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Studie der TU Berlin
Antisemitismus im Internet wächst

Der Hass wächst im Netz: Antisemitismen haben im digitalen Zeitalter signifikant zugenommen. Das zeigt die Langzeitstudie "Antisemitismus 2.0 und die Netzkultur des Hasses" der TU Berlin. Der Zentralrat der Juden fordert, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz auf Wirksamkeit zu überprüfen.

Von Kolja Unger | 18.07.2018
    Teilnehmer der Kundgebung "Steh auf! Nie wieder Judenhass!" des Zentralrats der Juden in Deutschland stehen am 14.09.2014 vor dem Brandenburger Tor in Berlin.
    Teilnehmer der Kundgebung "Steh auf! Nie wieder Judenhass!" in Berlin am 14.09.2014 (picture alliance / dpa / Maja Hitij)
    Die Verbreitung von antisemitischen Äußerungen im Netz hat in den letzten zehn Jahren drastisch zugenommen. Das ist das Hauptergebnis der Studie "Antisemitismus 2.0", die Monika Schwarz-Friesel, Leiterin des Fachbereiches Allgemeine Linguistik der Technischen Universität Berlin, vorstellte. Es ist ein erschreckendes Ergebnis:
    "Wir haben zum einen, einen massiven Anstieg von Antisemitismen insbesondere in den Mainstream-Kommentarbereichen der Qualitätspresse feststellen können. In Stichproben haben wir das aber auch in den sozialen Medien gesehen. Dies geht einher mit einer semantischen Radikalisierung. Wir können ganz klar nach diesen vier Jahren sagen, dass sich das Sag-, aber auch Sichtbarkeitsfeld im Web für Antisemitismus exorbitant vergrößert hat."
    Das Internet als Multiplikator von Antisemitismen
    Gründe dafür liegen nicht zuletzt im Medium selbst:
    "Wir haben nämlich festgestellt, dass das Web insgesamt der Hauptmultiplikator heute für Antisemitismus in unserer Gesellschaft ist."
    Zur Methode: Auf YouTube, Facebook, Twitter, in Fangemeinden sowie in den Kommentarspalten von "Süddeutsche", "Zeit" und Co. wurden 265.000 Kommentare mit Schlagwörtern wie Jude, Israel, Nahostkonflikt oder Beschneidung gesammelt - mit einem sogenannten Webcrawler, also einem Suchprogramm speziell für das Internet.
    Anschließend wurden diese mit einem Text-Analyseprogramm ausgewertet. Die Forscher haben dabei drei Formen unterschieden: Die "klassische Judenfeindschaft", mit jahrhundertealten negativen Stereotypen, Vorurteilen und Verleumdungen. Den "Post-Holocaust-Antisemitismus", der sich auf die Scham- und Schuldverdrängung nach Auschwitz bezieht, sowie ein Israel-bezogener Antisemitismus. Anders als die bisherige Antisemitismusforschung, die von einem Rückzug des klassischen Antisemitismus ausging, hat die Studie "Antisemitismus 2.0" ergeben:
    "Die klassische Judenfeindschaft ist nach wie vor die primäre Basis für alle Antisemitismen, egal ob sie von Rechts, Links, aus der Mitte oder von Muslimen kommt."
    Antisemitismus als Israelkritik
    Auch zugenommen hat, wie Schwarz-Friesel es nennt, die "Israelisierung der Judenfeindlichkeit". Das sei aber nicht zu verwechseln mit einer sachlichen Israelkritik, es kommt immer wieder zu Dämonisierung, NS-Vergleichen und Superlativen. Monika Schwarz-Friesel sieht auch Gründe für die Zunahme des klassischen Antisemitismus unter dem Deckmantel einer Israelkritik:
    "Dieser Form von Antisemitismus schlägt der geringste Widerstand entgegen. Das schlägt sich ja auch in Gerichtsurteilen nieder. Ja, Wuppertaler Synagoge, da wird das plötzlich zur politischen Empörung umgedeutet, obwohl das eine Synagoge ist, auf die ein Molotow-Cocktail geschmissen wurde."
    Beispiele wie dieses sind also keine Einzelgeschichten, sondern Teil einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Antisemitismus, der zwar zunächst im Netz wächst, aber nicht dort verharrt.
    "Wenn der Trend tatsächlich so weitergeht, dann befürchte ich, wird das weiter ansteigen und vor allem wird der Normalisierungs- und Akzeptanzprozess, der schon sehr, sehr hoch ausgeprägt ist, vom Internet auch in die reale Welt, also von der virtuellen Welt in die reale Welt, kommen, wir können ja ohnehin beide Welten gar nicht mehr trennen."
    Der Zentralrat der Juden reagiert
    Als Reaktion auf die Studie fordert der Zentralrat der Juden, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz auf seine Wirksamkeit hinsichtlich der Eindämmung von Hate Speech zu überprüfen und gegebenenfalls weitere Maßnahmen zu ergreifen. Auch die Aufklärung über Antisemitismus im Netz müsse verstärkt werden.
    Doch häufig seien gerade Schulklassen nicht mehr empfänglich für eine Sensibilisierung gegen Antisemitismus. Schwarz-Friesel empfiehlt daher "sapere aude", ein Projekt, das junge jüdische Deutsche ermutigt, YouTube-Stars zu werden. Sie sollen über ihre Hobbies sprechen und somit für mehr Akzeptanz für Juden sorgen. Ganz ohne, dass die Shoah mit erhobenem Zeigefinger zum Thema werden müsse.