzieren wollen, und im Anschluss daran dann darüber sprechen, wie wir sie finanzieren können. Da sind wir bei der Frage der Steuereinnahmen.
Das Beispiel, den Solidaritätszuschlag erst für 90 Prozent und noch nicht für alle abzuschaffen, ist da ein Beispiel. Ein anderes Handeln, das ich jetzt von der Bundesregierung erwarte an der Stelle, ist, auch so klug zu entlasten und so klug Investitionen zu tätigen, dass wir dieses Abflachen der Konjunktur, das sich jetzt ein wenig andeutet, dem entgegenwirken zu können. Das bedeutet zum Beispiel, dass wir sehr stark Maßnahmen auflegen sollten, die die Binnennachfrage stärken. Das heißt, wir müssen weiter in die Richtung denken, zum Beispiel Familien zu entlasten, wie wir das mit dem Familienentlastungsgesetz in Höhe von zehn Milliarden im letzten Jahr getan haben, und dann die Frage stellen, wie wir andere untere Einkommenssteuer-Gruppen entlasten können, oder wie wir im Prinzip diejenigen, die wenig haben, auch so unterstützen können, weil da wissen wir: Die geben das Geld auch wirklich aus. Und das ist dann gut für die Konjunktur, weil es die Binnennachfrage stärkt.
Binnennachfrage durch die Grundrente stärken
Armbrüster: Frau Esdar, Solidaritätszuschlag können wir als abgehakt erklären. Da gibt es natürlich die Forderung aus der Union, der sollte komplett abgeschafft werden. Das haben wir jetzt mehrfach heute gehört. Die SPD ist dagegen. Entscheidend bleibt aber ja - Sie haben es angesprochen – die Frage der Grundrente. Das ist eines, kann man sicher so sagen, der Lieblingsprojekte der SPD. Da hören wir jetzt, die Grundrente sollte ja bislang finanziert werden aus Steuermitteln, und jetzt plant der Finanzminister Olaf Scholz, der Finanzminister Ihrer Partei, der SPD, das umzustellen, dass die Grundrente finanziert werden soll aus dem Rententopf, aus dem Rentenbudget. Ist das in Ordnung?
Esdar: Es wäre zumindest ein Äquivalent zur Mütterrente. Ich will an der Stelle aber sagen, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt in den Verhandlungen zwischen Hubertus Heil und Olaf Scholz stecken, dass alles, was jetzt spekuliert wird, in der Form wirklich Gerüchte und Spekulationen sind. Für uns als SPD-Bundestagsfraktion kommt es darauf an, dass wir ganz klar sagen, das ist eine der Prioritäten, die wir setzen wollen, weil wir es richtig finden, dass Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, am Ende auch einen Respekt bekommen und dann eine entsprechende Rente bekommen. Und noch mal: Ich finde, das ist ökonomisch auch sinnvoll, weil das Geld, was wir dann in der Höhe den Menschen auszahlen, wird nicht dazu führen, dass sie ihre Sparquote erhöhen, sondern dass sie das konsumieren, dass sie Geld ausgeben, und wir können dadurch die Binnennachfrage in Deutschland stärken, was ich für extrem wichtig halte, auch ob der globalen Situation und der Unsicherheit des Handels, den wir weltweit haben. Strafzölle, Trump, China und so weiter sind da nur die Stichworte.
"Debatte wirklich grundsätzlich aufmachen"
Armbrüster: Frau Esdar, aber das wäre für Sie in Ordnung, wenn dafür die Rentenkasse angezapft wird?
Esdar: Ich will das nicht grundsätzlich ablehnen, und ob das dann in dem Modell in Ordnung ist oder nicht, das können wir dann beurteilen, wenn die Zahlen vorliegen.
Armbrüster: Wir reden nur darüber. Es ist natürlich Spekulation. Aber die Information ist öffentlich, es wird darüber geredet. Deshalb interessiert mich Ihre Meinung als SPD-Finanzpolitikerin.
Esdar: Ich kann Ihnen sagen, ich finde es nachvollziehbar, dass die Menschen, die gearbeitet haben, darüber in die Rentenversicherung eingezahlt haben, das aber nicht in der Höhe getan hatten, wie es sinnvoll gewesen wäre, weil ihre Löhne so gering waren, dass der Anteil aufgestockt wird. Dass da über eine Finanzierung bei der Rentenversicherung nachgedacht wird, halte ich für sinnvoller als die Frage der Mütterrente, die wir derzeit auch aus der Rentenversicherung zahlen. Und dass man das Thema insgesamt dann anpackt und fragt, was können wir aus der Rentenversicherung, was müssen wir aus Steuermitteln finanzieren, das finde ich richtig. Da bin ich auch immer eher ein Freund von Steuermitteln gewesen. Das bezieht sich aber in erster Linie auf das Thema Mütterrente, weil in der Zeit darüber nicht eingezahlt wurde.
Armbrüster: Aber die Mütterrente ist ein beschlossenes Projekt aus einer vergangenen Zeit, in der das Geld, in der die Mittel auch noch anders ausgesehen haben, auch die Budgets in der Bundeskasse. Aber es geht hier ja um ein grundsätzliches Problem: Die SPD will hier offenbar das langfristig angelegte Geld aus der Rentenkasse nehmen, das ja auch da ist für die kommenden Generationen, um damit eine Leistung zu bezahlen, bei der es vor allen Dingen um die jetzige Generation geht. Das ist eine Rechnung, die von den künftigen Generationen beglichen werden muss.
Esdar: Nein, ich sehe das nicht so, dass das jetzt irgendwie eine Frage der Generationengerechtigkeit in dem Sinne ist, dass es nur darum geht, um die konjunkturelle Lage irgendwie in Deutschland zu stärken, in der Rentenkasse die Gelder irgendwie aufs Sparbuch zu legen und vorzuhalten, sondern wir müssen das in der Gesamtheit betrachten. Und dann bin ich ein Freund davon, die Debatte wirklich grundsätzlich aufzumachen, dass es nicht nur eine Frage ist, wie finanzieren wir die Grundrente, Steueranteil, Anteil Rentenversicherung oder ganz aus dem einen oder aus dem anderen Bereich, sondern grundsätzlich darüber zu diskutieren, dass wir uns ehrlich machen und auch jetzt schon versicherungsfremde Leistungen, beispielsweise die Mütterrente, im Rentensystem haben. Dann bin ich sehr offen dafür, eine Diskussion darüber zu führen, was es uns an Rentenniveau wert ist und ob wir über die demographische Entwicklung erkennen müssen, dass es eine Komponente gibt, die man dann doch stärker über Steuern finanzieren sollte, als das bisher der Fall ist. Das beziehe ich aber nicht nur explizit auf die Grundrente.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.